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Axel Reimann (64) ist seit dem 1. Oktober 2005 Mitglied des Direktoriums der Deutschen Rentenversicherung Bund und seit April 2014 deren Präsident.

© Doris Spiekermann-Klaas

Rentenversicherungs-Chef Reimann: "Viele Selbstständige sorgen nicht genug fürs Alter vor"

Der Präsident der Rentenversicherung Axel Reimann über die Probleme des Systems, die Höhe der Leistungen und den Wahlkampf.

Ist das deutsche Rentensystem am Ende?

Nein, im Gegenteil. Die Rentenversicherung ist in guter Verfassung. Die Menschen in Deutschland sind im Alter im Regelfall gut abgesichert. Der Anteil der Menschen, die über kein ausreichendes Einkommen im Alter verfügen, ist vergleichsweise gering.Viele Jüngere haben die Sorge, am Ende ihres Berufslebens kaum noch etwas herauszubekommen...

Die Rentenversicherung hat sich bisher selbst in Krisenzeiten als leistungsfähig erwiesen. In ihren 125 Jahren hat noch keine Generation erleben müssen, dass sie am Ende nichts herausbekommen hat. Aber natürlich hängt ein Rentensystem davon ab, wie sich die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt entwickeln.

Ist also gar keine Reform notwendig?

Natürlich muss die Rentenversicherung immer wieder an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden. Vor Schnellschüssen kann ich aber nur warnen. Alterssicherung ist auf Langfristigkeit, Tragfähigkeit und Verlässlichkeit angelegt. Man sollte sich daher sorgfältig anschauen, ob und in welchen Bereichen es Änderungsbedarf gibt, und diesen dann beheben.

Das Thema Rente sollte aus dem Wahlkampf herausgehalten werden?

Das Thema Rente betrifft alle, insofern kann man es nicht komplett aus dem Wahlkampf heraushalten. Aber die Politik sollte jetzt keine Leistungen versprechen, die sich nachher nicht finanzieren lassen. Außerdem ist es wichtig, so viel Konsens wie möglich herzustellen. Es stärkt nicht das Vertrauen ins Rentensystem, wenn in einer Legislaturperiode Entscheidungen getroffen werden, die in der nächsten zurückgenommen werden.

SPD-Chef Sigmar Gabriel will verhindern, dass das Rentenniveau weiter sinkt...

Es ist berechtigt, die Frage aufzuwerfen, welches Rentenniveau wir auf lange Sicht anpeilen. Bisher gibt es nur die Vorgabe, dass das Rentenniveau bis 2030 nicht unter 43 Prozent sinken darf. Man muss nun klären, ob wir neue Zielgrößen insbesondere für die Zeit danach brauchen und wie sie aussehen sollen. Die demografische Entwicklung hört ja nicht 2030 auf. Klar ist: Ohne weitere Festlegungen wird der Beitragssatz weiter ansteigen und das Rentenniveau weiter zurückgehen.

Das Rentenniveau wurde gesenkt in der Erwartung, dass die Bürger diese Einbußen durch zusätzliche private Vorsorge ausgleichen. Hat die Politik sich da verrechnet?

Immerhin haben 16 Millionen Menschen einen Riestervertrag abgeschlossen, und die Absicherung über Betriebsrenten hat zugenommen. Aber es stimmt, dass ein Teil der Bevölkerung bisher nicht in der Lage oder willens war, ergänzende Vorsorge zu betreiben. Hier gibt es weiteren Handlungsbedarf.

Brauchen wir die Riester-Rente überhaupt? Würde es nicht reichen, wenn zur gesetzlichen Rente für jeden noch eine verlässliche Betriebsrente dazukommt?

Momentan ruht die Altersvorsorge auf drei Säulen: der gesetzlichen Rente, der betrieblichen Absicherung und der privaten Vorsorge. Wir müssen definieren, was jede dieser Säulen für die Sicherung des Lebensstandards leisten soll und für wen.

