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Das Universitätsklinikum Eppendorf startet eine Studie an besonders schwer erkrankten Patienten mit dem Medikament Remdesivir.

© Ulrich Perrey/dpa-POOL/dpa

Remdesivir, Chloroquin und andere: Die Mittel der Hoffnung im Kampf gegen das Coronavirus

Blutplasma von Genesenen, Remdesivir, Chloroquin – im Kampf gegen Covid-19 untersuchen Forscher die Wirkung vieler Mittel. Doch ein Durchbruch fehlt.

Anfang März zeigte die Todesstatistik aus Deutschland noch null an. Keiner der bis dahin etwa 500 Coronavirus-infizierten Menschen war gestorben. Deutschland fühlte sich kaum betroffen, mit Covid-19 sterbende Italiener gab es nur im Fernsehen. Anders ging es zu jenem Zeitpunkt im Klinikum Weilheim, etwa 60 Kilometer südwestlich von München, zu. Weilheim hatte seinen ersten schwer verlaufenden Covid-19-Fall. Chefarzt Andreas Knez wurde zunehmend bewusster, dass kein wirksames Mittel zur Hand ist.

Deshalb tat er etwas, was unter Medizinern als letzte Option gilt: Er plante einen individuellen Heilversuch. Knez wandte sich an den Pharmakonzern Gilead. Der hatte vor einigen Jahren mit Remdesivir ein Mittel gegen Ebola entwickelt, das damals fehlschlug. Doch aus Laborversuchen wussten Experten, dass es die Vorläufer des Sars-CoV-2-Virus zuverlässig tötet. Im Fachmagazin New England Journal of Medicine las Knez dann von dem US-Arzt, der einen Patienten, der drohte, an Covid-19 zu sterben, mit Remdesivir gerettet hatte.

Ähnliche Berichte sickerten auch aus China an die Öffentlichkeit, wo kurz darauf zwei klinische Studien starteten, die den Nutzen von Remdesivir wissenschaftlich untersuchen sollen. Gilead und sein Ebola-Wirkstoff stehen seitdem exemplarisch für die fieberhafte Suche nach Hilfe für jene rund 15 bis 20 Prozent der Menschen, denen das neuartige Coronavirus sprichwörtlich den Atem nimmt.

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Warum ist die Krankheit Covid-19 so schwer zu bekämpfen?
Covid-19 ist eine komplizierte Erkrankung. „Sie beginnt mit einer klassischen Entzündung, wie man sie von vielen viralen Atemwegsinfekten kennt“, sagt Christoph Spinner, Infektiologe vom Klinikum Rechts der Isar. Mit Husten, Atemnot, Fieber und Entzündungsreaktionen, die mal leichter, mal ernsthafter verlaufen.

Doch bei etwa acht Prozent der Patienten, vor allem Vorerkrankten und Älteren, verschlechtert sich dieser Zustand in einer zweiten Phase. Dann kommt es zu Überreaktionen des Abwehrsystems in der Lunge, die zum akuten Lungenversagen führen können. Inzwischen zeigt die Todesstatistik über 2000 Menschen, die hierzulande gestorben sind. Weltweit sind es inzwischen mehr als 83000 und ein Ende ist nicht in Sicht.

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Wie kann das Virus bekämpft werden?
Die Welt braucht Waffen gegen ein winziges Virus. Weil aber die Entwicklung neuer Medikamente Jahre dauert, durchforsten Pharmaforscher aus Industrie und Wissenschaft seit dem Auftreten der ersten Covid-19-Fälle in Wuhan unter Hochdruck sämtliche Wirkstoffbibliotheken, die sie kennen. Sie wollen bereits existierende Mittel identifizieren, die den dramatischen Verlauf bremsen könnten. Am US-amerikanischen Milken Institute, wo alle laufenden Ansätze gegen das Coronavirus gesammelt werden, zählt man Anfang dieser Woche 95 Wirkstoffe, die in weit über 200 klinischen Versuchen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.

Die anvisierten Mittel gegen Covid-19 lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: Solche, die das Virus hindern, sich zu vermehren. Andere, die das Andocken des Virus an die Lungenzellen verhindern. Und jene, die sich gegen die unkontrollierten Entzündungen der Lunge und den Körper richten, an denen die Menschen sterben.

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Was könnte die Virusvermehrung stoppen?
Das von Andreas Knez in Weilheim angeforderte Mittel Remdesivir gehört zur ersten Gruppe der antiviralen Therapeutika. Viren können sich nicht allein vermehren. Dazu brauchen sie die Körperzellen. Den antiviralen Mitteln ist gemein, dass sie eben jene Vermehrung hemmen. Remdesivir etwa verhindert, dass SARS-CoV-2 funktionsfähige Kopien von sich bildet. Knez war nicht der Einzige, der auf den Heilversuch setzte. Neben den weltweiten Studien, an denen auch deutsche Kliniken teilnehmen, haben rund 1500 Menschen Remdesivir als experimentelle Therapie erhalten.

