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Jörg Urban, AfD-Spitzenkandidat in Sachsen.

© Florian Gärtner/photothek/Imago

Sachsens AfD-Spitzenkandidat Jörg Urban: Der unscheinbare Scharfmacher

Jörg Urban wirkt bieder, sympathisiert aber mit dem völkischen „Flügel“. Ein Portrait des sächsischen AfD-Spitzenkandidaten.

Jörg Urban ist eigentlich kein mitreißender Redner. Die Auftritte des sächsischen AfD-Spitzenkandidaten wirken immer etwas hölzern, das nationalistische Pathos eines Björn Höcke liegt ihm fern. Doch als er im Juli zum Wahlkampfauftakt in Lommatzsch auf der Bühne steht, bringt er das Publikum trotzdem in Wallung.

Urban, in dunklem Anzug und Krawatte, wettert gegen den Landeswahlausschuss, der die Kandidatenliste der AfD aufgrund formaler Mängel um zwei Drittel gekürzt hat. Das sei ein politischer Skandal. „Während man in der DDR noch dreist die Wahlergebnisse gefälscht hat, sorgt man heute schon im Vorfeld dafür, dass der Wählerwille am Ende nicht umgesetzt werden kann“, ruft der 55-Jährige. Man wolle die AfD von der Mitsprache fernhalten. „Für uns gilt deshalb: Jetzt erst recht!“ Lauter Applaus.

Während es anfangs so aussah, als habe sich die sächsische AfD unter Urban mit ihrer Schluderei bei der Aufstellung ihrer Kandidatenliste zur Landtagswahl selbst ein Bein gestellt, kann sie jetzt daraus Kapital schlagen. Ein Gericht hat zwar mittlerweile festgelegt, dass die AfD mit 30 Listenbewerbern antreten darf – also zumindest der Hälfte der Nominierten. Doch an der Botschaft, die Urban im Wahlkampf verbreiten kann, ändert das wenig: Man habe der AfD übel mitspielen wollen. Das mobilisiert die Anhänger.

Die AfD lieferte sich monatelang ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und steht aktuell noch bei 24 Prozent. Vollmundig hatte Urban ein Ziel von „30 Prozent plus X“ für seine Partei ausgegeben. Wie selbstbewusst die sächsischen Rechtspopulisten erscheinen wollen, sieht man daran, dass sie nicht etwa ein Wahlprogramm, sondern ein „Regierungsprogramm“ aufgestellt haben.

Dass die AfD ausgerechnet Jörg Urban auserkoren hat, die Partei zu einem ihrer größten Triumphe in Sachsen zu führen, schien anfangs unverständlich. Urban ist zwar Landeschef in Sachsen. Bei Auftritten wie Anfang des Jahres beim Bundesparteitag der AfD in Riesa wirkte er aber blass und wenig charismatisch. Sein Vorteil ist allerdings, dass er sich staatstragend zu präsentieren weiß, gleichzeitig aber mit dem völkischen „Flügel“ von Höcke sympathisiert.

Mit Höcke in der ersten Reihe

Beim „Trauermarsch“ der AfD in Chemnitz etwa lief er mit Höcke und dem brandenburgischen Spitzenkandidaten Andreas Kalbitz in der ersten Reihe. Am Revers eine weiße Rose, dahinter reihten sich auch Rechtsextreme ein. Im AfD-Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz taucht Urban ein Dutzend Mal auf. Dabei beziehen sich die Verfassungsschützer häufig auf Einträge, die er auf Facebook abgesetzt hat. Sie werfen ihm etwa vor, er stelle muslimische Flüchtlinge in völlig undifferenzierter Weise als Vergewaltiger und Mörder dar und setze Islam mit Islamismus gleich.

Äußerungen von Urban nehmen sie als Beleg für die Nähe der AfD zur fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung. Bedenklich finden die Verfassungsschützer zudem folgenden Satz von Urban: „In Sachsen begann bereits 1989 die friedliche Revolution, die ein verrottetes Regime zum Einsturz brachte. Es sieht derzeit ganz so aus, als wäre Geschichte mit einer starken Volkspartei AfD wiederholbar.“ Sie sehen darin „Sympathien für einen Umsturz mit nicht-parlamentarischen Mitteln“.

Urbans politische Wurzeln liegen allerdings woanders. Urban ist in 1964 in der DDR geboren, diente bei der Nationalen Volksarmee und studierte zunächst Wasserbau. Nach der Wende absolvierte er ein Aufbaustudium im Bereich Umweltschutz, arbeitete als Bauingenieur. Viele Jahre war er Geschäftsführer der Grünen Liga Sachsen. Unter anderem engagierte er sich gegen den Bau der Dresdner Waldschlösschenbrücke, die die Stadt letztlich den Unesco-Welterbetitel kostete.

Auch heute äußert sich Urban noch gern zu Umweltthemen. Nur wettert er jetzt gegen landschaftszerstörende Windkraftanlagen und fordert ganz auf AfD-Linie das Aus der Energiewende. Interessant ist dabei allerdings, dass Urban nach Berichten von „Spiegel“ und „Frontal 21“ vor mehr als zehn Jahren mit drei Mitstreitern ein Unternehmen zum Betreiben einer Fotovoltaikanlage gründete. Urban soll bis Januar 2019 als geschäftsführender Gesellschafter agiert haben, was er aber abstreitet. Das Ganze stünde in krassem Widerspruch zu Urbans heutiger Politik. Unklar ist allerdings, ob die AfD-Anhänger das interessiert.

Nach der Wahl könnte die AfD mit mehr als 30 Abgeordneten in den sächsischen Landtag einziehen. Die Regierungsbildung wird schwer. Ministerpräsident Kretschmer hat wiederholt erklärt, dass eine Koalition mit der AfD nicht infrage komme und auch keine Minderheitsregierung, die zwangsläufig auf eine Zusammenarbeit mit der AfD hinausliefe. Doch bei einem Pressegespräch im Juni formulierte Urban trotzdem schon mal Bedingungen für eine „bürgerliche Koalition“. Die AfD hatte in ein idyllisches Seehotel vor den Toren Berlins eingeladen, um auch auf jeden Fall Hauptstadtjournalisten dabeizuhaben. Hier erhob Urban Anspruch auf das Innenministerium und die „intellektuelle Führung“ der Koalition.

Zur nationalistischen Agenda kommen soziale Wohltaten

Was die sächsische AfD und Urban vorhaben, sollten sie denn mitbestimmen dürfen, daraus machen die Rechtspopulisten keinen Hehl. Die AfD würde beispielsweise dem Projekt „Weltoffenes Sachsen“ und dem sächsischen Flüchtlingsrat die Fördergelder streichen. Dem Verein „Schule ohne Rassismus“ will sie den Zugang zu Schulen verwehren. Sie will Bürgerentscheide über Moscheebauten. In Asylunterkünften fordert sie nächtliche Ausgangskontrollen. Zur nationalistischen Agenda kommen soziale Wohltaten, wie sie die AfD im Osten gern verspricht. Ein Landespflegefördergeld, ein aufgestocktes Landeserziehungsgeld, kostenfreies Schulessen und ein Landesbabybegrüßungsgeld nur für Deutsche.

Urban weiß, wie unwahrscheinlich es ist, dass die AfD nach der Landtagswahl am 1. September mitregiert. Aber er will abwarten. Er setzt darauf – das erklärt er beim Gespräch im Seehotel –, dass eine Koalition aus allen Parteien außer AfD und Linken höchstens zwei Jahre halten werde. Und nach Neuwahlen stünden die Chancen dann schon besser.

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