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Ewige Baustelle. Die Erweiterung des Lüders-Hauses will nicht fertig werden.

© DAVIDS/Sven Darmer

Sanierungsfall Berliner Regierungsviertel: Baupfusch und Abnutzung bei Bundesbauten

Obwohl Parlamentsbauten und Kanzleramt erst 15 Jahre alt sind, steckt der Staat jährlich Millionen in Reparaturen. Wer trägt die Verantwortung?

Die „Halle des Volkes“ im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist gesperrt. So nennen Bundestagsabgeordnete die von Büroräumen gesäumte Veranstaltungshalle am östlichen Ende des Parlamentariergebäudes im Regierungsviertel. Der Spott hat eine gewisse Berechtigung: So wie das gigantomanische Projekt von Albert Speer für die Nazis nie fertig wurde, ist auch der gewaltige Neubau aus dem Jahr 2003 eine ewige Baustelle – wie auch viele andere Regierungsbauten der Berliner Republik. Das Volk kommt das teuer zu stehen: Weil ein gutes Jahrzehnt nach ihrer Eröffnung viele Neubauten des Bundes ganz schön alt aussehen, verschlingt die Sanierung Millionen, die an anderer Stelle fehlen.

21,5 Millionen Euro jährlich zur "Aufrechterhaltung des Betriebs"

Den SPD-Bundestagsabgeordnete Swen Schulz, der als Mitglied des Haushaltsausschusses die Kosten für die Reparaturen im Regierungsviertel billigen muss, nervt das schon mal. Rund einmal im Jahr müssen die Haushälter weitere Millionen freigeben, weil die Bundesbauten nicht so funktionieren, wie sie sollen. „Jedes Mal müssen wir uns auf ein neues Gutachten von einem anderen Experten verlassen und hoffen, dass dieser dieses Mal recht behält“, sagt Schulz. Allein zur „Aufrechterhaltung des Betriebs“ seiner Bundesbauten gibt der Bund in diesem Jahr 21,15 Millionen Euro aus. Hinzu kommen Kosten für „kleine Neu-, Um- und Erweiterungsbauten“ in Höhe von rund neun Millionen Euro – 30 Millionen Euro insgesamt. Was genau und warum schon wieder saniert und umgebaut werden muss, ob die Kosten durch Klagen auf Schadenersatz wieder hereingeholt werden können, kurzum, die Einzelheiten des jeweiligen Falles durchschaue kein Haushälter mehr bis ins Detail, sagt Schulz.

Gut gerüstet - Arbeiten an der Fassade des Löbe-Hauses.
Gut gerüstet - Arbeiten an der Fassade des Löbe-Hauses.

© Schönball

Im Ensemble aus Paul-Löbe- und Lüders-Haus, das die Brücke schlägt über die Spree und das Band des Bundes vollendet, muss man nicht lange suchen nach Bauschäden: Die Nordfassade des Löbe- Hauses ist auf Hunderte von Metern eingerüstet und wird saniert. Vor Kurzem erst wurden die großen Fenster in den Büros der Abgeordneten ausgetauscht: Zwei Millionen Euro sind dafür im Haushalt als „Sicherungsmaßnahmen Glas“ für Regierungsbauten verzeichnet.

Beton bröselt an der Hochbrücke zum Lüders-Haus

Bauzäune säumen auch den Weg vom Löbe- zur Parlamentsbibliothek im Lüders-Haus, über die spektakuläre Brücke hoch über den Dächern von Berlin. Teilweise ist der Beton immer noch mit Spanplatten verschalt. „Gehen Sie ruhig vor, wir schauen mal, ob die Brücke hält“, ruft Schulz einem Kollegen zu. Bis vor Kurzem war die Hochbrücke komplett gesperrt. Das verrät ein im Flur vergessener Bauzaun, an dem die Hausverwaltung einen Warnhinweis auf blütenweißem Papier aufgedruckt hat.

Löbe- und Lüders-Haus sind eine einzige Baustelle, 3,4 Millionen Euro je Haus stehen im Bundeshaushalt für deren „Erneuerung“. Für das Reichstagsgebäude bewilligte Finanzminister Wolfgang Schäuble weitere 4,5 Millionen Euro zur „Erneuerung baulicher und gebäudetechnischer Anlagen“ allein in diesem Jahr. Aber das ist Kleingeld gemessen an den Kosten des Chaos, das sich bei der Erweiterung des Lüders-Hauses an dessen östlichem Ende abspielt: Der nahezu fertiggestellte Ergänzungsbau war noch nicht eingeweiht, da musste er schon saniert werden. Der Keller ist undicht, deshalb wird die gesamte Haustechnik wieder ausgebaut. Erst dann können Spezialfirmen die Betonsohle aufreißen und wasserdichten Zement in die Spalten spritzen.

7 Jahre später als geplant öffnet die Lüders-Haus-Erweiterung

„Da machen Sie Boden gut“, steht auf einem Betonsilo draußen vor dem Gebäude. In Wahrheit ist kein Land in Sicht: Auf der Hitliste der 40 Bundesbauten mit größtem Zeitverzug und höchsten Zusatzkosten, die Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) jüngst wieder aktualisiert hat, steht die Erweiterung des Lüders-Hauses ganz oben. „Noch nicht möglich“, lautet die lapidare Feststellung der Fachleute zur „Kostenentwicklung“, genehmigt sind 189 Millionen Euro. Das wird bei Weitem nicht reichen. Zumal nicht mal der Eröffnungstermin feststeht. „Nicht vor 2020“, steht im Ministerialenpapier, was im Grunde heißt: Kann später werden. Mindestens sechs Jahre länger als geplant dauert es also, da erwächst der Chaos-Baustelle BER Konkurrenz.