In den nächsten Tagen aber wird sich zeigen, ob die Hoffnung berechtigt war. Inzwischen ist bekannt geworden, dass chinesische Mediziner erste Zwischenergebnisse aus ihren Studien analysiert haben. Die Daten sind nicht öffentlich. Doch die Resultate sind möglicherweise nicht so gut wie erhofft. Denn wäre dies der Fall und hätte sich klar gezeigt, dass das Mittel Patienten hilft, dann hätten die Ärzte die Studie vorzeitig beendet und der üblichen Kontrollgruppe des Versuchs das Mittel aus ethischen Gründen ebenfalls zugänglich gemacht. Dass dies nicht geschah, lässt auf zumindest inkonsistente Ergebnisse schließen. Die können verschiedene Ursachen haben, etwa den Schweregrad der Erkrankung. Doch ungeachtet dessen fährt Gilead seine Produktionskapazitäten weiter hoch, denn es gibt auch positive Signale.

Am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) etwa sind unlängst die ersten Patienten mit Remdesivir behandelt worden. Die Infektiologin Marylyn Addo sprach am Mittwochnachmittag von ermutigenden Ergebnissen. „Was man bisher sagen kann, ist, dass die Medikation sehr gut vertragen wurde, und wir sind sehr zufrieden mit den Behandlungsverläufen“, sagte die Oberärztin. Aber es seien Einzelfallbeobachtungen – wie eben auch die anderen Beispiele, bei denen sehr starke Verbesserungen unter Remdesivir eingetreten seien. Etwas mehr Klarheit wird es in einigen Tagen geben: Dann sollen die Ergebnisse der beiden ersten Studien veröffentlicht werden.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) testet in einer groß angelegten Studie namens „Solidarity Trial“ Remdesivir und vergleicht es mit Standardbehandlungen und Virenhemmern aus der Aidstherapie. Auch die Kombitherapie (Ritonavir/Lopinavir) von Abbvie ist zu einer Option gegen Covid-19 geworden, die jedoch in einer ersten chinesischen Studie nicht überzeugen konnte. Auch zu einem weiteren Wirkstoff Favipiravir, den die deutsche Bundesregierung derzeit einkauft, gibt es derzeit nur vereinzelt ermutigende Daten.

Was könnte die Lunge schützen?
Etwa im gleichen Zeitraum, in dem sich Andreas Knez um Remdesivir bemühte, zog ein weiteres sehr altes Medikament neue Aufmerksamkeit auf sich: Das einst von Bayer entwickelte Malariamittel Chloroquin. Vom US-Präsidenten Donald Trump wird es gar „als größter Durchbruch der Medizingeschichte“ angepriesen. Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn setzt Hoffnung darauf.

Doch die französische Studie, auf die diese Begeisterung zurückgeht, ist umstritten. Und nicht nur Wissenschaftler wie der Virologe Christian Drosten haben ihre Zweifel, sondern selbst diejenigen, die das Mittel einst entwickelt haben. „Das wäre natürlich sehr schön“, sagt Martin Springsklee, Leiter der Medizin für Anti-Infektiva bei Bayer, aber auch er plädiert für Zurückhaltung.

Klar ist, sagt Springsklee, dass Chloroquin über zwei Wege wirkt. Zum einen hemmt es die Virusvermehrung in den Zellen, indem es deren pH-Wert erhöht. Das macht es für die Viren – und auch für die Zelle – etwas ungemütlich. Wichtiger könnte der zweite Effekt sein: Chloroquin verändert die Eintrittspforten in den ACE2-Rezeptor an der Zelle und erschwert es dem Virus so, sie zu erobern. Die Außenhülle von Coronaviren ist besetzt von kleinen Krönchen, den Spike-Proteinen. Sie verbinden sich mit dem ACE2-Rezeptor der Zelle, um sie zu befallen. Verändert dieser seine Struktur, kann das Virus nicht mehr andocken.

Doch dem Einsatz des Mittels steht eine beeindruckende Liste an Nebenwirkungen entgegen. Zu den wichtigsten zählen Herzrhythmusstörungen, die es vor allem bei den von Covid-19 am stärksten betroffenen Menschen mit Vorerkrankungen auslöst.

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Das Prinzip, die Lunge zu schützen, könnte sich aber dennoch als Rettungsschirm entpuppen. Schon vor einigen Jahren entwickelte das Wiener Biotech-Startup Apeiron Biologicals einen Wirkstoff gegen akutes Lungenversagen: APN01, ebenfalls eine Blockadesubstanz. Doch statt an den Rezeptor bindet sich dieser Hemmstoff direkt an die Spike-Proteine des Virus. „Wir versperren dem Virus die Tür und schützen die Organe“, sagt Josef Penninger, Miterfinder von APN01 und Leiter des Life Science Institute an der University of British Columbia. An gezüchteten Miniorganen konnte er die Wirkung bereits zeigen. Der Vorteil von APN01 ist, dass es bereits gegen akutes Lungenversagen – an dem Menschen auch ohne das Coronavirus sterben – getestet und als sicher eingestuft wurde. In den nächsten Tagen startet eine europäische Studie mit Kliniken aus Dänemark, Deutschland und Österreich, in der 200 Patienten mit APN01 behandelt werden.

