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Bodo Ramelow, Gregor Gysi

© Arno Burgi/dpa

Update

Rot-Rot-Grün für Thüringen: "Unrechtsstaat" DDR: Gysi rudert zurück

Die Linkspartei kann die Debatte über die DDR als "Unrechtsstaat" nicht eindämmen - und gefährdet so eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen. Gregor Gysi allerdings lenkt ein.

Von Matthias Meisner

Im Streit um das Diskussionspapier für die Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grünen und der Linkspartei in Thüringen hat der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, eingelenkt. Zu dem von ihm kritisierten Papier, in dem die DDR als "Unrechtsstaat" bezeichnet wird, sagte er im Sender Phoenix: "Das Papier aus Thüringen hat ja Kompromisscharakter, das ist ja differenziert. Also ich hätte mich über den Begriff geärgert, aber es trotzdem unterschrieben." Die DDR sei "eine Diktatur" und "kein Rechtsstaat" gewesen. Es habe "staatlich verordnetes Unrecht und auch staatlich verordnetes grobes Unrecht", sagte Gysi.

Die Verhandler der drei Parteien in Erfurt hatten sich vergangene Woche auf den Begriff "Unrechtsstaat" für die DDR geeinigt - weil die Wahlen nicht frei waren, die Justiz politisch und Willkür herrschte. Deutliche Vorbehalte dagegen hatte unter anderem Gysi, geäußert. "Wir sind uns einig, diese Bezeichnung nicht zu verwenden", sagte er der "Super-Illu".

Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, ermahnte seine Genossen, die Chancen auf eine rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen mit einem Linke-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nicht zu verspielen. Höhn sagte am Donnerstag dem Tagesspiegel, die Führung der Bundespartei stehe hinter den Sondierungen mit SPD und Grünen in Erfurt und den bisherigen Ergebnissen. "Es war und bleibt auch richtig, dass sich Rot-Rot-Grün eine gemeinsame Haltung zur Aufarbeitung des Unrechts in der DDR erarbeitet hat."

Matthias Höhn
Linke-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn: Rot-Rot-Grün in Thüringen zum Greifen nahe

© Daniel Reinhardt/dpa

Höhn rief Bundespolitiker der Linkspartei zur Ordnung, die den in Thüringen verabredeten Kompromiss infrage gestellt hatten. Er sagte: "Ratschläge, die in einer solchen Situation öffentlich von außen erteilt werden, sind selten hilfreich, egal ob sie klug oder gut gemeint sind." Höhn sagte zur Lage in Thüringen: "Um wieviel es geht, sieht man an der Nervosität und Konfusion, die die Unionsparteien allein durch die Aussicht erfasst hat, dass ein rot-rot-grüner Politikwechsel unter Führung der Linken in einem Bundesland Realität werden könnte." Die bisherigen Sondierungsergebnisse zeigten, "dass ein sozial-ökologischer Politikwechsel zum Greifen nahe ist".

Kipping: r2g-Papier mehr als ein Kompromiss

Auch Linke-Parteichefin Katja Kipping warb für einen Erfolg der rot-rot-grünen Sondierungsgespräche in Thüringen. Das gemeinsame Papier zur Bewertung der DDR sei "nicht einfach ein Kompromiss, den wir leidvoll ertragen müssen", schrieb sie am Freitag auf ihrer Facebook-Seite. "Es zeigt, dass Rot-Rot-Grün mehr sein kann, als die parlamentarische Summe dreier Parteien. Und zwar nicht nur auf dem Feld der Geschichtspolitik." Die angestrebte Koalition würde "Thüringen ein ordentliches Stück sozialer, demokratischer und grüner machen". Die Linke-Chefin gab zu, der verabredete Begriff "Unrechtsstaat" für die DDR führe bei vielen Mitgliedern ihrer Partei und bei vielen Menschen, die in der DDR gelebt haben, zu Unverständnis, "weil sie durch diese Bezeichnung ihren Versuch nach dem Faschismus in Deutschland ein anderes, ein sozialistisches Land aufzubauen, herabgewürdigt sehen". Sie erklärte: "Das macht die Diskussion so schwierig."

Enkelmann spricht von Kampfbegriff

Die Chefin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar, Enkelmann, nannte dagegen den Plan, den Begriff "Unrechtsstaat" in den Koalitionsvertrag in Thüringen aufzunehmen, einen Fehler. Unrechtsstaat sei lange als Kampfbegriff verwendet worden, sagte die langjährige Parlamentsgeschäftsführerin der Linke-Bundestagsfraktion der "taz". "Wir brauchen einen Kompromiss, der der DDR eher gerecht wird." Es müsse eine Lösung geben, die nicht nur die Verhandlungskommission um Ramelow akzeptiere, "sondern auch unsere Basis".

Unrechtsstaat - oder nicht? Protest gegen einen Auftritt von Egon Krenz am vergangenen Dienstag in Berlin
Unrechtsstaat - oder nicht? Protest gegen einen Auftritt von Egon Krenz am vergangenen Dienstag in Berlin

© Britta Pedersen/dpa

Gehrcke: Begriff entwertet Lebensleistung von DDR-Bürgern

Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke, äußerte ungeachtet der Ermahnung der Parteispitze Kritik an dem Begriff "Unrechtsstaat" für die DDR. Dieser sei "historisch falsch, politisch interessengelenkt und wissenschaftlich unhaltbar", sagte er. "Dem Begriff ,Unrechtsstaat' folgt die Totalitarismusideologie, das heißt, die Gleichsetzung von Hitlerfaschismus und DDR auf dem Fuße". Der hessische Bundestagsabgeordnete, der zum linken Flügel seiner Partei gehört, betonte: "Gysi hat Recht." Er sagte, die "Brandmarkung der DDR als .Unrechtsstaat' entwertet, ob gewollt oder nicht, die Lebensleistung vieler Bürgerinnen und Bürger dieses Staates". Sie mache per se auch alle Gesetze, die in der DDR erlassen worden sei, zu Unrecht.

