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Solidarität aus der Diaspora. Belarussen im ukrainischen Kiew halten historische belarussische Fahnen bei einem regierungskritischen Protest zur Unterstützung des oppositionellen Bloggers und Aktivisten Roman Protassewitsch hoch.

© Pavlo Gonchar/dpa

Sanktionen und Effekte: An der Maßnahmenschraube drehen

Welche wirksamen Sanktionen gegen Belarus kann die EU überhaupt noch verhängen? Ein Gastbeitrag,

Christian von Soest ist Leiter des Forschungsschwerpunkts Frieden und Sicherheit am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) / Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg und des GIGA Büros Berlin.

An diesem Montag entscheidet der Europäische Rat über härtere Sanktionen gegen Belarus. Zuvor hatten die EU-Außenminister die erzwungene Landung eines Ryanair-Flugs in der belarussischen Hauptstadt Minsk am 23. Mai und die Festnahme des Journalisten Roman Protassewitsch und Sofia Sapega bereits verurteilt. Außenminister Maas stellte klar, das völkerrechtswidrige Verhalten des belarussischen Diktators Lukaschenko sei so „inakzeptabel“, dass sich die EU nicht mit „kleineren Sanktionsschritten zufriedengeben“ könne und kündigte den „Beginn einer großen und langen Sanktionsspirale“ an.

Die EU steht somit unter enormem Druck, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Dabei ergibt sich ein grundsätzlicher Zielkonflikt: Sanktionen sollen einerseits für das belarussische Regime „spürbar“ sein, andererseits sollen die belarussische Bevölkerung nicht belasten. Die Sanktionsforschung zeigt allerdings, wie schwierig es ist, autoritäre Regime durch restriktive Maßnahmen zu einer Verhaltensänderung zu zwingen.

Zudem befindet sich Belarus in einer Ausnahmesituation: Die brutale Niederschlagung der Proteste gegen den Wahlbetrug im August 2020 macht deutlich, zu welchen extremen Mitteln Präsident Lukaschenko zu greifen bereit ist, um seinen Machterhalt zu sichern.

Auch wenn die geplanten Sanktionen Lukaschenko nicht beeindrucken sollten, können sie doch ein wichtiges Signal über die Bedeutung völkerrechtlicher Normen senden und die Kosten der Handlungen des Regimes in die Höhe treiben. Es gibt also durchaus sinnvolle Sanktionen, welche die EU-Ministerinnen und Minister in Kraft setzen können.

Wir können auf jeden Fall mit der Ausweitung der EU-Sanktionsliste rechnen. Kontensperrungen und Einreiseverbote für verantwortliche Personen und beteiligte Organisationen und Firmen haben die größte Zielgenauigkeit, gelten gleichzeitig in der Forschung jedoch als zahnlos.

88 Personen stehen auf der Sanktionsliste

88 Personen und sieben Organisationen stehen bereits auf der Belarus-Sanktionsliste, unter anderem Präsident Alexander Lukaschenko und sein Sohn Viktor Lukaschenko, der als nationaler Sicherheitsberater des Landes fungiert. Weitere Mitglieder der politischen Führung, des Militärs, der Justiz sowie der eng mit der politischen Elite verwobenen Wirtschaft wird die EU auf die Sanktionsliste setzen.

Ein wichtiger Referenzpunkt für die gefühlte Härte dieser Individualsanktionen werden dabei die 170 Personen und drei Waffenfirmen sein, die in früheren (und im Jahr 2016 weitgehend aufgehobenen) Runden sanktioniert wurden.

Jedoch sind der Ausweitung der Belarus-Sanktionsliste aus zwei Gründen Grenzen gesetzt: Zum einen ist die politische und militärische Elite in stark personalisierten Diktaturen wie Belarus mit seinen ungefähr zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern von überschaubarer Größe. Zum anderen müssen die Listungen „gerichtsfest“ sein, da sanktionierte Personen wiederholt erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof und anderen Gerichten gegen Kontensperrungen und Reiseverbote geklagt haben.

