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Die Büste von Richard Wagner.

© dpa

Richard Wagner: Der entsetzliche Ton

Dass Hitler ihn mochte, dafür kann Richard Wagner nichts. Aber für den Primärschmutz auf seinem Namen ist er selbst verantwortlich. Auf der Spur seines Judenhasses.

Was ist das? Der „Walkürenritt“ in den Straßen Tel Avivs? Er hat jedes Mal die gleiche Wirkung, Menschen greifen hastig in ihre Taschen, Ende Walküre, Beginn des Gesprächs. Richard Wagner zählt zu den größten Komponisten für Mobiltelefone, auch hier. Aber sie sind seine einzige Bühne in Israel. Das letzte große Tabu der Musikgeschichte, noch ist es ungebrochen: Wagner spielen in Israel.

Im Jahr 2001 fuhr Daniel Barenboim mit der Berliner Staatskapelle nach Jerusalem. Schubert, Mahler und Beethoven wollten sie spielen, und am dritten Tag Wagners „Die Walküre“, erster Akt, mit Placido Domingo. Das „Walkürenkonzert“ war sofort ausverkauft.

Schon zuvor hatten israelische Richter die Klage eines Holocaust-Opfers gegen ein israelisches Orchester abgewiesen, welches das „Siegfried-Idyll“ aufführen wollte. Dieses kleine Stück Musik gehört zum Intimsten, zum Zärtlichsten, was je in Noten gefasst wurde. Das Gericht beschied dem Kläger in aller Kühle, eine Aufführung des „Siegfried- Idylls“ könne dem Schoah-Überlebenden „nicht direkt schaden“. Also erklang es, und ein alter Mann, der seine ganze Familie in Auschwitz verloren hatte, brach mit einer Rassel ins „Idyll“ ein. Erboste Zuhörer nahmen sie ihm weg.

Aber die Partei des alten Mannes ist stärker, bis heute. Vor genau einem Jahr sollte das erste große Wagner-Konzert in Israel stattfinden, in der Universität von Tel Aviv. Bis die Universitätsleitung bekannt gab, zu ihrem „Entsetzen“ erfahren zu haben, dass „Werke des deutschen Komponisten Richard Wagner gespielt werden sollen“. Sie verschloss sorgfältig ihre Tür. Dann spielt ihr eben bei uns!, überlegte das „Hilton“, traute sich dann aber doch nicht.

Auch Daniel Barenboim hatte 2001 unter massivem öffentlichen Druck das „Walkürenkonzert“ schließlich absagen müssen. Doch am letzten Tag des Gastspiels hing eine Mitteilung ans Orchester im Hotelfoyer. Zweite Zugabe: „Vorspiel und Liebestod“, stand da. Von Wagner kein Wort, das war auch nicht nötig, es gibt nur einen „Liebestod“. „Tristan“!

Das Englischhorn war gleich dagegen. Was hast du?, sprach eine Bratsche zur anderen, es ist eine Zugabe, wer’s nicht hören will, kann doch gehen. – Ja schon, aber wir nicht!, antwortete in stiller Verzweiflung die zweite. Später sagte Barenboim auf der Probe, dass niemand gegen seinen Willen und sein Gewissen spielen müsse.

Was lässt Musikern fast den Bogen aus der Hand fallen und alte Männer zu Rasseln greifen bei einer Musik, die so viel vom Menschen weiß, die mitunter so zart, so zerbrechlich ist – der Widerruf allen Triumphes, allen Siegens?

Auch die Erfinder des Massenautomobils und der Glühbirne waren Antisemiten. Doch das ist etwas anderes. Wer mag sich von einem Antisemiten dort berühren lassen, wo er am schutzlosesten ist: am Herzen? Selbst Menschen, die Wagners Musik lieben, neigen dazu, sich noch im selben Atemzug vom Menschen Wagner zu distanzieren. Sein Charakter steht bis heute unter Miserabilitätsverdacht, Stufe 1.

