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Michael Kretschmer ist seit Dezember 2017 Sachsens Ministerpräsident.

© Matthias Rietschel/dpa-Zentralbild/dpa

Update

Sachsens Ministerpräsident im Interview: „Wie sollen wir mit der AfD über seriöse Politik sprechen?"

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) über den Umgang mit Links und Rechts, Probleme bei Abschiebungen - und seine Sicht auf Chemnitz.

Von
  • Anna Sauerbrey
  • Antje Sirleschtov

Herr Kretschmer, schlafen Sie nachts noch gut?

Warum sollte ich das nicht?

Sie sind seit neun Monaten Regierungschef eines Bundeslandes, von dem die halbe Welt glaubt, dass es fremdenfeindlich ist, und in dem die rechtspopulistische AfD bei der Landtagswahl nächstes Jahr stärkste Kraft werden könnte. Das kann einem schon schlaflose Nächte bescheren.

Ich weiß mich in guter Gemeinschaft mit meiner Partei, meiner Regierung und mit vielen Menschen in Sachsen. Das gibt mir Vertrauen. In Chemnitz sind schlimme Straftaten geschehen. Wir haben eine klare Haltung, wenn Gewalt als Mittel des Protests ins Spiel kommt, ob von rechts oder von links. Gerade in Chemnitz gibt es viele Bürger, die diese Stadt prägen und nicht der Gewalt überlassen wollen. Es kommt darauf an, klar zu trennen zwischen denen, die ein Fall für Polizei und Justiz sind, und den Menschen, die Fragen an die Politik haben.

Hätten Sie sich gewünscht, dass weniger Menschen, die Sorgen haben, zu einer Demonstration gehen, die von der Vereinigung Pro Chemnitz organisiert wurde und an deren Spitze klar rechtsradikale Leute standen?

Diese Demonstration war kein Trauerzug. Wo der Hitlergruß gezeigt wird und fremdenfeindliche Parolen skandiert werden, ist die rote Linie überschritten, das ist nicht der richtige Ort, wenn man etwas zum Besseren wenden will.

Ihr Vorvorgänger im Amt, Kurt Biedenkopf, hat in den neunziger Jahren gesagt, die Sachsen seien „immun“ gegen Rechtsextremismus. War das eine Fehleinschätzung?

Wer Kurt Biedenkopf kennt, der weiß, dass dieser Politiker nicht leichtfertig mit dem Thema umgegangen ist. Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie. Wir müssen ihn aus der Mitte der Gesellschaft heraus bekämpfen. Wir sind für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und einen anständigen Umgang miteinander.

Der sächsische SPD-Vorsitzende Martin Dulig sagt, es habe in Ihrem Bundesland eine jahrelange Verharmlosung von rechten Tendenzen gegeben. Fühlen Sie sich als CDU-Politiker angesprochen?

Nein. Ich bin seit Dezember Ministerpräsident und hatte zum Rechtsradikalismus immer eine klare Haltung. Schon die Auseinandersetzung mit der NPD habe ich knallhart betrieben. Wir haben in der Koalition einen gemeinsamen Antritt. Schon in unserem 100-Tage-Programm haben wir zusätzliche Initiativen, wie mehr Polizei und Demokratiezentren, beschlossen.

Wie tief haben sich Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit und die Bereitschaft zu Gewalt in die sächsische Gesellschaft gefressen?

Nicht mehr als anderswo in Deutschland.

Verharmlosen Sie damit nicht eine Entwicklung? Statistisch gibt es mehr rechtsextreme Überfälle als anderswo in Deutschland.

Statistisch steht Sachsen an fünfter Stelle in Ostdeutschland. Wir haben 28 Jahre Wiederaufbau hinter uns und 28 Jahre Kampf gegen Rechtsextremismus. Dieser Kampf war nicht so erfolgreich, wie wir uns das gewünscht haben. Deshalb arbeiten wir weiter. Ich kann aber nur davor warnen, Bürger pauschal in die rechte Ecke zu schieben. Wer das tut, lenkt davon ab, dass wir reale Probleme haben, die die Menschen ansprechen.

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung nach Chemnitz gesagt, es habe keinen „Mob“ und keine „Hetzjagden“ gegeben. Wie bezeichnen Sie es, wenn sich tausende Menschen in eine Demonstration einreihen, die von fremdenfeindlichen Parolen bestimmt wird und vom offenen Zeigen des Hitlergrußes?

Ich würde das Wort „Mob“ oder das Wort „Pack“ nie benutzen. Es ist eine Frage des Anstandes, auf diese Beschimpfungen zu verzichten. Es ist unverantwortlich für den gesellschaftlichen Frieden, wenn Menschen so bezeichnet werden. Ob von Politikern oder Journalisten. Es gehört sich einfach nicht.