Auf ähnliche Art und Weise soll auch ein weiterer Kandidat wirken. Camostat Mesylate ist ein Wirkstoff, der in Japan und Südkorea bereits zur Behandlung schwerer Bauchspeicheldrüsenentzündungen zugelassen ist. Anders als APN01 oder Chloroquin blockiert er nicht die ACE2-Verbindung zwischen Virus und Zelle, sondern einen notwendigen Cofaktor, der die Bindung vermittelt. Auch mit Camostat-Mesylate startet in Kürze eine Studie in Dänemark.

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Wie könnte der Zytokinsturm bekämpft werden?
Alle bislang aufgezählten Wirkstoffe haben das Ziel, das Virus zu blockieren, indem seine Vermehrung verhindert oder ihm der Eintritt in die Zelle verwehrt wird. „Irgendwann aber“, sagt Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover, „geht es gar nicht mehr darum, das Virus zu bekämpfen.“ Dann ist es nicht mehr das Virus, dass den Menschen zerstört, sondern das eigene Immunsystem, das nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann. Zytokinsturm nennen das die Mediziner. Dann gilt es das Abwehrsystem nicht mehr hoch-, sondern herunterzufahren.

In China wurden sogenannte Kortikosteroide verabreicht. Tatsächlich scheinen sie die Sterblichkeit zu verringern. Dennoch warnt die chinesische Gesellschaft für Thoraxmedizin, dass die Mittel nur mit Vorsicht einzusetzen seien. Denn alles, was die Abwehr schwächt, stärkt das Virus. Nun sollen neue spezifischere Rheumamittel helfen, die lediglich bestimmte Entzündungstreiber des Menschen abfangen. Da gäbe es ermutigende Ergebnisse, schreibt Christoph Spinner im Deutschen Ärzteblatt.

Die Mediziner setzen derzeit auch auf einen Wirkstoff, den man nicht herstellen, sondern einsammeln muss. Das Prinzip: Wer eine Covid-19-Erkrankung überstanden hat, sollte das, was dafür entscheidend war, im Blut haben: Antikörper, die das Virus ausschalten. Und diese sollte man dann Patienten verabreichen können. In ihnen sollten die Antikörper dann ebenfalls das Virus bekämpfen, zumindest so lange, bis deren eigenes Immunsystem selbst in der Lage dazu ist. Genesenen wird dafür Blut abgenommen, die Blutzellen werden per Zentrifugation entfernt, übrig bleibt das Blutplasma, in dem sich die Antikörper befinden. Patienten bekommen es per Infusion. In Deutschland wird an mehreren Universitätskliniken, etwa in Erlangen und Hannover, erforscht, ob der Ansatz auch bei Covid-19 praktikabel ist.

Erste Studienergebnisse gibt es aus China. Hier verbesserte sich der Zustand von Patienten nach Gabe des Plasmas. Doch die Zahl der behandelten Personen war klein, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich auch ohne diese Intervention erholt hätten. Zudem gibt es nach wie vor sehr viele Unsicherheiten hinsichtlich der immunisierenden Wirkung einer Sars-CoV-2-Infektion. So berichtete die „South China Morning Post“ am Mittwoch, Ärzte in Schanghai hätten im Blut Genesener teilweise sehr wenige oder gar keine Antikörper nachweisen können.

Sollte sich dies bestätigen, könnte das sowohl für die Epidemie und den politischen Umgang mit ihr als auch für die medizinische Forschung weitreichende Folgen haben. Denn dann wären nicht nur Plasmatherapien zumindest nicht mit Plasma von allen Genesenen möglich. Sondern nur Plasma solcher Personen, in denen sich genügend der Immunmoleküle finden, könnte zum Einsatz kommen. Auch die Frage, ob eine Impfung wirklich immun machen würde, wäre dann offener denn je. Zudem wäre es dann möglich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Genesene sich erneut infizieren, deutlich erhöht wäre.

Was könnte noch schützen?
Schließlich gibt es noch eine vierte Sorte Medikamente. Es handelt sich um eine Impfung – aber nicht gegen Sars-CoV-2. Es geht vielmehr um einen alten, mittelmäßig wirksamen Tuberkulose-Impfstoff, der vor schweren Covid-19-Verläufen schützen soll. BCG wurde bereits in den 1920er Jahren entwickelt. Schon lange hegen einige Epidemiologen die Hoffnung, dass er auch vor anderen Infektionen schützen kann. Doch erst in den letzten Jahren mehrten sich die Beweise. Unter der Haut, so nehmen Forscher an, stimuliert er das sogenannte unspezifische Abwehrsystem. Ähnlich wie die Therapie mit Antikörpern aus genesenen Patienten verhindert er nicht die Ansteckung, sondern stärkt das Immunsystem.

Derzeit starten klinische Studien in den Niederlanden, in Australien und Großbritannien. Deutschland soll in drei Wochen mit einer modifizierten Form des Impfstoffs folgen. Erhalten sollen den Impfstoff vornehmlich Krankenhausmitarbeiter und Pflegepersonal, also die Menschen mit dem höchsten Infektionsrisiko.

Edda Grabar

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