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Russland, Polen, Deutschland: Zweiter Weltkrieg: Dreierlei Geschichte

Polen beobachtet genau, wie Deutschland und Russland den Weltkrieg diskutieren. Einiges Entsetzen bereitet, dass 70 Jahre nach Kriegsbeginn in Deutschland und Russland neue Interpretationen der damaligen Geschehnisse die Runde machen.

Wann begann der Zweite Weltkrieg? Für Deutsche ist das eine einfache Frage: am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen. Wird das aber auch in Polen selbst so gesehen? Dort sperren sich viele gegen diese „westliche“ Sichtweise der Geschichte. Für sie begann der Krieg über eine Woche früher, als die Sowjetunion und Deutschland Ende August im „Molotow-Ribbentrop-Pakt“ die Aufteilung Osteuropas beschlossen. Noch deutlicher klafft die zeitliche Lücke bei der Diskussion um das Ende des Zweiten Weltkrieges. Das wird von den meisten Polen nicht auf den 8. Mai 1945, sondern auf das Jahr 1989 datiert, als das kommunistische Imperium in sich zusammenbrach.

Mit Sorge beobachtet man in Polen nicht nur, dass diese Daten in vielen Ländern verschieden festgelegt werden. Einiges Entsetzen bereitet, dass 70 Jahre nach Kriegsbeginn in Deutschland und Russland neue Interpretationen der damaligen Geschehnisse die Runde machen. Aus diesem Grund machte Premierminister Donald Tusk nun noch einmal deutlich: „Während der Gedenkfeiern auf der Danziger Westerplatte werden wir die polnische Sichtweise vorstellen, ohne Rücksicht darauf, ob das allen gefällt oder nicht. Es wird keinerlei Zweifel daran geben, wer Henker und wer Opfer war.“ Dieser Satz hat zwei Adressaten. Zum einen Deutschland, wo seit geraumer Zeit die Rolle der deutschen Bevölkerung als Opfer des Krieges diskutiert wird. Kein Zweifel besteht in Polen daran, dass auch Deutsche gelitten haben, etwa unter den Bombenangriffen der Alliierten oder als sie ihre Heimat verlassen mussten. Allerdings wird nicht nur von national-konservativen Kreisen befürchtet, dass sich manche Deutsche von ihrer Schuld reinwaschen wollen, sich vom Henker zum Opfer des Krieges machen wollen.

Aus diesem Grund, wurde der jüngste Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim „Tag der Heimat“ mit Argusaugen verfolgt. Erleichtert kommentierte die liberale Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, dass sich die Kanzlerin in ihrer Rede ausdrücklich nicht den Forderungen der in Polen verhassten Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach angeschlossen habe. Im Gegenteil, sie habe zur deutsch-polnischen Versöhnung aufgerufen und die Vertriebenen daran erinnert, warum diese ihre Heimat verloren hätten.

Zwar dominiert im Moment eine gewisse Offenheit und Freundlichkeit das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn, doch haben nun die katholischen Bischöfe von Deutschland und Polen mit „lebendiger Sorge um den Frieden“ darauf hingewiesen, dass weiter an einem guten Verhältnis gearbeitet werden müsse. Weil die Zahl der Zeitzeugen abnehme, komme es darauf an, dass die Nachkriegsgenerationen ein angemessenes Verständnis des Weltkrieges haben und bewahren.

Auf dieser Ebene der sachlichen Diskussion ist Polen mit Russland, dem zweiten Adressaten des Tusk’schen Satzes, allerdings noch nicht angekommen. Zu lange stand Warschau unter der Knute des Kremls. Nach Ansicht vieler polnischer Historiker ist der Zweite Weltkrieg nicht allein von Nazi-Deutschland verschuldet worden, auch das sowjetische Regime habe seinen maßgeblichen Anteil daran. Erst als dieses verbrecherische Bündnis zerfiel, konnte Deutschland besiegt werden. Die Kommunisten allerdings hätten den Osten noch bis 1989 unterdrückt – eine Tatsache, die im Geschichtsbewusstsein des freien Westens kaum verankert sei.

In diesen Tagen provozierten denn auch die Thesen einiger russischer Historiker in Polen einen Aufschrei des Entsetzens. Die vertreten die Ansicht, dass es seitens der Sowjetunion gegenüber Polen während des Zweiten Weltkriegs zu „keinerlei Aggression“ gekommen sei. Mit gemischten Gefühlen wird deshalb die Teilnahme des russischen Premiers Wladimir Putin bei den Feierlichkeiten auf der Westerplatte gesehen. Steht doch dieser Mann nicht nur in den Augen der Polen für den neuen, gefährlichen Imperialismus des Kremls.

Knut Krohn[Warschau]

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