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Ukrainische Truppen auf einem Militärfahrzeug.

© Jana Cavojska/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

„Rüstungswettlauf im Donbass“: So stehen die Chancen der Ukraine gegen Russlands neue Taktik

Russlands Armee hat bei der zweiten Großoffensive im Nachbarland ihre Taktik geändert. Sie soll Putin endlich Erfolge liefern. So ist die Ausgangslage.

Russland hat nach dem Scheitern seiner ersten Angriffswelle gegen die Hauptstadt Kiew die seit Tagen erwartete Offensive auf den Osten und Süden der Ukraine begonnen. Die Frontlinie ist länger als 400 Kilometer.

Wie könnte sich der Krieg jetzt entwickeln?

Margarete Kleins Prognose klingt düster. „Der Krieg wird immer brutaler“, sagt die Militär- und Russland-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie erwartet, dass die russische Armee zuerst großflächig Städte und Stützpunkte der Ukrainer bombardiert und danach große Geländegewinne anstrebt.

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Dann könnten ukrainische Städte im Donbass und später auch im Süden eingekesselt und belagert werden. „Wir müssen wohl auch damit rechnen, dass wir Bilder wie in Butscha noch häufiger als Teil einer psychologischen Kriegsführung sehen werden“, sagt Klein.

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Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) sagt: „Wir erleben gerade eine Art Rüstungswettlauf im Donbass. Die Eile, mit der die Russen die Offensive vorantreiben, könnte bedeuten, dass sie Gebiet erobern wollen, bevor westliche Waffen für die ukrainischen Verbände eingetroffen sind.“

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Unter den Gegebenheiten des Donbass sei schweres Gerät wichtiger als panzerbrechende Infanteriewaffen. Es sei schwer vorherzusagen, wie die Kämpfe in den kommenden Tagen ablaufen werden. „Die mutmaßlichen Angriffsachsen der Russen zielen auf Slowjansk oder Dnipro oder irgendwo dazwischen.“ Die Ukrainer versuchen seiner Einschätzung nach südlich von Charkiw eine Gegenoffensive, um den Aufmarsch der Russen zu stören.

Wie viele Soldaten kämpfen auf beiden Seiten?

Allein auf Grund der Truppenstärke sei eine flächendeckende Eroberung der Ostukraine für die Russen schwer zu erreichen, meint Klein. Den mehr als 120.000 russischen Soldaten sollen etwa 80.000 ukrainische gegenüberstehen. Die Zahlen sind schwer zu verifizieren.

Auch Klein hat den Eindruck, dass Putin für einen schnellen Sieg die Truppen fehlen. Dafür sei eine Übermacht von drei zu eins in der Fläche erforderlich, im Häuserkampf in den Städten sogar sieben bis zehn zu eins. Sie rechnet mit einer längeren „Abnutzungsschlacht“. Über den Ausgang entscheide auch, wer den Nachschub mit Waffen besser sichere.

Joachim Krause nennt andere Zahlen bezogen auf den Donbass, betont aber ebenfalls, dass es wenig offene Quellen gebe. Laut US-Regierung haben die Russen mittlerweile etwa 40 taktische Bataillonsgruppen im Donbass. Das entspräche 40.000 bis 45.000 Soldaten, 10.000 mehr als vor einer Woche.

Die Neuzugänge halten sich im Gebiet nördlich des Donbass auf. Unklar sei, ob die irregulären Verbände der zwei so genannten „Volksrepubliken“ dabei mitgezählt sind– etwa 25.000 bis 30.000 Mann. Zudem sei unbekannt, wie einsatzfähig diese Truppen sind.

Die Ukraine braucht jetzt vor allem schwere Waffen.
Die Ukraine braucht jetzt vor allem schwere Waffen.

© REUTERS

Unterschiedliche Angaben gebe es auch über Bewaffnung, Moral und Logistik der neu aufgestellten Verbände. Michael Kofman, einer der besten Kenner der russischen Streitkräfte, halte die russischen Truppen für derzeit nicht fähig zu einer entscheidenden Offensive, sagt Krause. Andere Experten sind anderer Meinung.