Und daran, scheint es, ist auch nichts zu ändern, denn wer wollte in den Ruf eines Antisemiten-Verstehers geraten? Das sind die gedanklichen Zirkel der political correctness. Dass Menschen eines späteren Jahrhunderts sich instinktiv von ihm abwenden, hätte Richard Wagner vermutlich tief geschmerzt, gar entsetzt, gerade ihn, diesen doch so weichen, so empfindsamen Menschen.

Dafür, dass Hitler ihn mochte, kann Wagner nichts. Und was die Gaskammern mit Tannhäuser zu tun haben, dem Ritter, der nicht bei den Nazis, sondern nur zu lange im Venusberg war, wird das Geheimnis des Opernregiedebütanten Burkhard C. Kosminski bleiben. Die neue Düsseldorfer Inszenierung wurde soeben abgesetzt, nachdem sich zehn Zuschauer nach der Vorstellung in ärztliche Behandlung begeben mussten. Aber für den Primärschmutz auf seinem Namen ist Wagner selbst verantwortlich. Er muss damit leben, noch im Tode. Auch das ist historische Gerechtigkeit.

Wagner wollte sich „Das Judenthum in der Musik“ ersparen

Und vielleicht sollte man die alten Hass-Gespenster wirklich nicht aufwecken, gäbe es da nicht jene, die wie der Intendant der Komischen Oper Barrie Kosky erklären: Den Antisemitismus habe es immer gegeben, es werde ihn immer geben, und er bleibe sich stets gleich. Nichts kann verfehlter sein, als gerade diese traurige Feindschaft in den Rang einer negativen Gottheit zu erheben, ausgerechnet sie mit der Aura des Ewigen zu umgeben.

Es sind nur 15 Seiten Text. 15 erschreckende und doch auch lächerliche Seiten. Die wenigsten haben sie gelesen. Aber ihren Titel kennt man: „Das Judenthum in der Musik“, geschrieben im August 1850. Da war der vormalige Königlich-Sächsische Hofkapellmeister und gescheiterte Dresdner Revolutionär 37 Jahre alt. Nur ein irrer, kleiner Zufall hatte ihn 1849 davor bewahrt, mit seinen Hauptmitrevolutionären auf der Festung Königstein zu sitzen und sein Todesurteil in Empfang zu nehmen. Seinem Empfinden nach gehörte er mehr auf die Seite der Toten als auf die der Lebenden. Den „Lohengrin“ hatte er der Revolution zum Opfer gebracht. Man spielt keine Opern von Revolutionären, es war sein Risiko.

Wäre alles nach Richard Wagner gegangen: er hätte sich – und uns – „Das Judenthum in der Musik“ erspart. Denn nur ein Jahr später hatte er endgültig erkannt, dass er nicht in diese Welt passte. Und dass er wohl nie wieder eine Oper schreiben werde. In Paris waren die Parolen der Revolution an den Häuserwänden noch lesbar gewesen, aber die Geldherrschaft etablierte sich selbstgewisser, und, wie Wagner fand, schamloser als je zuvor.

Er, der Unterlegene, wollte im August 1850 längst auf irgendeinem orientalischen Basar sitzen, in seinem Lärm untergehen, den Rufen eines Muezzin oder gar eines Rabbiners lauschend. Der Orient, befand Richard Wagner, sei genau der richtige Ort, sich selbst und die Oper zu vergessen. Alle Abschiedsbriefe waren geschrieben, die Fluchtgründe aus Europa längst dargelegt: „Für jetzt ist die moderne Welt hinter mir geschlossen, denn ich hasse sie und mag nichts mehr mit ihr, noch mit dem was man heut zu Tage in ihr ‚Kunst’ nennt, zu thun haben.“

Was aber nannte man „heut zu Tage“ dort „Kunst“?

Gerade eben hatte er in Paris Giacomo Meyerbeers Wiedertäufer-Oper „Der Prophet“ gesehen und das Theater in einem Anfall akuter musikalischer Übelkeit mitten in der Vorstellung verlassen. Aber das Publikum war begeistert, zumal der dritte Akt zum ersten Mal in der Geschichte der Oper elektrisch beleuchtet wurde. „Der Prophet“ spielte allein bis zu seiner 100. Aufführung eine dreiviertel Million Francs ein und machte seinen Schöpfer endgültig zum König der Pariser Oper sowie zum Kommandanten der Ehrenlegion. Für Richard Wagner: ein bloßes Konsumprodukt. Er wusste schon, welches Schiff er nehmen wollte.

