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Die bayerischen Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, Ludwig Hartmann und Katharina Schulze bei der Wahlparty der Partei.

© dpa/Sven Hoppe

Rekordergebnis bei Landtagswahl: Die Grünen sind in der Mitte Bayerns angekommen

Bei der Landtagswahl in Bayern haben die Grünen ein Rekordergebnis erzielt und auch der CSU Wähler abspenstig gemacht. Mitregieren werden sie wohl nicht.

Katharina Schulze steht im Landtag in München, die ersten Hochrechnungen haben ihrer Partei einen historischen Wahlsieg bescheinigt, und die Grünen-Politikerin versprüht beste Laune: „Die absolute Mehrheit der CSU in Bayern ist Geschichte“, ruft die 33-Jährige ihren Anhängern zu. Zweistellig waren die Grünen hier noch nie, im Vergleich zur letzten Landtagswahl konnten sie ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. Im Wahlkampf haben sie sich außerdem als zweitstärkste Kraft die Rolle des CSU-Herausforderers erkämpft. Das Ergebnis der Landtagswahl habe Bayern „jetzt schon verändert“, sagt die Spitzenkandidatin der Bayern-Grünen.

Die Grünen konnten 200.000 Wähler von der CSU zu sich ziehen

Dass Schulze und ihre Partei so weit kommen konnten, hat auch etwas mit dem Auftreten der CSU in den letzten Monaten zu tun. Rund 200.000 Wähler haben die Grünen der CSU abspenstig machen können, wie erste Analysen zur Wählerwanderung zeigen. Fast so viele, wie von der SPD zu den Grünen wechselten. „Einfach nur wow“, jubelt Grünen-Chefin Annalena Baerbock in der Parteizentrale in Berlin. Die Landtagswahl in Bayern habe gezeigt, dass man „mit Haltung“ Wahlen gewinnen könne: „Wer Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit hochhält, der gewinnt.“

Seit die Grünen im September 1986 zum ersten Mal in den bayerischen Landtag einzogen, hat sich im Süden der Republik einiges verändert. Damals war das Reaktorunglück in Tschernobyl gerade ein paar Monaten her, in Bayern erreichten die Proteste gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf ihren Höhepunkt, die Polizei ging rigoros gegen Demonstranten vor. Die Grünen dieser Generation kämpften nicht nur gegen die Atomkraft, sondern auch gegen die Arroganz der Macht, wie sie der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß verkörperte. Anfangs wurden die Grünen-Vertreter im Parlament noch heftig angefeindet, Strauß lud die Neulinge nicht zu Staatsempfängen ein.

Die Grünen taugen nicht mehr zum Feindbild

Mittlerweile taugen die Grünen nicht mehr wirklich zum Feindbild, auch wenn manch ein CSU-Politiker wie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dies gelegentlich noch zu malen versucht. Anton Hofreiter, Chef der Grünen-Bundestagsfraktion und gebürtiger Bayer, erlebte einen Wahlkampf, der anders war als früher: volle Wirtshaussäle, positive Stimmung statt Beschimpfung an den Wahlkampfständen, ein neu erwachtes Interesse an der Partei von verschiedenen Seiten. Vermutlich ist es die Geschichte einer beiderseitigen Annäherung: Die Grünen haben sich auf die Mitte der Gesellschaft zubewegt, aber die Mitte der Gesellschaft auch auf die Grünen.

Längst werden die Grünen nicht mehr nur als Dagegen-Partei wahrgenommen, sondern als gestaltende Partei. In Bayern sind sie kommunal verankert, wenn auch nicht ganz so intensiv wie im Nachbarland Baden-Württemberg. Im Frühjahr 2014 wurde im oberbayerischen Miesbach zum ersten Mal ein Grüner zum Landrat gewählt, in mehreren Gemeinden regieren grüne Bürgermeister. Die höchsten Zuwächse erhielten die Grünen bei dieser Landtagswahl in den Großstädten, Schulzes Co-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann errang in München-Mitte ein Direktmandat, es blieb bei weitem nicht das einzige in der Landeshauptstadt. Aber auch in Landgemeinden und Kleinstädten konnten die Grünen spürbar zulegen.