Uwe Dziuballas jüdisches Restaurants "Schalom" wurde am Abend des 27. August von Rechten angegriffen.
Uwe Dziuballas jüdisches Restaurants "Schalom" wurde am Abend des 27. August von Rechten angegriffen.

© Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

Warum haben Sie darauf verzichtet, den Angriff auf das jüdische Restaurant in Chemnitz, einen eindeutig antisemitischen Angriff, in Ihrer Regierungserklärung zu erwähnen?

Ich habe erst in der letzten Woche am Freitag davon erfahren, nachdem ich den Brief des Restaurantbesitzers erhalten und mit ihm gesprochen habe. Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich darüber gesprochen.

Bei einer Demonstration der Pegida in Dresden wurden Journalisten des ZDF von der sächsischen Polizei an der Arbeit gehindert. War Ihre Reaktion, nämlich die Polizei in Schutz zu nehmen, voreilig?

Auf dem Video, das das ZDF verbreitet hat, habe ich ruhige Polizisten gesehen, die Personalien feststellen wollten, nachdem es eine Anzeige gab. Und das ist ihre Pflicht. Aus meiner Sicht gehört es sich in so einem Moment, die Kameras auszumachen und zur Klärung der Sache beizutragen.

Ist die Presse bei der Berichterstattung über Chemnitz aus Ihrer Sicht verantwortungsvoll gewesen?

Die sächsische Presse hat ruhig und mit einer großen Präzision darüber berichtet, was geschehen ist.

Nur die sächsische Presse?

Ich will auch hier nicht verallgemeinern. Aber ich finde, es wurden zum Teil Dinge geschrieben, die nicht richtig waren und die extrem verletzend sind. Eine ganze Stadt in Mithaftung zu nehmen, eine Nähe zum rechten politischen Rand zu unterstellen, ist unverantwortlich und gehört sich nicht. In Chemnitz leben viele anständige Leute, die nichts mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen zu tun hatten.

In Chemnitz ist ein Mann zu Tode gekommen. Nur Familienministerin Franziska Giffey von der SPD war aus Berlin angereist. Hätten Sie sich gewünscht, dass auch die Bundeskanzlerin und Ihre Parteivorsitzende, Frau Merkel, nach Sachsen kommt?

Wir, die Landesregierung, waren da und die Chemnitzer Oberbürgermeisterin. Das war wichtig, denn wir haben in dieser schwierigen Lage zusammengestanden.

Horst Seehofer hat die Migrationsfrage als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet. Hat er recht?

Bei aller notwendigen Auseinandersetzung über die Gewalt und die Rolle der AfD dürfen jetzt nicht die Dinge unter den Tisch gekehrt werden, die in der Migrationspolitik noch nicht gelungen sind. Es ist viel erreicht worden seit 2015, wir haben unsere Rechtsnormen angepasst und die Zahlen der Flüchtlinge sind zurückgegangen. Aber das reicht noch nicht. Der Staat muss stringenter handeln. Und allen muss klar sein, dass wir einen parteiübergreifenden Konsens brauchen, um die Aufgaben zu lösen, die sich jetzt stellen.

Welche sind das?

Die Menschen verstehen nicht, warum Deutschland Flüchtlingen Asyl gewähren soll, die aus sicheren Herkunftsländern in Nordafrika oder aus Georgien kommen. Und sie haben kein Verständnis dafür, dass die Politik dieses Problem nicht lösen kann. Ich sage deshalb mit allem Nachdruck, dass alle im Bundesrat Verantwortung tragenden Parteien dieses Vorhaben unterstützen. Eine weitere Verweigerung wäre verantwortungslos.

Wie viele Flüchtlinge leben in Sachsen?

Es sind rund 24.000 Asylbewerber. Davon sind derzeit circa 11.700, deren Ausreise rechtlich sofort vollziehbar ist. Allein in Sachsen gibt es aktuell 1100 Mehrfach- und Intensivstraftäter. Dass diese Täter nicht außer Landes gebracht werden können, belastet die Stimmung in Sachsen. Die Menschen fragen aus meiner Sicht zu Recht: Warum gibt es Gesetze, die die Ausweisung von Tätern ermöglichen, ohne dass das geschieht?

Warum werden diese Ausweisungen nicht vollzogen?

