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Die fertige Pipeline wird vorerst nicht in Betrieb gehen.

© REUTERS/Hannibal Hanschke/File Photo

Sanktion gegen Russland: Der Streit um Nord Stream 2 hat gerade erst begonnen

Der Bund stoppt die Zertifizierung von Nord Stream 2, Russland droht mit hohen Gaspreisen. Welche Folgen hat der Konflikt für Verbraucher und Wirtschaft?

Der entscheidende Satz von Olaf Scholz klingt etwas bürokratisch: „Ich habe das Bundeswirtschaftsministerium heute gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen“, sagt der Bundeskanzler am Dienstagvormittag auf einer Pressekonferenz mit seinem irischen Amtskollegen Micheál Martin in Berlin.

Das klinge zwar technisch, gibt Scholz (SPD) selbst zu, sei aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt „keine Zertifizierung der Pipeline“ erfolgen könne. Dann sagt es Scholz nochmal deutlich: „Ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen.“

Wochenlang hatte Scholz den Namen der Gas-Pipeline nicht einmal in den Mund nehmen wollen, hatte erst von einem „privatwirtschaftlichen Vorhaben“, dann nur vage mit harten Konsequenzen für Russland gedroht. Am Tag nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ostukraine legen der Bundeskanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die erste Sanktions-Karte endlich offen auf den Tisch. Die fertige Pipeline wird vorerst nicht in Betrieb gehen.

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Tatsächlich versteckt sich hinter dem Schritt der Bundesregierung jedoch ein Kniff. Streng genommen ist es keine Sanktion gegen Russland, sondern ein Verwaltungsakt. Drei Monate hat das Wirtschaftsministerium nun, um erneut zu prüfen, ob die Zulassung zu einer Gefährdung der Gasversorgungssicherheit Deutschlands oder der EU führen könnte. „Die geopolitische Lage macht eine Neubewertung von Nord Stream 2 zwingend erforderlich“, sagte Habeck am Dienstag. Ein Spiel auf Zeit. Die Hoffnung der Bundesregierung scheint, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nun doch noch einmal einlenken könnte. Und so sagt auch Vizekanzler, dessen Partei schon lange gegen Nord Stream 2 ist, dass man die Pipeline nur „vorerst gestoppt“ habe.

Dass die Bundesregierung nicht den Weg einer Sanktion über die EU geht, hat wohl auch mit der Sorge vor Klagen und möglichen Entschädigungszahlungen zu tun. Betreiber ist die Nord Stream 2 AG, die in der Schweiz sitzt. Auf Grundlage des internationalen Energiecharta-Vertrags kann man dort Schiedsgerichtsverfahren anstreben. Ob man diesen Schritt gehe, ließ ein Sprecher auf Anfrage offen. Man habe zwar die Äußerungen des Bundeskanzlers zur Kenntnis genommen, aber: „Wir können diese Nachrichtenmeldung nicht kommentieren und müssen entsprechende Informationen der Behörden abwarten.“

Habeck "Kurzfristig werden wir ein Ansteigen der Gaspreise erleben"

Akuter dürften Habecks Sorgen ohnehin wegen der kurzfristigen Folgen sein: „Ich nehme an, wir werden jetzt kurzfristig ein Ansteigen der Gaspreise erleben, mittelfristig hoffe ich, dass sich der Markt schnell wieder beruhigt“, sagte Habeck am Dienstagvormittag.

Eine Befürchtung, die am Nachmittag bereits konkreter wurde. Auf Twitter schrieb Russlands Ex-Präsident und Putin-Vertrauter Dimitry Medvedev: "Willkommen in der schönen neuen Welt, in der die Europäer sehr bald 2000 Euro für 1000 Kubikmeter Erdgas bezahlen werden.“ Das wäre eine Verdreifachung der Gaspreise. Dabei sind die Gaspreise im vergangenen Jahr bereits explodiert, liegen momentan fast fünfmal so hoch wie noch vor einem Jahr.

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Grund dafür ist nicht zuletzt die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas. Rund ein Drittel der Energie hierzulande wird durch Gas erzeugt, vor allem im Winter wird es zum Heizen benötigt. 54 Prozent aller Gaslieferungen nach Deutschland stammen momentan aus Russland. Eine gefährliche Abhängigkeit. In diesem Winter fördern die Russen weniger Gas als möglich, auch dadurch ist der Preis enorm gestiegen.

Zudem sind die Erdgas-Speicher in Deutschland mit nur noch 31 Prozent gefüllt und damit auf einem historischen Tiefstand. Auch hier gibt es gefährliche Entwicklungen: Die größten Speicher sind ausgerechnet in der Hand einer Tochtergesellschaft des russischen Staatskonzerns „Gazprom“ – eben jenem Unternehmen, das auch Nord Stream 2 bauen ließ. Deren Speicher sind zu nur noch neun Prozent gefüllt. Kein Zufall, ist man sich im Bundeswirtschaftsministerium sicher. Dort arbeitet man bereits an Gesetzen, um künftig besser in den deregulierten Gasmarkt eingreifen zu können. Eine nationale Gasreserve ist denkbar.

