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Grünen-Chef Robert Habeck vor der Parteizentrale

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Robert Habeck zur Corona-Politik: Autorität der Kanzlerin „auf fast tragische Weise zerstört“

Grünen-Chef Habeck spricht im Interview über seine Erwartungen an das Konjunkturpaket, das Krisenmanagement der Bundesregierung - und Kurzstreckenflüge.

Robert Habeck ist seit Januar 2018 gemeinsam mit Annalena Baerbock Vorsitzender der Grünen. Nach dem Studium der Philosophie und Germanistik arbeitete der heute 50-Jährige zunächst als Schriftsteller, er ist Vater von vier Söhnen. Vor seinem Wechsel in die Bundespolitik war Habeck von 2012 bis 2018 Umweltminister und stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein.

Herr Habeck, viele Menschen haben während des Lockdowns ihre Wohnungen und Keller entrümpelt. Wovon haben Sie sich getrennt?

Von Atemlosigkeit, die mein Leben in den Monaten davor geprägt hatte.

Haben Sie sich auch von dem Gedanken getrennt, als grüner Kanzlerkandidat anzutreten?

Ich weiß, dass die Frage nach Kanzlerkandidaten und Umfragen wichtig erscheinen. Aber für mich galt vor der Krise und gilt heute: Wir ziehen unsere Stärke daraus, dass wir uns nicht ständig mit uns selbst beschäftigen.

Womöglich hat sich die Sache mit der Kanzlerkandidatur für die Grünen mit Corona ja ohnehin erledigt, Sie selbst haben neulich gesagt, die Krise habe Ihnen und der Partei „in vollem Lauf die Beine weggehauen".

Mir ging es so, wie vielen, die durch Corona aus ihrem Alltag rausgerissen wurden und sich erst einmal neu einrichten mussten. In den letzten zwei Jahren war viel ich im Land unterwegs, in x Dörfern und Städten. Die Nähe, die direkte Diskussion sind wichtiger Teil meiner politischen Arbeit, und das brach völlig weg, weil plötzlich „Menschen meiden, Abstand halten“ das Gebot der Stunde war. Da musste ich mich neu orientieren.

Warum fällt Ihrer Partei das Wiederaufstehen so schwer?

Tut es nicht. Wir haben uns aufs digitale Arbeiten verlegt und den ersten digitalen Parteitag Deutschlands abgehalten. Wir haben als erste Partei ein Programm vorgelegt, wie Deutschland sich nach der Krise erholen und erneuern kann. Wir sind wieder voll im Lauf.

Voll im Lauf? In den Umfragen sind Sie nach unten gerauscht.

Und seit ein paar Wochen steigen sie wieder. Es war doch klar, dass in einer Phase, in der sich alle fragen, wie sie durch den Tag kommen, die im Fokus stehen, die darüber entscheiden. Das ist nun mal die Bundesregierung.

Das macht Sie nicht nervös?

Null. Bei der Bundestagswahl wird es nicht darum gehen, wie man den Tag übersteht, sondern wie wir in die Zukunft kommen. Bis dahin können alle noch Umfrage-Sprünge in alle Richtungen erleben und keiner kann sagen, wie es ausgeht. Das wäre Spökenkiekerei. In solch wechselhaften Zeiten muss man bei sich selbst bleiben und sich auf die Arbeit an der Wirklichkeit konzentrieren.

Sieht die Wirklichkeit nicht so aus, dass im Moment viele Menschen Angst vor dem Virus und der Wirtschaftskrise haben, die Sorge vor dem Klimawandel aber in den Hintergrund tritt?

Natürlich müssen wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen und Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber wir sollten aus der Krise lernen. Vielleicht war es das erste Mal, dass Gesundheitsvorsorge wichtiger war als Gewinninteressen und Wachstum. Die Lehre daraus ist , dass wir unsere Wirtschaft so gestalten, dass sie den gemeinsamen Interessen dient und krisenfest wird. Und Umwelt- und Klimaschutz sind Teil der Gesundheitsvorsorge. Corona hat gezeigt: Die Zeit der kleinen Kompromisse ist vorbei. Alle Parteien können viel größer denken. Mit dem Geld, das wir jetzt mobilisieren, müssen wir beide Krisen bekämpfen: die Wirtschafts- und die Klimakrise.

Warum sollte das Wähler überzeugen, die gegenwärtig um Arbeitsplatz und Existenz fürchten?

Weil wir durch die richtigen Investitionen Jobs schaffen, die auch in Zukunft noch da sein werden. Durch die falschen schaffen wir Arbeitslosigkeit von morgen. Wir dringen auf Instrumente, die einen Innovationsschub entfalten: beispielsweise höhere Abschreibungsmöglichkeiten für Klima-Investitionen, Zuschüsse für Unternehmen, die in eine klimafreundliche Infrastruktur investieren. 

