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Linken-Politiker Bodo Ramelow (links), Bernd Riexinger beim Auftakt des Thüringen-Wahlkampfs Ende August in Gera

© Bodo Schwackow/dpa

„Richtig auf die Fresse bekommen“: Linke fürchtet nach Wahldebakel ein Hauen und Stechen

Die Wahlresultate in Sachsen und Brandenburg sind für die Linkspartei ein Desaster. Nun beginnt die Fehlersuche – und alte Konflikte brechen neu auf.

Von Matthias Meisner

Eigentlich möchte sich Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow an diesem Montag nicht in die parteipolitischen Auseinandersetzungen hineinziehen lassen. Lieber will der Linken-Politiker beim Telefonat mit dem Tagesspiegel seine Amtskollegen aus Brandenburg und Sachsen loben, die aller Voraussicht nach im Amt bleiben dürfen.

„Er hat das solide gemacht“, sagt Ramelow über CDU-Mann Michael Kretschmer. Er wünsche dem Sachsen-Regierungschef ebenso wie dem brandenburgischen Sozialdemokraten Dietmar Woidke Fortune zur schnellen Regierungsbildung. „Ich freue mich, dass sich diejenigen geirrt haben, die die Unregierbarkeit von Sachsen und Brandenburg vorausgesagt haben.“

Auf seine eigene Partei kommt Ramelow nur auf Nachfrage zu sprechen. Die hat am Sonntag in beiden Bundesländern krachend verloren: In Brandenburg, wo sie an der Regierung beteiligt war, sackte sie um 7,9 Punkte auf 10,7 Prozent ab.

In Sachsen, wo die Linke seit 1990 in der Dauer-Opposition ist, hat sie nur noch 10,4 Prozent der Stimmen bekommen, ein Minus von 8,5 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren. Einziger Lichtblick für die Genossen: Die Linke Juliane Nagel verteidigte in Leipzig ihr 2014 erstmals gewonnenes Direktmandat. In Brandenburg bekam die Linke keines.

Regieren oder Opponieren? Das ist nicht die Frage

Entscheidend, schlussfolgert Ramelow, sei nicht die Frage, ob nun Regieren oder Opponieren besser sei. Sondern, ob es der Partei gelinge, ihre Relevanz für die gesellschaftlichen Debatten deutlich zu machen. „Wir müssen klar machen, was wir in Deutschland verändern wollen, den Gebrauchswert neu definieren.“ Dass es daran bei den Linken in Brandenburg und Sachsen gehapert hat, scheint für Ramelow außer Frage zu stehen.

Was nun, Frau Kipping? Die Linken-Vorsitzende am Wahlabend im Wahlstudio des ZDF in Dresden
Was nun, Frau Kipping? Die Linken-Vorsitzende am Wahlabend im Wahlstudio des ZDF in Dresden

© Jürgen Lösel/dpa

Der Spitzen-Linke, der bei der Wahl Ende Oktober in Thüringen sein Amt als Ministerpräsident verteidigen will, formuliert das indirekt, indem er andere Landesverbände lobt. Die Berliner Linke zum Beispiel, die an der Seite der Mieter eine Diskussion führe, „die den Menschen unter die Haut geht“. Es sei „kein Wunder“, dass der Hauptstadt-Verband so gute Umfragewerte habe.

Und auch für Thüringen mag Ramelow mit Blick auf den Wahltag nicht schwarz sehen. Die rot-rot-grüne Landesregierung zeichne sich aus durch Stabilität, Kenntnis und Ausstrahlung. Das Dreierbündnis habe deshalb gute Chancen, auch nach dem Herbst weiter in Erfurt zu regieren.

Für die Strategen der Partei ist das Resultat in den beiden Ost-Bundesländern eine Katastrophe. Horst Kahrs, der regelmäßig nach Wahlen die Lage im Auftrag der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung analysiert, schreibt seinen Genossen, sein Wahlnachtbericht falle diesmal „in mancher Hinsicht eher ratlos“ aus. „Die Linke ist die Verliererin des Wahlabends“, schreibt er, habe das ohnehin schon schlechte Ergebnis der Europawahl im Mai nochmals unterschritten.