Gesine Lötzsch
Ex-Linke-Parteivorsitzende Gesine Lötzsch: "Kann man deshalb von einem Unrechtsstaat sprechen?"

© Marc Tirl/dpa

Lötzsch: DDR wird in unmittelbare Nähe zum Faschismus gerückt

Die ehemalige Linke-Parteivorsitzende Gesine Lötzsch verglich das Unrecht in der DDR mit dem in der Bundesrepublik. "Der Begriff ,Unrechtsstaat' ist nicht nur ein Schlüsselbegriff in der Auseinandersetzung um die DDR, es ist ein Zukunftsbegriff", schreibt sie in ihrem Newsletter - und verwies auf die angebliche Alternativlosigkeit der Politik der Bundesregierung. "Es gibt angeblich keine Alternativen zu Waffenlieferungen in Krisengebiete, zur Privatisierung von Straßen, zur Bankenrettung, zum Rentenunrecht und schon gar keine Alternative zum Kapitalismus." Sie schloss an: " Die nächste Generation soll erst gar nicht über Alternativen zum Kapitalismus nachdenken. Die DDR wird pauschal als als Unrechtsstaat definiert und in die unmittelbare Nähe zum Faschismus gerückt." Lötzsch meint: "Ja, in der DDR wurden Gesetze gebrochen, Menschenrechte verletzt und Oppositionelle schikaniert und verfolgt. Das ist unbestritten und schlimm. Doch kann man deshalb von einem Unrechtsstaat sprechen?"

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Lötzsch verwies darauf, dass sie den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages um eine Analyse des Begriffes "Unrechtsstaat" gebeten habe. Der Kernsatz dieser aus dem Jahr 2008 stammenden Expertise nach ihrer Darstellung: "... es (geht) zumeist darum, die politische Ordnung eines Staates, der als Unrechtsstaat gebrandmarkt wird, von einem rechtsstaatlich strukturierten System abzugrenzen und zu diskreditieren." Die Politikerin, in Berlin-Lichtenberg direkt gewählte Bundestagsabgeordnete, kommentierte: "Das sind klare Worte!"

Thierse hat Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Linkspartei

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warf Gysi im Deutschlandfunk vor, er verweigere sich "einem klaren Urteil", dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Wer so argumentiere wie Gysi, säe Zweifel an der Fähigkeit der Linken zum Mitregieren.

Bodo Ramelow
Bodo Ramelow am vergangenen Samstag auf einer Linke-Basiskonferenz in Sömmerda

© Martin Schutt/dpa

Ramelow: Gysi-Aussagen "wenig hilfreich"

Ramelow nannte Gysis Vorbehalte gegen den "Unrechtsstaats"-Begriff "nicht gerade hilfreich". "Die DDR war eine Diktatur", sagte er im Deutschlandfunk. Es habe eine DDR-Rechtssprechung gegeben, "aber die Anwendung des Rechts endete dort, wo die Mächtigen eingegriffen haben". Dies sei "staatlich organisiertes Unrecht" gewesen. In dem Gespräch erklärte er auch: "Die westdeutschen Konzerne haben mit diesem Unrechtsstaat auch herrlich Profit gemacht." Auf die Frage, ob er klipp und klar die DDR als Unrechtsstaat sehe, sagte er: "Ich weiß es nicht." Mike Mohring, CDU-Fraktionschef im Landtag von Thüringen, kommentierte das Ramelow-Interview auf Facebook: "So ein Geschwurbel. Ich frage mich wirklich, warum die Bürgerrechtler vom Bündnis 90 bei den Grünen dies durchgehen lassen."

Grüne: Zurück hinter das Papier wird es nicht geben

Für den Fall einer Relativierung der zu diesem Punkt getroffenen Verabredungen hatten die Grünen in Thüringen mit einem Abbruch der Sondierungsgespräche gedroht. Die Verhandler von Linkspartei, SPD und Grünen in Erfurt bemühten sich am Donnerstag, die vielstimmigen Äußerungen aus der Linken-Bundesspitze herunterzuspielen. Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow erklärte am Rande einer Sondierungsrunde, dass es in diesem umstrittenen Punkt kein Zurück mehr gebe. "Die Erklärung gilt." Die Verhandlungsführer von SPD und Grünen, Andreas Bausewein und Dieter Lauinger, begrüßten diese Klarstellung. Der Streit innerhalb der Linken sei „nicht schlimm", hieß es. Schließlich habe man eine Diskussion anstoßen wollen.

Sollte ein rot-rot-grünes Bündnis zustande kommen, hat Bodo Ramelow gute Chancen, als erster Links-Politiker zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden. Parallel zu den Sondierungen mit Grünen und Linken spricht die SPD auch mit der CDU über eine mögliche Regierungsbildung. Wie die Sache ausgeht, soll sich am 20. Oktober entscheiden. Dann will der SPD-Landesvorstand seinen Mitgliedern eine Empfehlung geben, mit wem Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen. Zu dieser Empfehlung sollen die 4300 Mitglieder der SPD noch vor der formellen Aufnahme von Koalitionsverhandlungen befragt werden. (mit AFP)

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