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CDU-Politiker Ruprecht Polenz im Interview.

© Kai-Uwe Heinrich

Ruprecht Polenz über deutsche Kolonialverbrechen: „Das Entscheidende ist eine glaubwürdige Bitte um Entschuldigung“

Ruprecht Polenz ist seit 2015 Vertreter der Bundesregierung im Dialog um den Völkermord mit Namibia. Im Interview zieht er eine Bilanz der Verhandlungen.

Ende Mai erkannte die Bundesregierung die Gräueltaten an den Volksgruppen der Herero und Nama als Völkermord an. Mehr als 100 Jahre nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia erklärte sich Deutschland nach fast sechs Jahren dauernden Verhandlungen bereit, die Nachkommen in den nächsten dreißig Jahren mit 1,1 Milliarden Euro zu unterstützen und offiziell um Vergebung zu bitten.

Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im heutigen Namibia. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika begingen die Kolonialherren einen Massenmord, der als erster Genozid des 20. Jahrhunderts gilt.

Ruprecht Polenz (CDU) hat für die Bundesregierung die Verhandlungen mit der namibischen Regierung zu den deutschen Kolonialverbrechen geführt. Von 2005 bis 2013 war er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.

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Seit 2015 ist Polenz offizieller Vertreter der Bundesregierung im Dialog um den Völkermord mit Namibia. Im Interview spricht er über die Verhandlungen der letzten Jahre und einen nötigen Bildungsauftrag zur Geschichte des Kolonialismus.

Herr Polenz, nach mehr als 100 Jahren hat Deutschland den Völkermord nun offiziell anerkannt. Warum erst jetzt? Wurde das Thema zu lange verdrängt?
Ich glaube schon, dass das Bewusstsein dafür, dass Deutschland eine Kolonialmacht war, nie so ausgeprägt gewesen ist nach dem Zweiten Weltkrieg, wie es hätte sein sollen. Der Grund liegt meines Erachtens darin, dass Deutschland die Kolonien spätestens 1919 mit dem Friedensvertrag von Versailles verloren hatte.

Die ganze Entkolonialisierung, die in den 50er/60er Jahren mit Aufständen und langen Befreiungskämpfen erfolgt ist, hat Deutschland nicht mitbekommen. Deshalb fühlte man sich nicht (mehr) als Kolonialmacht und die Zeit war kein Thema mehr. Aber das ist natürlich falsch.

Also hätte man es eher angehen müssen?
Man muss im Hinblick auf Namibia sagen, dass das Land erst 1989 unabhängig geworden ist. Vorher war Namibia Kolonie des südafrikanischen Apartheid-Staates. Diese Verhandlungen hätten also gar nicht stattfinden können. Ab 1989 hat Deutschland zwar eine intensive Entwicklungshilfe-Beziehung mit Namibia aufgebaut und das bilaterale Verhältnis hat sich sehr gut entwickelt. Aber um dieses Thema hat man immer noch einen Bogen gemacht.

Die Gespräche über den Völkermord hätten sicherlich schon eher begonnen werden können. Auf der anderen Seite ist es trotzdem so, dass Deutschland bisher das einzige Land ist, was Verbrechen aus der Kolonialzeit in dieser Form überhaupt angeht.

Viele kritisieren die angebotene Entschädigungssumme von 1,1 Milliarde Euro. Verstehen Sie die Kritik? Ist sie gerechtfertigt?
Man kann immer sagen, etwas ist zu viel oder zu wenig, etwas kommt zu früh oder zu spät. Das sind die üblichen Kritikpunkte, die man immer anbringen kann. Wir wollen die Lebenschancen der jetzt lebenden Herero und Nama verbessern und die noch vorhandenen Wunden aus der Zeit des Völkermordes versuchen, zu heilen. Und dafür ist dieses Programm aufgelegt und es orientiert sich auch an dem, was Namibia in der Lage ist, auch tatsächlich umzusetzen.