Wie viele Jobs lassen sich so retten?

Ehrlicherweise kann das niemand sagen. Nach der letzten Finanzkrise hat Deutschland so einen Aufschwung hingelegt, weil die anderen europäischen Staaten und die USA unsere Produkte gekauft haben. Die sind aber selbst in einer schweren Wirtschaftskrise. Wir werden uns nicht aus der Krise rausexportieren können. Wir sind darauf angewiesen, dass andere Länder auf die Beine kommen, auch deswegen ist europäische Solidarität so wichtig. Wir müssen aber auch die Binnennachfrage gezielt stimulieren. Nicht durch die Abschaffung des Soli für Spitzenverdiener, das wird die Konjunktur nicht ankurbeln. Wir schlagen stattdessen unter anderem Kauf-Vor-Ort-Gutscheine vor, die dazu beitragen, Innenstädte wieder zu beleben. Eine starke Senkung der Strompreise würde viel Kaufkraft mobilisieren. Und um gerade kleineren und mittelständischen Unternehmen zu helfen, sollten Verluste aus dem Jahr 2020 besser mit Gewinnen der Vorjahre verrechnet werden können.

Weltweit stellen Politiker den Klimaschutz in Frage. Warum sind Sie so sicher, dass die Grünen bald wieder durchdringen mit der Mahnung: Wer das Klima nicht schützt, bereitet den Boden für weit schlimmere Entwicklungen?

Sicher sein kann man sich nicht. Denn solche Stimmen gibt es in Deutschland auch. Der Wirtschaftsrat der Union wollte die Klimaziele strecken. Und ich befürchte, dass die Bundesregierung den Absatz von Diesel und Benzinern mit Steuergeld fördert.

Sie glauben nicht mehr an eine deutsche Vorreiterrolle?

Wir müssen den politischen Druck erhöhen, dass Beschlüsse zum Klimaschutz nicht beiseitegeschoben werden. Ein Beispiel: Die Europäische Kommission hat gerade eine sehr gute Biodiversitätsstrategie vorgestellt, die Klima- und Artenschutz in der Landwirtschaft voranbringen würde. Die Kanzlerin müsste das zu einem zentralen Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft machen. Wir werben dafür, aber ich bezweifle, dass sie den Mut hat, sich gegen die Widerstände in den eigenen Reihen durchzusetzen. Dabei sind die Deutschen viel weiter, als Angela Merkels Partei denkt.

Woran machen Sie das denn fest?

Vor der Krise hieß es, ein Tempolimit auf Autobahnen würde die Freiheit einschränken. Nach den Corona-Entscheidungen wirkt das geradezu lächerlich. Wenn man mutig agiert, kann man die Bereitschaft zur Veränderung breit verankern. Ehrgeizige Politik hat eine zweite Luft bekommen, die sollten wir nutzen.

Umfragen zufolge wächst nicht der Wille zur Veränderung, sondern die Skepsis. Die steigt ebenso wie die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien…

Umfragen sind Momentaufnahmen und oft in sich widersprüchlich. Es sprechen sich ja viele für Klimaschutz und eine andere Form der Tierhaltung aus und haben gleichzeitig Sorge vor Veränderungen. Genau darin liegt die Aufgabe: Deutlich zu machen, dass wir ziemlich viel ändern müssen, um Sicherheit zu geben. Es gibt einen großen Wunsch nach Orientierung, Erklärung und das Bedürfnis, Teil eines Sinnzusammenhangs zu sein. Wenn man den richtigen Ton für gute Argumente findet, kann die Corona-Erfahrung auch politische Entscheidungen möglich machen, die vorher blockiert waren.

Eine psychologisch derart kluge Erklär- und Überzeugungsarbeit - trauen Sie das der Kanzlerin zu?

Am Anfang hat sie eine große Fersehansprache gehalten. Ihre Botschaft lautete: Wir haben eine völlig unbekannte Situation, wir werden uns immer wieder hinterfragen und korrigieren müssen. Dadurch hat sie Gemeinsamkeit ermöglicht. Aber auf fast tragische Weise haben einzelne Ministerpräsidenten ihre Autorität zerstört, weil sie vorgeprescht und ohne Abstimmung eigene Wege gegangen sind. Es ist der Kanzlerin zuletzt nicht mehr gelungen, den Sinn der Entbehrungen und Einschränkungen zu erklären.

Besser erklären, dann wäre die Bilanz der Bundesregierung makellos?