Die EU muss deren Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen und der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine genau nachweisen. Auch eine häufig geforderte „Sippenhaft“, also eine Sanktionierung von Familienmitgliedern der belarussischen Führung, fällt somit weitgehend aus.

Lackmustest für härteres Vorgehen

Den Lackmustest für ein härteres Vorgehen stellen sogenannte sektorale Sanktionen einzelner Wirtschaftszweige dar. Außenminister Maas kündigte im Mai an, „die Wirtschaftsstruktur und den Zahlungsverkehr“ in Belarus in den Blick zu nehmen. Diese breiteren und damit auch ungenaueren Maßnahmen würden das Sanktionsregime gegen Belarus auf neue Füße stellen.

Zentraler Ansatzpunkt wären die Ölexporte des Landes, zudem ist Belarus einer der weltweit wichtigsten Exporteure von Kali-Düngemitteln. Im Jahr 2019 führte Belarus Rohöl im Wert von mehr als einer halbe Milliarde Euro nach Deutschland aus. Mit gezielten Sanktionen gegen die Öl- oder Düngemittelindustrie würde die EU dem Regime von Präsident Lukaschenko schaden.

Nur diese Wirtschaftssanktionen würden der Lukaschenko-Regierung signifikante Kosten aufbürden, zumindest bis sie neue Abnehmer gefunden hat. Gleichzeitig trifft ein solch befristeter Einfuhrstopp die belarussische Bevölkerung kaum direkt.

Ganz anders sieht es mit umfassenden Finanzsanktionen aus. Das Beispiel Iran hat gezeigt, wie hart sich die Abkopplung vom internationalen Zahlungssystem SWIFT auf eine Volkswirtschaft, aber eben auch die Bevölkerung, auswirkt. Ein solches Vorgehen würde außerdem die wichtigen Überweisungen von im Ausland lebenden Belarussinnen und Belarussen an ihre Familien massiv erschweren.

Nüchtern betrachtet sind die Chancen, dass EU-Sanktionen zu einem Umsteuern von Lukaschenko und seiner Clique führen, äußerst gering. Das Regime hat in den Überlebensmodus geschaltet – um jeden Preis. Jedoch sollten Sanktionen eben nicht nur als wirtschaftliche und diplomatische Beschränkungen verstanden werden. Vor allem wirken sie als kostspieliges Signal, das zwischen einfachen Worten und Krieg steht und internationale Normen bekräftigt.

Ermutigung der Zivilgesellschaft

Es demonstriert damit die Handlungsfähigkeit einer „geopolitischen“ EU und kann als eine Ermutigung der demokratischen Zivilgesellschaft und Opposition in Belarus wirken. Diese verbinden hohe Erwartungen mit der EU. Im besten Fall schrecken die Sanktionskosten das Regime auch von weiteren gravierenden Menschenrechtsverletzung ab. Allerdings ist diese Wirkung aus methodischen Gründen in der Forschung nicht genau nachgewiesen.

Abschließend sind zwei Gesichtspunkte für die Anwendung von Sanktionen zentral: Erstens müssen die mit den Maßnahmen verbundenen Ziele klar formuliert werden: Unter welchen Bedingungen werden Sanktionen aufgehoben? Unter welchen Bedingungen wird zum Beispiel das bestehende EU-Flugverbot für belarussische Fluggesellschaften aufgehoben? Ohne klare Ziele und Maßstäbe für die Aufhebung verlieren Sanktionen jede Anreizwirkung.

Zweitens sind Sanktionen kein Allheilmittel, sondern nur ein Instrument im außenpolitischen Werkzeugkasten. Es muss sparsam und im Verbund mit Anreizen eingesetzt werden, um zu wirken. Es war deswegen richtig, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Unterstützungspaket in Höhe von drei Milliarden Euro für ein demokratisches Belarus in Aussicht gestellt hat.

Belarussinnen und Belarussen sollten von daher leichter ein EU-Visum bekommen können und Austausch- und Stipendienprogramme gestärkt werden. Die Wirkung der Sanktionen und dieser Maßnahmen darf allerdings nicht überschätzt werden. Mit einem schnellen Wandel ist in Belarus leider nicht zu rechnen.

Christian von Soest

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