„Das Judenthum in der Musik“ handelt von Giacomo Meyerbeer, eigentlich Jakob Liebmann Meyer-Beer aus Berlin, Sohn eines Zuckerfabrikanten und Bankdirektors. Aber Meyerbeers Name fällt nicht, schließlich hatte Wagner ihn einst bewundert. Oder hatte er eher seinen Erfolg bewundert, in der Illusion der Jugend, mit dem doppelten Talent das Doppelte erreichen zu können?

In seiner schlimmsten Pariser Not, zehn Jahre zuvor, hatte er sich Meyerbeer als „Sclaven“ angeboten, in einem verzweifelten Brief, der unterwürfig und ironisch zugleich gewesen war: „... mir kann kein Wucherer mehr helfen; denn der kann nicht erkennen, wie ich ihm wiederzahlen soll . . . Göthe ist todt, – er war auch kein Musiker; mir bleibt niemand als Sie. . . . Hier bin ich; hier ist der Kopf, das Herz u. hier die Hände Ihres Eigenthumes: Richard Wagner.“ Heißt: Wenn jemand wissen konnte, was er wert war – zeitgenössisch kapitalistisch gesprochen: was an ihm verwertbar war –, dann dieser musikalische Bankdirektorssohn, auf dessen Fürsprache hin schließlich sein „Liebesverbot“ am Pariser Renaissance-Theater aufgeführt werden sollte. Leider ging das Renaissance-Theater an dem Tage in Konkurs, an dem Wagner seine neue Wohnung bezogen hatte, die er nun nicht mehr bezahlen konnte. Vermittlung an ein Pleite-Institut: Es war wohl nicht Bosheit, nur die Gedankenlosigkeit eines „Besserverdienenden“, zehn Jahre her.

Auch diesmal steht kein guter Stern über ihren Begegnungen. Ob er denn künftig Opern für die Barrikaden schreiben wolle, fragte ihn Meyerbeer, als Wagner, noch ganz erhitzt von der verratenen Revolution, in der Pariser Redaktion des jüdischen Pariser Musikverlegers Maurice Schlesinger stand, für den er einst wie um sein Leben geschrieben hatte. Es war beiderseitige heftige Verlegenheit.

Wagner meint an den Juden die „Kälte der bürgerlichen Gesellschaft“ zu erkennen

Der an allen Fronten Geschlagene macht sich Luft, jetzt, ein Jahr später. Meyerbeer, der weniger Begabte mit allen Chancen, wird zu „dem Juden“. Wenn Wagner schon den Lauf der Welt nicht aufhalten kann, so will er doch immerhin nachweisen, dass der Händler, der Geschäftsmann, der Diplomat – diese Virtuosen der Menschenferne – vielleicht über die mittlere Geisteslage der Zukunft verfügen, aber eines niemals werden können: Künstler.

Die Sprache des Geldes ist abstrakt, auch die des Rechts, aber die der Kunst ist es niemals. Wagner ortet ein Sprachproblem: „Der Jude“ habe kein Talent zur Musik, schon weil er keine eigene Sprache besitze. „Der Jude spricht die Sprache der Nation, unter welcher er von Geschlecht zu Geschlecht lebt, aber er spricht sie immer als Ausländer.“ Seine eigene aber, die hebräische, sei ihm „nur als eine tote erhalten“. Diese Abgeschiedenheit von sich selbst mache seine Tragik und seine Unfähigkeit aus. Er habe sie, suggeriert der Autor, als Geschäftsgesinnung kompensiert.

