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Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast.

© dpa

Renate Künast über Sterbehilfe: Gemeinnützige Sterbehilfevereine sollten in Deutschland erlaubt sein

Politiker und Ärzte schreiben bei Tagesspiegel-Online, was sie ganz persönlich über das Thema Sterbehilfe denken. Soll sie erlaubt sein oder nicht? Renate Künast im ersten Teil unserer Debatte.

Die aktive Sterbehilfe – also die Tötung auf Verlangen – ist in Deutschland verboten. Aber: Der Freitod ist in Deutschland straffrei. Die Beihilfe zum Freitod deshalb logischerweise auch. Juristisch gesprochen heißt es, dass es keine strafbewehrte Beihilfe geben kann, wenn keine strafbare Haupttat vorliegt. So sagt man gemeinhin: „Er hat seinem Leben ein Ende gesetzt“. „Seinem“ Leben! Es gibt keinen Anspruch auf Erklärung oder Entschuldigung. Auch wenn wir uns als Freunde oder Familie jede Menge quälende Fragen stellen.

In der CDU wird nun die Forderung erhoben, die Arbeit der organisierten Beihilfe (Vereine) zum Freitod strafrechtlich zu ahnden. Ich halte das für den falschen Ansatz: weder wird damit Alleinstehenden oder Menschen, die das nicht mit nächsten Angehörigen besprechen wollen oder können, geholfen. Noch wird die Chance genutzt, Menschen, die sich in großen Nöten befinden, ein ergebnisoffenes Gespräch anzubieten. Die Tabuisierung würde vergrößert, aber nicht die Prävention. Letztere setzt Offenheit und intensive professionelle Gespräche voraus. Wir brauchen mehr Fürsorge und Beratung, nicht mehr Strafrecht.

Manche bieten als Alternative eine Ausdehnung der Palliativmedizin und mehr Hospize an. Beides halte ich für dringend nötig. Ebenso eine Qualifikation der Ärzteschaft und eine Gesundheitsreform, die Zeit zwischen Patienten und medizinischem Personal vorsieht. Aber die Behebung von Defiziten in der Behandlung schmerzhafter schwerster Erkrankungen, die zeitnah zum Ende des Lebens führen, betrifft ein anderes Feld.

Wie kann man einen Suizid vermeiden?

Ja, beim Freitod geht es teilweise um Menschen, die sich fragen, ob sie die letzte Phase einer tödlichen und sehr schmerzhaften Erkrankung durchleiden wollen. Denen muss viel mehr an medizinischer und psychologischer Unterstützung zuteil werden als heute. Insbesondere wenn sie zuhause sterben wollen oder sehnsüchtig auf einen der raren Plätze im Hospiz warten. Sie selbst und ihre pflegenden Angehörigen werden immer noch total allein gelassen. Vielleicht kann man hier durch Hilfe einen Suizid vermeiden? Aber wir haben nicht das Recht von jemandem zu verlangen, dass er einen qualvollen Weg bis zum bitteren Ende geht und durchleidet.

Aber es geht auch um andere Lebenssituationen. Menschen, die für sich keine Verbesserungschancen mehr bei einer massiven Depression sehen. Menschen, die sich für den Suizid entscheiden, weil die fortschreitende Demenz ihre Persönlichkeit auflöst. Beide haben auch das Recht sich gegen einen für sie qualvollen und würdelosen Tod zu entscheiden. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gilt nicht nur für das Leben, sondern auch für das Sterben in Würde. Wollen wir die Menschen – Betroffene, Familienangehörige, Freunde – bei dieser Frage allein lassen?

Und was folgt, wenn wir in Deutschland durch das Verbot organisierter Beihilfe zum Freitod das professionelle und ergebnisoffene Beratungsgespräch verweigern? Das Ergebnis wird nicht die Vermeidung von Selbsttötung sein, sondern die Reise ins Ausland. Die Regelungen in der Schweiz, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg führen heute schon zu „Sterbehilfe - Reisen“. Weil sie hier niemanden finden, der ihnen gleichermaßen professionell hilft?

Keine Verbote durch den Gesetzgeber

Nach vielen Gesprächen meine ich, die Frage nach der Beendigung des eigenen Lebens ist eine höchst individuelle und von überragender Bedeutung. Der Gesetzgeber sollte der Versuchung widerstehen durch strafrechtliche Verbote einzugreifen. Gemeinnützige Sterbehilfevereine sollen in Deutschland erlaubt sein. Und das säkulare Deutschland sollte sich fragen, wo es denn tatsächlichen Regelungsbedarf gibt.

Bisher werden, weil es keine ausdrücklichen Regelungen im deutschen Recht gibt, alle Handlungen an den allgemeinen Maßstäben des Strafrechts und des Ordnungsrechtes gemessen. Hier aber würde es Not tun anzusetzen, um Standards für die Beratung und Hilfe zum selbstbestimmten Freitod festzuzurren. Deshalb plädiere ich für eine Regelung, die die Nichtstrafbarkeit der Beihilfe beibehält, allerdings klarstellt, dass kein Kapital aus der Beratung geschlagen werden darf, und die unabänderliche Beratungsfristen sowie eine klare Dokumentation der Abläufe vorsieht.

In Kanada las ich kürzlich einen Artikel über den Freitod einer älteren Frau, die sich aufgrund fortschreitender Demenz für ihr selbstbestimmtes Lebensende entschied. Sie hat viel Mühe darauf verwandt zu erklären, dass ihr niemand – auch nicht ihr Ehemann – bei der Besorgung des Medikamentes geholfen hat. Denn jegliche Beihilfe ist strafbar. Der Artikel endete sehr traurig mit einem Zitat der Tochter, die meinte, ihre Mutter hätte vielleicht länger gelebt, wenn es die Chance gegeben hätte, dass ihr später jemand straffrei hilft. Aber die Mutter hätte niemanden mit einem Strafverfahren belasten wollen.

Die aktuelle Debatte um die organisierte Beihilfe zum Freitod stellt die Mitglieder des Bundestages vor eine große Herausforderung. Nämlich zu unterscheiden, zwischen ihren eigenen (vielleicht religiösen) Wertvorstellungen, dem Recht des Menschen selbst straffrei  über das Ende des eigenen Lebens zu entscheiden und der Frage, welche Handlung der Beihilfe die Gesellschaft mit dem scharfen Schwert des Strafgesetzbuches sanktionieren soll.

Ich will mir die schwere Entscheidung für andere nicht anmaßen. Deshalb will ich eine gute, offene Hilfe und Beratung ermöglichen, die die Selbstbestimmung achtet.

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