Langjährige Diskussionen, ob die der Linken nun die Rolle als Regierungs- oder als Oppositionspartei besser zu Gesicht stünde, hätten, sich als „wenig zielführend“ erwiesen. Der Versuch in Sachsen, sich wieder stärker auf die ländlichen Regionen auszurichten, habe nicht zu den kurzfristig erhofften Erfolgen geführt. Ebenso gilt das laut Partei-Stratege Kahrs für die Absicht der Brandenburger Linken, „in der Regierungsrolle eine Verjüngung der Partei durchzuführen“.

Wahlverlierer. Sachsens Linksfraktionschef Rico Gebhardt gibt am Sonntag seine Stimme ab.
Wahlverlierer. Sachsens Linksfraktionschef Rico Gebhardt gibt am Sonntag seine Stimme ab.

© Martin Schutt/AFP

Es setzt sich fort, was sich schon bei der Bundestagswahl 2017 abzeichnete: Die Linke verliert im Osten an Zuspruch, während sie sich im Westen konsolidiert. Offenbar sterben die treuen Anhängerinnen und Anhänger nach und nach aus. Für Brandenburg und Sachsen hält Kahrs fest: „Die zwischenzeitlich überdurchschnittliche Zustimmung unter Jüngeren ist nicht mehr zu beobachten.“

Als „neuen, eher lähmenden Konflikt“ sieht Kahrs die Auseinandersetzung über die Zielgruppen der Partei: Ist sie vor allem „Anwalt der Armen und Schwächeren in der Partei“, wie es unter anderem Noch-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihr Gatte, der ehemalige Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine sehen? Oder versteht sie sich als entschiedene Verfechterin von „Menschheitsfragen“ wie dem Klimawandel? Letzteres eine Linie, die unter anderem von Parteichefin Katja Kipping vertreten wird.

„Wir waren zu leise“

Die in Leipzig erfolgreiche Juliane Nagel sieht eine dreifache Erklärung für das enttäuschende Wahlergebnis der Linke in Sachsen. „Wir haben es nicht geschafft unsere politischen Vorschläge plastisch werden zu lassen“, sagt sie. Daran habe auch die demokratische Kultur der CDU Schuld, die nie einen Vorschlag der Linke durchs Parlament habe gehen lassen.

Zudem sei die Stimmung in Sachsen verhetzt, AfD, Pegida und andere schürten seit vier Jahren Hass. „Die CDU dockt dort an und widerspricht nicht“, sagt Nagel. Ihrer Partei rät sie darüber hinaus dringend, in die Offensive zu gehen. ”Wir waren zu leise. Und wir müssen den Menschen Schutz geben, die ihn jetzt dringend brauchen“, sagt Nagel.

Jetzt kein Hauen und Stechen, appelliert Ramelow

Was Wahlkämpfer wie Ramelow nun nicht gebrauchen können, ist Streit. „Ich kann meiner Partei nur empfehlen, jetzt nicht in ein Crescendo oder ein Hauen und Stechen zu verfallen“, appelliert der Thüringer.

Ob das vermeidbar ist? Die ersten Äußerungen am Wahlabend lassen nichts Gutes erahnen. Wagenknechts Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch twitterte nur eineinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale: „Meine Partei hat an diesem Sonntag ein beispielloses Desaster erlegt, obwohl viele engagiert gekämpft haben. Wir müssen strategische, programmatische und weitere Grundfragen stellen und beantworten. #keinweiterso.“

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Und Fabio De Masi, Vize-Fraktionschef und enger Vertrauter von Wagenknecht, schrieb im Kurznachrichtendienst: „Meine Partei hat im Osten richtig auf die Fresse bekommen. Die AfD ist gestärkt. Wegducken und Schönreden geht jetzt nicht mehr.“

Er fügte hinzu: „Als die Titanic den Eisberg rammte, wurde auf dem Oberdeck weiter getanzt, während im Maschinenraum und bei den einfachen Passagieren bereits das Wasser stieg. Am Ende sank das ganze Schiff. Kann auch für Parteiführungen lehrreich sein!“

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