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Eine ukrainische Flagge weht in Mariupol, die Soldaten wollen sich nicht ergeben.

© Alexander Ermochenko/Reuters

Update

Russisches Ultimatum verstrichen: Ukrainische Soldaten wollen Mariupol nicht aufgeben

Etwa 400 Soldaten sollen sich im Stahlwerk der Hafenstadt verschanzt haben. Russland hatte gedroht, sie zu töten, wenn sie nicht bis Sonntagmittag kapitulieren.

Die verbliebenen ukrainischen Kämpfer in Mariupol werden sich nach Angaben der Regierung in Kiew auch nach Ablauf eines russischen Ultimatums nicht ergeben. Außenminister Dmytro Kuleba berichtete im US-Sender CBS, die eigenen Truppen seien „im Grunde eingekreist“ von russischen Truppen, die Mariupol dem Erdbodengleich machen wollten. Wörtlich sagte Kuleba: „Die Stadt existiert nicht mehr.“ Kuleba warnte aber, „dass die russische Armee, so wie sie sich in Mariupol verhält, beschlossen hat, die Stadt um jeden Preis auszulöschen.“

Zuvor hatte Regierungschef Denys Schmyhal bereits versichert, die strategisch wichtige Hafenstadt sei noch immer „nicht gefallen“. Die letzten Verteidiger „werden bis zum Ende kämpfen“, sagte Schmyhal dem US-Fernsehsender ABC.

Russland hatte den ukrainischen Kämpfern eine Frist bis Sonntagmittag gestellt, um ihre Waffen niederzulegen und die Stadt zu verlassen.

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Die russische Armee gibt an, nach wochenlangen Kämpfen die Kontrolle über Mariupol übernommen zu haben. Etwa 400 ukrainische Kämpfer befanden sich demnach zuletzt aber noch im Stahlwerk Asowstal der Hafenstadt. „Nein, die Stadt ist nicht gefallen“, betonte Schmyhal nun bei ABC. „Unsere Streitkräfte, unsere Soldaten sind noch immer dort. Sie werden bis zum Ende kämpfen. Während ich zu Ihnen spreche, sind sie noch immer in Mariupol.“

Russland hatte den in Mariupol verbliebenen ukrainischen Kämpfern für den Fall einer Missachtung des Ultimatums mit dem Tod gedroht. „Ihre einzige Chance, ihr Leben zu retten, besteht darin, freiwillig die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben", erklärte das russische Verteidigungsministerium am Samstag. „Im Fall einer weiteren Gegenwehr werden sie alle vernichtet.“

Der ukrainische Generalstab berichtete am Sonntagabend von russischen Raketen- und Bombenangriffen auf die Stadt mit früher mehr als 400.000 Einwohnern. Dabei kämen auch Überschallbomber vom Typ Tu-22M3 zum Einsatz. Besonders in der Nähe des Hafens sowie des Stahlwerks Asowstal gebe es Angriffsversuche russischer Truppen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte wiederholt erklärt, alles für eine Rettung der strategisch wichtigen Stadt tun zu wollen. Er forderte vom Westen Panzer und andere schwere Waffen, um den Osten der Ukraine zu verteidigen. Mariupol liegt im Gebiet Donezk, das prorussische Separatisten mit russischer Hilfe komplett unter ihre Kontrolle bringen wollen.

Luftangriffe auf Mariupol gehen weiter

Die Lage ist laut Selenskyj äußerst ernst. Er beschuldigte in einer Videobotschaft in der Nacht zu Sonntag Moskau, bewusst zu versuchen, alle Menschen in Mariupol auszulöschen.

Um die Situation in der Stadt zu beeinflussen, gebe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Partnerländer der Ukraine stellten sofort alle notwendigen schweren Waffen zur Verfügung, auch Flugzeuge, damit man den Druck auf Mariupol verringern und die Stadt deblockieren könne. Der zweite Weg sei ein Verhandlungspfad, bei dem auch die Partner eine maßgebliche Rolle spielen müssten.

Mariupol gilt als seit Anfang März eingekesselt. Durch die der mehr als eineinhalb Monate andauernden Kämpfe und Bombardierungen wurde die Stadt verwüstet und eine unbekannte Anzahl von Zivilisten getötet. In den vergangenen Tagen drangen russische Truppen ins Zentrum vor.

Der Einsatz von Tu-22M Überschallbombern durch die russischen Streitkräfte beim Angriff auf das Asowstal-Werk könne auf die Absicht hindeuten, den Kampf bald zu beenden, indem sie die verbliebenen ukrainischen Kämpfer mit Feuerkraft vernichteten, schrieb das US-Kriegsforschungsinstitut Institute for the Study of War (ISW) in seiner jüngsten Ukraine-Analyse.

Selenskyj: Moskaus Vorgehen in Mariupol könnte Friedensverhandlungen beenden

Selenskyj drohte Russland mit einem Ende der Friedensverhandlungen, falls die ukrainischen Kämpfer in der Hafenstadt Mariupol getötet werden sollten. „Die Vernichtung unserer Jungs in Mariupol, das was sie gerade tun (...), könnte einen Schlussstrich unter jede Form von Verhandlungen setzen“, sagte Selenskyj in einem Interview mit örtlichen Internetmedien. Selenskyj bezeichnete die Lage in Mariupol in einer Videobotschaft als „unmenschlich“.

Nach den Worten des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba kann die Entwicklung in Mariupol zur roten Linie für die Verhandlungen mit Russland werden. Die Lage in der Hafenstadt sei schrecklich, sagt Kuleba dem Sender CBS News. Zwischen den Außenministerien in Moskau und in Kiew habe es in jüngster Zeit keine diplomatischen Kontakte gegeben, erklärt der Minister.

Der russische Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin warf Selenskyj am Sonntag vor, er bewege sich gar nicht bei den Verhandlungen. Er betonte, dass die Ukraine auf ihre Gebiete Luhansk und Donezk, die Kremlchef Wladimir Putin als unabhängige Staaten anerkannt hatte, verzichten müsse.

Die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk appellierte an Russland, Fluchtkorridore für Zivilisten aus Mariupol zu öffnen. Insbesondere für Frauen und Kinder müsse ein "humanitärer Korridor" geschaffen werden, schrieb sie im Messengerdienst Telegram.

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Die Ukraine wirft Russland vor, in Mariupol und anderen ukrainischen Städten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Der Minister für digitale Transformation, Mychailo Federow, betonte, sein Land sammele derzeit alle Beweise für russische Gräueltaten. „Wir werden alles an Den Haag übergeben“, sagte er mit Blick auf den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der bereits Ermittlungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine führt. „Es wird keine Straflosigkeit geben.“

Seit dem Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem Großraum Kiew hat sich das Kampfgeschehen zunehmend auf die Süd- und Ostukraine verlagert. Experten gehen davon aus, dass Russland bis zum symbolisch enorm wichtigen 9. Mai den Sieg im ukrainischen Donbass verkünden will. Angesichts einer befürchteten russischen Großoffensive in den Donbass-Regionen Luhansk und Donezk rufen die ukrainischen Behörden die dortigen Bewohner seit Tagen auf, gen Westen zu fliehen.

Geplante Fluchtrouten blieben am Sonntag allerdings geschlossen. Es sei nicht gelungen, mit den russischen „Besatzern" zu einer Einigung über eine Feuerpause für das Gebiet zu kommen, erklärte Wereschtschuk. Bei einem tödlichen Angriff auf ukrainische Flüchtlinge im Bahnhof von Kramatorsk waren Anfang April nach ukrainischen Angaben mehr als 50 Menschen getötet worden. (dpa, AFP)

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