Die ukrainischen Truppen im Donbass umfassten vor Kriegsausbruch neun bis zehn Brigaden, also 30.000 bis 35.000 Mann. Russen wie Ukrainer hätten seither schwere Verluste erlitten, die sie in unterschiedlichem Maße auszugleichen versuchen, erklärt Krause. Die Russen setzen demnach auf Umgruppierungen und die Verlegung der neu zusammengestellten Truppen. Die Ukrainer auf das Aufgebot von Reservisten und Milizen und die Ausrüstung mit westlichen Waffen.

Reichen die Waffen für die Ukraine aus?

Diese Frage könne man anhand offener Quellen kaum beantworten, sagt Krause. „Die Amerikaner, die Briten, die Slowaken, die Polen und auch die Australier haben sich bemüht, so viel wie möglich rüber zu bringen, während der Bundeskanzler immer noch die Abstimmung mit den Alliierten sucht. Viele Waffen sind in der Ukraine angekommen, wie viele davon schon im Donbass sind, weiß ich nicht.“

Immerhin, es bewegt sich etwas. Niederlandes Premierminister Mark Rutte kündigte am Montag nach einem Telefonat mit dem Präsident der Ukraine an, man werde nun auch schweres Material in das Land liefern. Darunter sollen auch gepanzerte Militärfahrzeuge sein.

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Klein analysiert, die Ukrainer würden vor allem versuchen, die eigene Umkreisung zu verhindern, um nicht von Nachschub an Truppen, Waffen und Lebensmittel abgeschnitten zu werden. „Bislang ist es den ukrainischen Kräften immer wieder gelungen, die russischen Verbindungslinie wirkungsvoll anzugreifen.“

So hätten sie das Vorrücken der Russen gestoppt und gezielt deren Kommunikation ausgeschaltet. Bei der Lokalisierung von Zielen bekommen die Ukrainer offenbar auch Unterstützung von den USA. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es allerdings nicht.

Wie sehr steht Putin unter Zeitdruck?

Der Zeitdruck ergebe sich aus zwei Faktoren, sagt Krause. Zum einen aus dem Ziel, westliche Waffenlieferungen zu verhindern, die den ukrainischen Widerstand stärken. Zum anderen aus dem Bestreben, am 9. Mai einen Erfolg vorzuweisen, den Putin als Grundlage benutzen könnte, um von einem erfolgreichen Ende der begrenzten Militäroperation zu sprechen und einen einseitigen Waffenstillstand auszurufen.

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Der russische Präsident hat ein Faible für besondere Daten. Am 8.8.08 begann der Einmarsch der russischen Truppen in Georgien. In der Nacht zum 22.2.22 erklärte Putin der Ukraine in einer einstündigen Fernsehansprache den Krieg. Nun könnte sich sein Fokus auf den 9. Mai richten, glaubt auch Politikwissenschaftlerin Klein. Der „Tag des Sieges“ über Nazi- Deutschland gilt als wichtigster Feiertag in Russland.

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Für Putin, der den Krieg gegen die Ukraine als Kampf gegen den Faschismus bezeichnet, sei er ein idealer Anlass, um einen Erfolg zu verkünden. Doch den müssen seine Truppen erst einmal liefern. „Wegen der immer größer werdenden Kriegskosten ist der Druck hoch, einen symbolischen Sieg zu erreichen“, sagt Klein.

Sollte es der russischen Armee nicht gelingen, bis zum 9. Mai große Teile des Donbass zu erobern, sei das aber wohl zu verkraften für den Kreml, analysiert die Russland-Expertin. Der Druck von der Straße sei weitgehend gebrochen worden. „Putin ist der Meister des Narrativs“, sagt sie.

Schon jetzt könne der russische Präsident es als Erfolg vermelden, dass seine Soldaten eine Landbrücke auf die Krim erobert hätten. Auch ein Fall der Stadt Mariupol, wo momentan noch heftige Kämpfe um das Asow-Stahlwerk geführt werden, sei vor allem von symbolischem Wert. „Mariupol ist ein Zeichen des ukrainischen Widerstands, den Putin um jeden Preis brechen will.“

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