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Präsident Wladimir Putin bringt einen Einsatz der Armee im Kampf gegen das Virus ins Spiel. 

© Alexei Kolchin/Reuters

Update

Russische Armee im Corona-Einsatz: Wie Putin nun doch als Krisenmanager durchgreifen will

Der Kremlchef legt russischen Regionen die Hilfe der Armee nahe. Das Land bereitet sich auf den Höhepunkt der Coronakrise vor. 

Von Oliver Bilger

Militär bedeutet Stärke, also hat Wladimir Putin jetzt den Einsatz der Armee im Kampf gegen das Coronavirus ins Spiel gebracht. 

Am Montag kritisierte Russlands Präsident die Regierungsvertreter in einigen bisher noch nicht so stark betroffenen Regionen des Landes dafür, dass sie Zeit vergeudeten: „Wir haben eine Menge Probleme, wir haben nichts, womit wir besonders angeben können, und wir dürfen keinesfalls nachlassen.“

Die Regionalregierungen der Russischen Föderation sollten bedenken, dass das Verteidigungsministerium über umfassende Ressourcen verfüge, die auch genutzt werden sollten, sagte der Kremlchef. Wie genau diese Hilfe aussehen könnte, ist allerdings unklar. 

Putin, der sonst gerne stark auftretende Staatschef, wirkt im Umgang mit der Coronakrise merkwürdig schwach. „Hören Sie auf, darauf zu warten, dass ein mythischer Putin kommt und Sie rettet“, warnte etwa Jewgenia Albats, die Herausgeberin des unabhängigen Magazins „New Times“ vor Kurzem im Moskauer Radiosender Echo Moskwy, als man sie nach Hilfen in der Krise fragte.

Zwar hat sich Putin schon immer lieber auf die großen Entscheidungen und auf die internationale Bühne konzentriert. Für innenpolitische und gesellschaftliche Probleme muss in aller Regel die Regierung geradestehen oder Vertreter aus den insgesamt 85 Verwaltungssubjekten der Russischen Föderation.

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Nun aber macht sich das schlechte Krisenmanagement auch in Umfragen bemerkbar. Die Zustimmung der Russen zu ihrem Präsidenten ist nach Angaben der Meinungsforscher des unabhängigen Lewada-Zentrums im März weiter rückläufig. 

Inzwischen sagt selbst Putin, der lange Zeit darauf bestand, dass die Ansteckung „unter Kontrolle“ sei, Russland müsse bereit sein für „die kompliziertesten und außergewöhnlichsten“ Szenarien.

Als anpackender Krisenmanager trat in den vergangenen Tagen allerdings Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin hervor. Der galt den Moskauern bislang als zwar effizienter, aber eher blasser, technokratischer Stadtmanager. 

Nun war es Sobjanin, der über strikte Maßnahmen bis hin zu Ausgangssperren für die Metropole mit mindestens zwölf Millionen Einwohnern, Russlands Corona-Epizentrum, entschied. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, Apotheken und Supermärkte sind die Ausnahme. Seit Mittwoch ist für den Gang zum Arzt oder zur Arbeit ein digitaler Passierschein nötig. Am Morgen bildeten sich lange Warteschlangen an der U-Bahn. Medien und soziale Netzwerke veröffentlichten Videos und Fotos mit Menschen, die dicht gedrängt vor den Eingängen der Metro warteten.

Bürgermeister Sergej Sobjanin ist Moskaus wichtigster Krisenmanager.
Bürgermeister Sergej Sobjanin ist Moskaus wichtigster Krisenmanager.

© AFP/Sputnik/Alexander Astafyev

Höhepunkt der Krise ist nicht erreicht

Der Großteil der Russen hat überdies bis Ende des Monats arbeitsfrei. So hatte es Putin für das ganze Land verfügt. Arbeitgeber sollen weiterhin ihre Löhne zahlen. Aus welchen Mitteln, ist vielen Betrieben allerdings schleierhaft. Am Dienstag gab Putin zu, dass die verhängten Maßnahmen ein „Schock“ für die Wirtschaft sei.

Bei alldem dürfte Russland das Schlimmste erst noch bevorstehen. Nach einem anfangs moderaten Anstieg der Infizierten schnellen die Infektionszahlen nun jeden Tag weiter in die Höhe. Trauriger Rekord bislang: Am Mittwoch wurden innerhalb 3388 neue Fälle innerhalb eines Tages registriert. 

Insgesamt soll es landesweit mehr als 24.000 Infizierte geben. Fast 200 Menschen sind bislang an Covid-19 gestorben. Wobei Experten von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgehen, zumal die Testkapazitäten lange gering waren.

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Russland erwarte den Corona-Höhepunkt in zehn bis 14 Tagen, erklärte vorige Woche Weronika Skworzowa, Leiterin der Föderalen Agentur für Medizin und Biologie (FMBA). Die Zahl der Infektionen solle Anfang bis Mitte Juni sinken. 

Sobjanin sieht auch Moskau „noch nicht auf dem Höhepunkt“, wie er am Freitag erklärte, aber immerhin „irgendwo am Fuße des Gipfels“. Die nächsten Wochen werden für das Land „entscheidend“ sein, bereitete Putin am Montag seine Bürger vor.