Mehr zum Ukraine-Russland-Konflikt:

Dass Putin als Reaktion auf den Stopp von Nord Stream 2 nun sämtliche Gaslieferungen einstellt, glaubt man in Berlin nicht, schließlich finanziere der Kreml seine enormen Militärausgaben nicht zuletzt über seine Erdgas-Einnahmen. Doch selbst im Fall eines Lieferstopps geht die Bundesregierung davon aus, dass man mit den Resten in den Speichern und kurzfristigen Lieferungen von Flüssigerdgas aus den USA und Katar über den Winter kommt. Sollte es jedoch noch zu einem Kälteeinbruch kommen, gilt das Positiv-Szenario nicht mehr.

Ex-Kanzler Schröder sprach bis zuletzt von "Russland Bashing"

Es ist eine Lage, die Experten seit Jahren befürchten. Seit Monaten, eigentlich seit Jahren, wird über die Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland gestritten. Sie sei klimaschädlich, versorgungstechnisch nicht relevant und bilde eine geopolitische Bedrohung für die Ukraine hatten Kritiker stets bedroht. Da sie die anderen Pipelines, die durch die Ukraine führen, ersetzen könnte, würde durch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 den Schutz des westlichen Nachbarlands von Russland gefährden, hatten Kritiker immer wieder argumentiert.

Doch vor allem die Sozialdemokraten hatten sich schwer getan mit Sanktionen gegen das Prestigeobjekt. Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte es in den letzten Tagen seiner Kanzlerschaft im Jahr 2005 in einer Absichtserklärung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf den Weg gebracht und seitdem für das Projekt in seiner Tätigkeit für die russischen Gaskonzerne "Gazprom" und "Rosneft" lobbyiert. Erst vor drei Wochen hatte Schröder von "Russland-Bashing" gesprochen und vor einem Stopp der Zertifizierung gewarnt: "Wenn wir die Fertigstellung stoppen, sägen wir energiepolitisch den Ast ab, auf dem wir sitzen."

Ziemlich beste Freunde: Schröder und Putin.
Ziemlich beste Freunde: Schröder und Putin.

© AFP

Weite Teile der SPD, darunter Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, hatten die umstrittene Pipeline ebenfalls lange verteidigt. Doch mit dem Einmarsch in der Ostukraine schwenkt auch Schwesig nun um. Man habe die vom Gasleitungsprojekt Nord Stream finanzierte „Klimastiftung Mecklenburg-Vorpommern“ gebeten, ihre Arbeit vorerst ruhen zu lassen, hieß es aus Schwerin. Am Dienstagabend werde die Landesregierung erneut zusammentreten, um über die weitere Entwicklung zu beraten, sagte Vize-Ministerpräsidentin Simone Oldenburg (Linke) nach einer Kabinettssitzung.

Eon-Chef: "Wir brauchen russisches Gas"

Die Wirtschaft reagierte alarmiert auf den Konflikt zwischen der EU und Russland. Leonhard Birnbaum, CEO des größten deutschen Energieversorgers Eon, warnte bereits am Montagabend vor Mitgliedern der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung. „Wir glauben, wir brauchen russisches Gas. Punkt. Insbesondere, wenn wir jetzt auch noch mehr auf Gas setzen, weil wir die Kohle abschalten wollen. Dann sollten wir nicht darüber nachdenken, wie wir das ohne russisches Gas machen“, sagte Birnbaum. Energiewirtschaftlich sei Nord Stream 2 hilfreich. Politisch könne die Bewertung aber anders ausfallen.

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Das Grundproblem von der russischen Abhängigkeit haben Scholz und Habeck erkannt. „Wir haben längst begonnen, unsere Abhängigkeit von Gas zu beenden“, sagte Scholz mit Verweis auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Doch bis die Windräder und Solaranlagen stehen, werden Jahre vergehen.

Flüssigerdgas ist teuer und klimaschädlich

Kurzfristig sind Deutschlands Möglichkeiten überschaubar: "Wir sorgen auch dafür, dass die Importkapazitäten und Importmöglichkeiten, die wir künftig haben werden, um Gas nach Deutschland zu bringen, sich weiter diversifizieren." Konkret bedeutet das wohl, dass Deutschland in Zukunft mehr Flüssigerdgas aus den USA und Katar bezieht.

Doch auch hier gibt es Probleme. Förderung und Transport von sogenanntem LNG ist noch klimaschädlicher als herkömmliches Gas. Zudem hat Deutschland kein eigenes LNG-Terminal, ist auf die Häfen in den Niederlanden angewiesen. Habeck hat im Bundestag angedeutet, dass die Bundesregierung sind finanziell am Bau eines eigenen LNG-Terminals beteiligen könnte - ein Plan, der auf Widerstand bei den Grünen stößt. Zudem wird es bis zur Inbetriebnahme eines eigenen LNG-Terminals ebenfalls Jahre dauern. Zeit, in der man weiter mit Russland zusammenarbeiten muss. Der Streit um Nord Stream 2 hat wohl gerade erst begonnen.

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