Die Suche nach den Schuldigen läuft – und hat einen Kleinkrieg zwischen Stararchitekt Stefan Braunfels und dem Bundesamt für Bauen und Raumordnung (BBR) ausgelöst, der vor Gericht ausgetragen wird. Um die Anwaltskosten bezahlen zu können, habe er sein Eigenheim und seine Kunstsammlung verkauft, teilte Braunfels öffentlich mit und bezeichnete sich als Opfer eines Bauherrn, der Honorare nicht zahlen würde. Das BBR bestreitet das vehement und gibt die Schuld „einem Zusammenwirken verschiedener Ursachen aus Planungs-, Ausführungs- und Überwachungsmängeln der damit beauftragten Unternehmen.“

Wer Recht bekommt, entscheidet das Gericht. Verloren haben beide Seiten schon jetzt: in der öffentlichen Wahrnehmung. Dasselbe gilt für den Steuerzahler. „Da fragt man sich schon, ob es eine stille Kumpanei gibt zwischen denen, die unbedingt bauen wollen, weil sie dran verdienen, und denen, die drin repräsentieren wollen“, sagt Schulz. Werden deshalb Risiken von Bauprojekten unterschätzt?

Immer wieder das leidige Grundwasser

Grundwasser ist beim Bauen in Berlin immer schon ein großes Thema gewesen. Trotzdem säuft das Lüders-Haus ab, das Kanzleramt hat einen Wasserschaden, und auch der Keller des Bundesrats muss gegen Wasser abgedichtet werden – dabei wurde die Länderkammer vor gut 15 Jahren erst nach aufwendiger Sanierung eröffnet. Das BBR verweise in internen Diskussionen darauf, dass man „personell unterbesetzt“ sei, sagt Schulz, und der Bundestag weise immer gerne darauf hin, „dass nicht er, sondern das BBR Bauherr des Lüders-Hauses ist“. Das BBR bestätigte auf Anfrage den Sparkurs „vergangener Jahre“, wodurch „externe Projektmanager für Qualität, Kosten- und Terminsicherung sorgen“ sollten. Dass dies „nur bedingt“ möglich sei, habe man nun erkannt, Geld für neue Stellen beim BBR stehe „für 2016 und 2017“ bereit.

27 Millionen Euro für den Bundesrat

Rund 189 Millionen Euro sollten die zusätzlichen Flächen des Lüders-Hauses ursprünglich kosten, eine erste Prognose sah einen Aufschlag von rund zehn Millionen Euro vor. Nach der neuesten Schätzung aus dem Hause von Bundesbauministerin Hendricks ist das Makulatur, darin heißt es: „Gesamtprognose noch nicht möglich“. Dafür stehen die Kosten der „Sanierung und Abdichtung Kellergeschoss Bundesrat“ schon mal fest: knapp 27 Millionen Euro.

Swen Schulz, für die SPD im Bundestag, vor der gesperrten „Halle des Volkes“.
Swen Schulz, für die SPD im Bundestag, vor der gesperrten „Halle des Volkes“.

© DAVIDS/Sven Darmer

Auch das Kanzleramt steht seit Jahren auf der Liste der maroden Bundesbauten. Immerhin regnet es Angela Merkel inzwischen nicht mehr ins Arbeitszimmer herein. Dafür ist immer noch der Keller feucht, dem BBR zufolge wurden „in der Tiefgaragendecke einzelne Undichtigkeiten entdeckt, deren Sanierung ab 2016 vorgesehen ist“. Wenn es regnet, müssen nun Pumpen angeworfen werden, die das Wasser abführen.

Merkel ist die Umzugskanzlerin

Die Kanzlerin ist Kummer gewohnt. Vor fünf Jahren musste sie mit ihrem Büro im siebten Stock sogar ganz ausziehen, sieben Wochen lang. Die Rauch- und Wärmeabzugsanlage versagte den Dienst. Vielleicht geht Merkel einmal als Umzugskanzlerin in die Geschichte ein, denn schon 2008 hatte sie ihr Büro provisorisch verlegen müssen. Damals waren Scheiben des Wintergartens undicht. Auch die Wände in der Tiefgarage tropften damals – dieses Jahr schon wieder. Ein früherer Bauleiter erklärte dem Tagesspiegel vor fünf Jahren, die Betonwanne, die das 2001 errichtete Haus vor dem tückischen Grundwasser schützen soll, sei „in einem schlechten Zustand“, der ganze Bau voller Risse. Das BBR spricht von „einem Errichtungsmangel, der gerichtsanhängig ist und in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt abschnittsweise behoben werde“.

Wer die „Waschmaschine“, wie das Kanzleramt genannt wird, betrachtet, erkennt blaugraue Schlieren, die sich vom Dach herab die Fassade entlangziehen. Größere Flecken hinterließ der Herbstregen auch auf Betonplatten unter dem Dachfirst. Bauexperten sagen, das sei der Preis für den großzügigen Einsatz von Sichtbeton zur Inszenierung spektakulärer Baukunst, wie es im Regierungsviertel gang und gäbe ist. Als Axel Schultes das Kanzleramt als Teil seines „Bandes des Bundes“ entwarf, prägte er einen Stil – betrat dabei aber eben auch Neuland. Das Lehrgeld dafür bezahlt der Bund nun.

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