Vor der Sommerpause hat der Bund zugesagt, dass er die Ausreisedokumente für die Betroffenen zentral organisiert. Das war dringend nötig und ich erwarte, dass das jetzt auch passiert. Die Praxis muss enden, dass unsere Polizei bei den Botschaften um Papiere bettelt, die sie selten bekommt, und gleichzeitig mit ansehen muss, wie verurteilte Täter untertauchen. Es muss gelingen, diese Leute außer Land zu bringen. Und wir müssen auch ohne Scheuklappen darüber sprechen, ob unsere Gesetze wirkungsvoll sind, wenn Intensivtäter frei herumlaufen, deren Ausreise angeordnet ist.

Seit Sie Ministerpräsident sind, führt die sächsische Regierung in allen Landkreisen „Sachsengespräche“. Was bewegt die Menschen: Klagen die meisten darin nur über die Migrationspolitik?

Nein. Und wir reagieren auf ihre Sorgen und Ängste, mit mehr Lehrern und Polizisten und Programmen zur Stärkung des ländlichen Raumes. Aber an manchen Stellen benötigen wir bundesweite Lösungen. Etwa gegen die zunehmende Gewalt. Die Zahl der Messerstechereien steigt besorgniserregend. Ich frage: Warum müssen Menschen in den Innenstädten mit Messern bewaffnet herumlaufen? Und ich sage: Dafür gibt es keinen Grund. Wenn das Verbot des Tragens von Messern zur Sicherheit beiträgt, dann bin ich unbedingt dafür, dass ein solches Verbot ausgesprochen wird. Im Vordergrund der Sorgen der Menschen steht aber eindeutig die Frage, warum Probleme in der Asylpolitik, die auf der Hand liegen, nicht gelöst werden.

Ich will das hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Ich habe niemanden getroffen, der mir sagt, alle Ausländer müssen raus. Die Menschen wollen von Krieg Betroffenen Schutz geben. Wenn die Gründe dafür aber nicht mehr da sind, so wollen die Menschen auch, dass die, denen wir Schutz gewährt haben, wieder nach Hause gehen. Und auch darüber müssen wir reden: Es gibt Flüchtlinge, die wollen nicht integriert werden. Wir brauchen Instrumente, die ausreichen, die Integration auch durchzusetzen.

Im nächsten Jahr stehen in Sachsen Kommunal- und Landtagswahlen an. Glaubt man den Umfragen, dann werden CDU und SPD ihre Mehrheit verlieren. Sie brauchen neue Partner. Sind Sie offen für eine Koalition mit der Linkspartei?

Nein. Es gibt zwischen der CDU und der Linkspartei keine Schnittmengen. Wir stehen für Freiheit und soziale Marktwirtschaft und nicht für den überbordenden Staat. Wir machen gerade ein neues Polizeigesetz, um deren Befugnisse zu erweitern. Die Linkspartei beschimpft uns dafür. Wie soll da eine Koalition möglich sein?

Gilt das auch für die AfD?

Natürlich. Wer mich einen Volksverräter nennt, zeigt damit eindeutig, dass er offen ist für rechtes Gedankengut. Und wer sich in Demonstrationszügen neben verurteilte Straftäter und offen Rechtsradikale stellt, der zeigt, dass er diese Leute unterstützt. Wie sollen wir mit einer solchen Partei über seriöse Politik sprechen? Für uns kann es nur darum gehen, die Menschen davon zu überzeugen, eine positive, nach Lösungen suchende Politik zu unterstützen. Dafür kämpfe ich.

Warum beobachtet der sächsische Verfassungsschutz die AfD nicht, wenn Sie eindeutig rechte Tendenzen erkennen?

Es ist die permanente Aufgabe eines Verfassungsschutzes, die politische Landschaft zu beobachten. Wenn sich extremistische Tendenzen verfestigen, dann muss der Verfassungsschutz diese auch ins Visier nehmen.

Das Gespräch führten Anna Sauerbrey und Antje Sirleschtov.

Anmerkung der Redaktion: Am Sonntag korrigierte Ministerpräsident Michael Kretschmer die Zahlenangaben zu ausreisepflichtigen Asylbewerbern. Zwar stimme es, dass es „derzeit insgesamt 11750 vollziehbar ausreisepflichtige Personen“ gebe, die in Sachsen leben, erklärte die Dresdner Staatskanzlei. „Allerdings bezieht sich diese Zahl nicht ausschließlich auf Asylbewerber.“ Zu den Ausreisepflichtigen gehörten „auch andere Ausländer ohne Aufenthaltstitel“, die „kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben und das Bundesgebiet verlassen müssen“. Dazu zählt man etwa Erwerbstätige oder Studenten mit abgelaufenen Visa oder Ausländer, die keine Aufenthaltstitel haben und keinen Asylantrag stellen oder Familienmitglieder von Asylbewerbern.

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