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Demonstranten in Bukarest protestieren gegen ein Dekret der Regierung zur Straffreiheit von Korruption.

© dpa

Update

Rumänien: Hunderttausende protestieren gegen neues Korruptionsgesetz

Rumäniens neue sozialliberale Regierung hat sich selbst in eine Krise manövriert, indem sie den Kampf gegen Korruption erschwerte. Jetzt gibt es Massenproteste.

Kaum ein Monat im Amt hat die sozialdemokratische Regierung in Rumänien einen Großteil der Gesellschaft gegen sich aufgebracht. Trotz der heftigen Proteste, an denen in den vergangenen zwei Wochen Zehntausende teilnahmen, verabschiedete das Kabinett unter Ministerpräsident Sorin Grindeanu am Dienstagabend eine Eilverordnung, die zahlreichen korrupten Politikern, Beamten und Geschäftsleuten nutzt.

Das dreiseitige Regelwerk ändert das Strafgesetzbuch an den Stellen, wo es sich um Tatbestände wie Amtsmissbrauch oder Interessenkonflikte geht. Damit wird nicht nur die Verfolgung dieser Straftaten deutlich erschwert. Auch laufende Ermittlungen in mehr als 2500 Fällen müssen eingestellt werden. Und selbst Personen, die rechtskräftig verurteilt worden sind, dürfen nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen freikommen. Die Reaktion der Rumänen war beeindruckend: In der größten landesweiten Demonstration seit der Wende versammelten sich am Mittwochabend fast 300.000 Rumänen in Bukarest und anderen Großstädten, um ihre Wut auszudrücken. Die Teilnehmer wollen durch tägliche Proteste die Rücknahme der Eilverordnung und den Rücktritt des Kabinetts erzwingen.

Hauptprofiteurin der Änderungen ist die Führungsriege der Regierungspartei PSD, allen voran ihr Vorsitzender Liviu Dragnea, dem die Staatsanwälte Anstiftung zum Amtsmissbrauch vorwerfen. Der neuen Verordnung zufolge muss der Prozess gegen den PSD-Vorsitzenden eingestellt werden. Auch zahlreiche amtierende oder frühere Minister, Abgeordnete und Bürgermeister, die ihre Verwandten und Geschäftspartner begünstigt, Luxuswagen mit EU-Geldern gekauft oder Aufträge überteuert vergeben hatten, werden jetzt ähnlich wie Dragnea ihre Probleme mit der Justiz los. Chef-Staatsanwältin Laura Codruta Kövesi, die Leiterin der von vielen gefürchteten Sonderabteilung für die Bekämpfung der Korruption (DNA), kritisiert aufs Schärfste die Änderungen des Strafgesetzbuchs, die ihr einen Strich durch die Rechnung machen. Sie schätzt den dadurch entstandenen Schaden auf ungefähr eine Milliarde Euro, die der Staatskasse nun entgehen.

EU-Kommissionspräsident Juncker ist äußerst besorgt

Auch der Oberste Rat der Magistraten, das Selbstverwaltungsorgan der Justiz, zeigte sich entsetzt, und kündigte am Mittwoch an, das Verfassungsgericht einschalten zu wollen. Doch dafür könnte es zu spät sein: Manche Bestimmungen des Regelwerks sind seit Dienstagabend gültig, die umstrittensten Änderungen treten innerhalb von zehn Tagen in Kraft. Selbst wenn sie im Nachhinein für grundgesetzwidrig erklärt werden sollten, finden sie trotzdem Anwendung, denn im Strafrecht gilt die für die Angeklagten mildeste Regelung, falls das Strafgesetz während des Prozesses geändert wurde. Die bürgerliche Opposition droht mit einem Misstrauensantrag und denkt sogar über einen Parlamentsboykott nach.

Der Kommissionspräsident der EU, Jean-Claude Juncker, zeigte sich „äußerst besorgt“ angesichts der Entwicklungen in Rumänien. Zu den entschlossenen Kritikern der Nacht-und-Nebel-Aktion der Regierung zählt auch Präsident Klaus Johannis, der von einem „Trauertag für den rumänischen Rechtsstaat“ sprach und sich als Garant der Korruptionsbekämpfung und Held der Protestbewegung zu inszenieren versucht. Für viele entbehrt dies allerdings nicht einer gewissen Ironie, denn der Staatschef ist selbst in eine Affäre um ein gefälschtes Testament verwickelt, genießt aber laut Verfassung während seiner Amtszeit absolute Immunität.

Silviu Mihai

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