Der Hauptfehler der Bundesregierung war nicht die Kommunikation. Die Bundesregierung hat ein Machtvakuum aufkommen lassen. Sie hat erstens die Instrumente für eine zielgerichtete Bekämpfung des Virus zu lange nicht auf den Weg gebracht: Auf die Corona-App, die für Ostern versprochen war, warten wir noch immer, noch immer ist nicht klar, wer wirklich für die Pandemiewirtschaft verantwortlich ist. Zweitens hat die Bundesregierung keine Perspektive aufgezeigt. Dann hätte man nach einheitlichen Kriterien der regionalen Lage angepasst gemeinsam vorgehen können. Viele Bundesländer haben deshalb ihr Heil in eigenen Entscheidungen gesucht. Dadurch wurde Vertrauen verspielt.

Sie haben kürzlich eine Impfpflicht gegen Corona befürwortet für den Fall, dass sich nicht genügend Menschen impfen lassen. Stehen Sie dazu?

Ich habe auf eine abstrakte Frage abstrakt geantwortet. Bei intensiverer Betrachtung führt die Debatte um eine Impflicht in die Irre. Die entscheidende Frage ist ja, ob und wann überhaupt ein Impfstoff zur Verfügung steht. Dann werden sehr viele Menschen weltweit eine Impfdosis brauchen. Es geht also darum, wie wird er verteilt. Im Land, aber auch global.

Wie würden Sie die Verteilungsfrage lösen?

Entscheidend ist, unter welchen Bedingungen ein Impfstoff produziert wird. Normalerweise funktioniert Pharmaindustrie ja so: Forschung ist teuer, die Pharmafirmen finanzieren sie, indem sie nach der Entwicklung ein Patent anmelden und damit das Geld wieder hereinholen. Das ist aber bei für die ganze Menschheit lebenswichtigen Wirkstoffen ein Problem. Es braucht daher eine faire Vereinbarung für Lizenzen, die eine schnelle und massenhafte Produktion ermöglicht. Und verbindliche Regelungen, die sicherstellen, dass auch die Länder des Südens ausreichend Zugang zum Impfstoff bekommen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie diese Fragen jetzt angeht

Bei den Grünen gibt es auch Impfgegner. Kann das zum Problem werden in Zeiten von Corona?

Wir haben wie auch andere Parteien Mitglieder, die der Schulmedizin skeptisch gegenüberstehen. Ich denke aber, dass die Corona-Krise eher dazu geführt hat, dass das Vertrauen in Wissenschaft, Forschung und die klassische Medizin gewachsen ist. Alternativmedizin kann man gut finden oder nicht, in Fragen von Leben und Tod ist sie falsch.

Schadet es der Glaubwürdigkeit der Grünen, wenn Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor fordert, während die Bundespartei das ablehnt?

Winfried Kretschmann hat da einen regionalen Blick als Ministerpräsident eines Landes mit einem Autokonzern, der beim ökologischen Wandel vergleichsweise große Probleme hat. Wir wollen die deutschen Autobauer für den Weltmarkt fit halten – und der verabschiedet sich gerade vom fossilen Verbrennungsmotor. Statt Kaufprämien für Verbrenner sollte man Strukturveränderungen anstoßen.

Nochmal: Schadet es den Grünen nicht, wenn Ihr einziger Ministerpräsident in so einer Frage eine Forderung erhebt, die Sie für grundfalsch halten?

Wir kommen zu unterschiedlichen Schlüssen.

Ihre Partei hat die Staatshilfen für die Lufthansa kritisiert. Hätten die Milliarden an den Verzicht auf Inlandsflüge geknüpft werden müssen?

Neun Milliarden Euro sollen ausgegeben werden, ohne dass die Lufthansa verbindlich darlegen muss, wie der Ausstoß von Treibhausgasen verringert wird. Die deutschen Steuerzahler retten einen Konzern, der dem Gemeinwohl nichts zurückgibt. Das ist wirklich schlecht verhandelt. Frankreich hat es mit Air France besser gemacht.

Würden Sie Inlandsflüge verbieten?

Inlandsflüge pauschal nicht. Aber von Nürnberg nach München oder von Düsseldorf nach Frankfurt zu fliegen ist Unsinn, darauf könnten wir gut verzichten. Strecken, die man mit dem Zug in weniger als vier Stunden erreichen kann, sollten nicht mehr geflogen werden. 

Sie haben jüngst gesagt, Sie wären jetzt gern in Regierungsverantwortung. Hatten Sie das Gefühl, abseits zu stehen, während andere in der Krise Entscheidungen treffen?

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass mir der Abschied von meinem Amt als Landesminister und stellvertretender Ministerpräsident unendlich schwergefallen ist. Und jeder weiß, dass wir die Grünen in die Regierung führen wollen, um zu gestalten. Es stimmt, dass es die Stunde der Exekutive war, im Guten wie im Schlechten. Ich bin Politiker geworden, weil ich Verantwortung tragen will. Ich würde mich jetzt lieber von Ihnen fragen lassen: Herr Habeck, was haben Sie bei der Kommunikation ihrer Regierungsentscheidungen falsch gemacht?

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