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Die Folgen der Krise könnten heftig sein. In den kommenden zwei bis drei Wochen könnten in der Hauptstadt die Krankenhausbetten für Coronavirus-Patienten knapp werden, warnte das städtische Gesundheitsamt am Dienstag. Moskau baut bereits eine eigene Corona-Klinik. 

24 weitere Krankenhäuser sollen für die Bedürfnisse der Covid-19-Patienten umgerüstet werden. Die Gesamtzahl der Betten soll auf 21.000 steigen. Moskau verzeichnet bisher mehr als 13.000 Erkrankte. Schon jetzt gibt es Berichte, dass das medizinische Personal an der Belastungsgrenze arbeite.

Die Wirtschaft schlägt Alarm

Hinzu kommen schwere wirtschaftliche Folgen des Lockdowns sowie des arbeitsfreien Monats April. Rechnungshofchef Alexej Kudrin befürchtet eine Verdoppelung der Arbeitslosenzahl auf acht Millionen. Im Februar waren 3,4 Millionen Russen ohne Job. „Wir wissen noch nicht, ob wir die Quarantäne verlängern müssen“, sagte Kudrin. Einige Branchen in bestimmten Regionen „befinden sich in einer sehr schwierigen Situation“.

Vor allem der kleine und mittlere Betriebe sehen sich in großer Not und rechnen mit Massenentlassungen. Russlands Hotel- und Gastronomieverband Frio befürchtet, dass allein in Moskau bis zu 90 Prozent aller Restaurants und Cafés die Quarantäne-Zeit nicht überdauern werden.

Die nächsten Wochen werden für das Land „entscheidend“ sein, sagt Präsident Putin. 
Die nächsten Wochen werden für das Land „entscheidend“ sein, sagt Präsident Putin. 

© Alexei Druzhinin via REUTERS

Russlands größte Wirtschaftsverbände fordern von der Regierung ein umfassendes Maßnahmenpaket für Arbeitgeber, damit diese Löhne fortzahlen können. Viele Betriebe schickten ihre Mitarbeiter derweil in unbezahlten Urlaub. Die Regierung will Unternehmer mit Steuersenkungen, Zahlungsaufschübe und günstigen Krediten helfen. Wie erfolgreich diese Maßnahmen sind, muss sich zeigen.

Eine Gruppe liberaler Wirtschaftswissenschaftler um den ehemaligen Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, Sergej Gurijew, glaubt, dass der Staat bis zu 136 Milliarden Dollar aufbringen müsse, um die Wirtschaft zu stützen.

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Virus könnte sich im Land ausbreiten

Die Kommunistische Partei in Moskau warnte sogar vor einer Hungersnot und weit verbreiteten Protesten. „Falls in den kommenden Monaten keine Maßnahmen zur Unterstützung ergriffen werden, kann dies zu einem Massenhunger führen“, hieß es in einem Schreiben an Bürgermeister Sobjanin.

Derweil wächst die Angst, dass das Virus sich aus der Hauptstadt vermehrt im Land ausbreitet. Einige Regionen haben bereits begonnen, Einschränkungen wieder zu lockern, geschlossene Betriebe nahmen wieder ihre Arbeit auf. Die Weltgesundheitsorganisation warnte vor nachlässigem Verhalten.

Hintergründe zum Coronavirus:

Nun soll dass Militär eine wichtige Rolle spielen. Russland hatte in den vergangenen Wochen Experten aus den Streitkräften zu Hilfseinsätzen nach Italien und Serbien entsandt. „Sie haben dort schon wichtige Erfahrungen gesammelt unter reichlich schwierigen Bedingungen. Diese Erfahrungen sollten hier genutzt werden“, sagte Putin.

Hier gebe es jedoch einiges zu bedenken, warnt der renommierte Russland-Experte Mark Galeotti. Viele Fragen für ein mögliches Zusammenspiel seien offen. Mit das größte Problem: Das Militär ist zentrale Führung gewohnt.

Zentralisierung könnte zum Problem werden  

Russlands Gouverneure fehlt es indes oftmals an Erfahrung bei politische Entscheidungen. In den 20 Jahren an der Macht hat Putin die Politik des Landes immer stärker zentralisiert, was nun zum Problem werden könnte. Meist warten die Gouverneure aus Anweisung aus Moskau.

Das Militär mit Tausenden von Ärzten und riesigen beständen an medizinischer Ausrüstung sei sicher nützlich im Kampf gegen das Virus, schreibt der britische Historiker Galeotti in der „Moscow Times“. Unklar sei jedoch, ob die regionalen Gouverneure überhaupt befugt seien, den Militärs Anweisungen zu erteilen.

Putin lege einen „Großteil seiner Legitimität als Präsident in die Hände seiner Gouverneure, ohne ihnen die Werkzeuge geben zu können, die sie dafür benötigen“.

Kalkül des Kremlchefs, so Galeotti, könnte es am Ende sein, falls nötig, die Gouverneure der Untätigkeit zu beschuldigen und einmal mehr die Verantwortung aus Moskau in die Regionen zu abzuschieben.

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