Wagner meint an den Juden immer wieder Unverbindlichkeit, „kalte Gleichgültigkeit“, „Mangel rein menschlichen Ausdrucks“ der Rede zu bemerken. Alles das, was man einmal – auch jüdischerseits – die „Kälte der bürgerlichen Gesellschaft“ nennen wird. Nur so lassen sich Sätze wie der folgende verstehen: „Wir können uns auf der Bühne keinen antiken oder modernen Charakter, sei es ein Held oder ein Liebender, von einem Juden dargestellt denken, ohne unwillkürlich das bis zur Lächerlichkeit Ungeeignete einer solchen Vorstellung zu empfinden.“ Das vollkommen Unzulässige an der Schrift liegt offen zutage: die Abstraktion, die Rede von „dem Juden“, die den Einzelnen zum bloßen Exemplar, zum Wiedergänger eines allgemeinen Charakters – noch nicht einer Rasse! – macht.

„Der Wechsel ist der weltliche Gott des Judentums“, hat der Rabbinersohn Karl Marx gesagt. Sie gehören zur gleichen Generation. Und ihre Aussagen über die Juden klingen fast gleich. Nur dass Marx wusste: Nicht die Juden haben den Kapitalismus erfunden, wohl aber befreite das beginnende bürgerliche Zeitalter die Juden aus den Ghettos und stellte sie an die Spitze einer Entwicklung.

„Das Judenthum in der Musik“ ist ein verbaler Amoklauf gegen das Kalkülhafte in der Kunst, gegen ihre Kommerzialisierung, ihre Effektemacherei, gegen eine Musik, die wie alles andere zur Ware wird. Diesen Gedanken erträgt Wagner nicht.

Wer hatte sich da beim Pariser Musikverleger Schlesinger gegenübergestanden? Der Jude dem Nichtjuden? Nicht eher der unbeteiligte Großbürgerssohn dem knapp entkommenen Revolutionär? Der Erfolgreiche dem, der gerade alles aufs Spiel gesetzt und verloren hatte? Der immer Erlösungsbedürftige einem kühlen Verstandesmenschen der Musik? Viel eher müsste man von einem latenten Klassengegensatz sprechen, und in der Tat ist Richard Wagner ohne seinen gleichsam plebejischen Kern, sein plebejisches Temperament nicht zu begreifen, das ihn immer wieder Dinge tun lässt, die aller Lebensklugheit, ja den Gesetzen der bloßen Selbsterhaltung ins Gesicht schlagen: Unfähig zu jedem Kunstkompromiss, schreibt er statt Opern nur noch theoretische Aufsätze, die Titel tragen wie „Kunst und Revolution“ und die seine Frau genauso abscheulich findet wie die Anschauungen und Freunde ihres Mannes. Und als er einmal doch wieder Opern schreiben wird, dann solche, für die es kein Publikum gibt und auch kein Theater, das sie aufführen könnte.

August 1850. Wagner ist nicht in den Orient gefahren. Gemeinsam mit einer jungen, unglücklich verheirateten Engländerin wollte er fliehen, aber die hat im letzten Augenblick alles ihrer Mutter gesagt. Er ist zurück in seinem unlebbaren Leben, keine Note traut sich zu ihm aufs Papier. Er beginnt seinen fatalen Aufsatz.

Wagner verwechselte, sehr vorsätzlich, den „Juden“ mit der Ich-Gestimmtheit des bürgerlichen Zeitalters, seiner Selbstverhärtung. Musik ist immer Kommunion – Verschmelzung im überindividuellen Raum –, und Wagners Musik will diesen selbstgewissen Egoismus unterlaufen, um „alles wegzuschwemmen, was zum Wahn der Persönlichkeit gehört“. „Tristan“!

Sommer 2001. Nach der zweiten Zugabe fängt Barenboim an zu reden, ganz leise, auf Hebräisch. „Wagner!“, ruft eine Frau in der elften Reihe, packt ihren Mann und zieht ihn aus dem Saal. Jubel. Schmäh-Rufe. Barenboims leise Stimme. Größerer Jubel, Faschisten-Rufe. 40 Minuten lang. Und dann fängt das an. Diese klagenden Aufschwünge. Saaltüren knallen noch in das ungeheure Verlöschen, aber es ist nicht mehr aufzuhalten.

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