Die Koalition hat schon zu Beginn der Legislatur viel Geld für die Rentner ausgegeben. Gibt es überhaupt noch Spielraum?

Es handelt sich um Leistungszusagen, die über viele Jahrzehnte zu erbringen sind. Insofern hat man sich natürlich Spielräume eingeengt.

Im Koalitionsvertrag steht, dass es künftig eine sogenannte Lebensleistungsrente geben soll. Was halten Sie davon?

Das Anliegen der Koalition, die Einkommenssituation von Geringverdienern im Alter zu verbessern, ist nachvollziehbar. Bei einer Leistung, die von einer individuellen Bedürftigkeit abhängig gemacht wird, bewegt man sich aber im Bereich der Fürsorge. Deren Finanzierung wäre folglich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und müsste aus Steuern erfolgen. Auch ist die Rentenversicherung nicht auf Bedürftigkeitsprüfungen ausgerichtet. Hinzu kommt, dass das Existenzminimum, vor allem wegen unterschiedlicher Wohnkosten, regional keineswegs einheitlich definiert ist. Auch mit einer Lebensleistungsrente von etwa 800 Euro werden nicht selten zusätzlich Leistungen der Grundsicherung erforderlich sein.

Die SPD argumentiert, wer lebenslang gearbeitet hat, muss im Alter eine auskömmliche Rente haben. Was stört Sie daran?

Der Abstand zwischen Grundsicherung und Rentenleistungen muss im Normalfall groß genug bleiben – das muss auch auf lange Sicht sichergestellt sein. Man muss aber auch die Löhne im Blick haben. Denn letztlich ist die Rente ein Spiegel der Erwerbs- und Einkommensbiografie.

Was ist denn aus Ihrer Sicht ein besseres Mittel gegen Altersarmut?

Wir brauchen zielgenaue Lösungen für die Menschen, bei denen das Risiko von Altersarmut höher ist, wie etwa bei Selbstständigen, Langzeitarbeitslosen, Erwerbsgeminderten oder Geringverdienern. Wenn es um mehr Anreize für Altersvorsorge geht, wären Freibeträge in der Grundsicherung hilfreich. Die Menschen wüssten dann, dass sie einen Teil ihrer Ersparnisse im Alter behalten können. Das würde auch Geringverdiener motivieren, mehr Vorsorge zu betreiben.

Würde es helfen, Selbstständige in die Rentenversicherung einzubeziehen?

Tatsächlich sorgt ein erheblicher Teil der Selbstständigen nicht genug vor und ist im Alter auf Grundsicherung angewiesen. Das sollte die Gesellschaft auf Dauer nicht akzeptieren. Zumindest Selbstständige ohne Altersvorsorge sollten obligatorisch in der Rentenversicherung abgesichert werden.

Beamte brauchen Sie nicht?

Da wäre ich zurückhaltend. Man würde wahrscheinlich mehr Anwartschaften übernehmen, als an zusätzlicher Finanzierung hereinkommt.

Im Juli gibt es die höchste Rentenerhöhung seit Langem – mit 4,25 Prozent im Westen und 5,95 Prozent im Osten. Werden die guten Zeiten für Rentner anhalten?

Auf längere Sicht ist den Prognosen zufolge mit Rentenanpassungen von gut zwei Prozent zu rechnen. Dabei wird von Lohnerhöhungen in einer Größenordnung von rund drei Prozent ausgegangen.

Im Konkurrenzkampf mit der privaten Altersvorsorge hat das Umlagesystem also bis auf Weiteres die Nase vorn?

Die gesetzliche Rentenversicherung steht im Vergleich gut da, zumal wenn die Niedrigzinsphase anhält. Aber das darf uns nicht zum Nichtstun verleiten. Wir brauchen ein langfristiges Konzept für die Alterssicherung als Ganzes, und zwar nicht im Gegeneinander, sondern im Miteinander der drei Säulen.

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