Namibia kann beispielsweise nicht beliebig viele Krankenhäuser gleichzeitig bauen. Die Erfahrungen mit der Entwicklungshilfe haben gezeigt, dass vieles gemacht werden kann, aber eben nicht alles auf einmal. Deshalb geht die Bundesregierung davon aus, dass für die etwa 200.000 Nachfahren der Herero und Nama dieses Geld substantiell die Lebenschancen verbessern wird.

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Auf Twitter schrieben Sie im Juni: „Wir haben keinen Anspruch auf Versöhnung, aber wir können daran arbeiten, dass Versöhnung möglich wird und geschieht.“ Was ist mehr wert: Eine hohe Geldsumme oder eine Entschuldigung?
Ich glaube, das Entscheidende ist eine glaubwürdige Bitte um Entschuldigung. Wir haben auch deshalb verhandelt, weil es genau darum ging, wie das richtig gemacht wird. Man muss ja auch die Fragen beantworten: Was soll denn aus der Bitte um Entschuldigung folgen? Oder ist das nur ein Lippenbekenntnis? Wir mussten auch definieren: Für was genau bitten wir denn um Entschuldigung? Benennen wir die Verbrechen auch tatsächlich so, wie sie gewesen sind? Oder drücken wir uns drum herum?

Deshalb ist der gemeinsame Text entstanden, der mit der genauen Schilderung der damaligen Verbrechen beginnt, sie als Völkermord bezeichnet. Dafür will Deutschland um Entschuldigung bitten. Daraus folgen das Programm mit den Projekten und eine Stiftung für eine gemeinsame Erinnerungskultur. Ich glaube, das sieht man auch in den namibischen Medien, dass dieses Eingeständnis einer Schuld und die Bitte um Entschuldigung ganz entscheidend sind. Die Verletzung des Rechtsgefühls durch das Unrecht der damaligen Verbrechen, das ist schon das Zentrale.

Afrika wird gerade von der Pandemie überrollt, wichtige Herero-Politiker, die an den Verhandlungen beteiligt waren, sterben an Covid-19. Wie ist der derzeitige Stand in den Verhandlungen?
Die Verhandlungen sind abgeschlossen mit der Paraphierung der gemeinsamen Erklärung. Zed Ngavirue, der namibische Verhandlungsführer und selbst ein Herero, ist leider an Covid gestorben. Der nächste Schritt ist, dass dieses paraphierte Abkommen von den beiden Außenministern unterzeichnet wird.

Das hätte schon erfolgen sollen, ist dann einmal verzögert worden, weil die namibische Außenministerin darum gebeten hatte, die Parlamentsdebatten in Namibia abzuwarten. Eine hat inzwischen stattgefunden, im Moment findet aber wegen Covid kein Parlament statt, sodass wir warten müssen, bis das Parlament wieder tagt.

Zum Abschluss noch eine Frage abseits der Verhandlungen: Im Schulunterricht sind die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht kaum ein Thema. Finden Sie, dass dem mehr Beachtung geschenkt werden sollte?
Ja sicher! Ich erhoffe mir sehr, dass die Stiftung Schulbuchprojekte initiiert, so wie wir das mit Polen und Frankreich hatten. Die Nachbarschaftsgeschichte ist mittlerweile in den Schulbüchern anders dargestellt und vor allem auch in der Breite und Tiefe umfangreicher. Das muss mit der Kolonialgeschichte auch passieren.

Dazu braucht es Fachleute aus Namibia und Deutschland, die sich zusammensetzen und Empfehlungen abgeben, was in die Schulbücher reinkommen soll. Im Ergebnis muss es dazu führen, dass die Kolonialzeit angemessen dargestellt wird.

Das ist auch schon deshalb wichtig, weil wir in ein ganz neues Verhältnis zu afrikanischen Ländern kommen müssen, wenn wir die gegenwärtigen Herausforderungen bewältigen wollen, Stichwort Klimawandel, Stichwort Migration. Dazu ist es wichtig, dass man eine gemeinsame Basis gefunden hat, wie man mit der kolonialen Vergangenheit umgehen will.

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