Verzicht auf Populismus

Im Wahlkampf setzte die Partei nicht nur auf Öko, sondern stellten mit der Forderung nach bezahlbarem Wohnraum auch die soziale Frage ins Zentrum. Selbst die Innenpolitik taucht in den zehn Kernforderungen der Partei auf: „Wir sorgen dafür, dass unsere Polizei endlich gut ausgestattet ist“, heißt es dort.

Bei dieser Wahl kam ein weiteres Momentum hinzu: Den Grünen gelang es stärker als je zuvor, CSU-Wähler anzusprechen, denen ihre Partei nicht mehr liberal oder christlich genug war. Ein ähnliches Phänomen wie in Baden-Württemberg, wo Ministerpräsident Winfried Kretschmann bis tief in die Mitte der Gesellschaft Unterstützer gefunden hat. Die Bertelsmann-Stiftung arbeitete in einer Studie einen weiteren Faktor heraus: Danach sind die Grünen die Partei, die im Moment am konsequentesten auf Populismus verzichtet. „Die unpopulistische Mitte wird zum neuen Markenkern der Grünen“, heißt es dort.

Das gilt nicht nur für die Bayern-Grünen, sondern auch für die Gesamtpartei. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sieht deshalb „wahnsinnigen Rückenwind“ in dem Bayern-Ergebnis. „Das ist eine Bestätigung für den Erneuerungskurs seit der Bundestagswahl“, sagt er. Ähnlich formuliert es Katrin Göring-Eckardt, die Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Die Grünen seien in der Lage, mehr Menschen als die grüne Kernklientel zu erreichen. Sie hätten nach der Bundestagswahl gezeigt dass sie bereit seien, auch in schwierigen Situationen Verantwortung zu übernehmen, sagt sie.

Ihre Parteifreunde in Bayern hätten das gerne auch ganz praktisch bewiesen, in einer schwarz-grünen Koalition. „Mit uns kann man immer über ökologische und gerechte Politik reden, aber nicht über anti-europäische und autoritäre“, sagte Spitzenkandidatin Schulze schon im Wahlkampf.

Am Wahlabend blieb sie bei dieser Linie: „Natürlich sind wir bereit, Verantwortung für dieses schöne Land zu übernehmen.“ Sie selbst sei ja auch nicht in die Politik gegangen, „um in Schönheit am Spielfeldrand zu sterben“, sondern um die Gesellschaft zu verändern. Unterstützung erhielt sie von Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann, der in dem Wahlergebnis ein klares Votum sieht: „Die Menschen wollen, dass die Grünen und grüne Politik eine gewichtigere Rolle in der Landespolitik bekommen“, sagt er.

Söder bevorzugt Koalition mit den Freien Wählern

CSU-Ministerpräsident Markus Söder hatte zu dem Zeitpunkt allerdings schon deutlich gemacht, dass er ein Bündnis mit den Freien Wählern klar bevorzugen würde. In der Parteizentrale der Grünen bedauerten einzelne, dass es trotz des Rekordergebnisses wohl nicht zu einer grünen Regierungsbeteiligung kommen werde.

Dabei hatten viele Grüne sich von Anfang an keine Illusionen gemacht, wie schwierig Schwarz-Grün in Bayern werden könnte. Ihnen war klar gewesen, dass ein solches Bündnis nicht nur den Landesverband, sondern auch die Bundespartei extrem herausfordern würde. Schließlich wäre es erklärungsbedürftig, warum die Grünen in Bayern mit einer CSU regieren können, die sie im Bund unerträglich finden. Auch wenn Markus Söder das Wort „Asyltourismus“ zuletzt bewusst nicht mehr benutzte, ist es bei vielen Grünen ebenso wenig vergessen wie Horst Seehofers Aussage, die Migrationsfrage sei „die Mutter aller Probleme“.

Und so klang es halb nach Hoffnung und halb nach Verzweiflung, wenn Grüne in den letzten Wochen auf die Koalitionsfrage antworteten, mit „dieser CSU“ und „diesem Herrn Söder“ werde man nicht regieren. Optimisten hofften, die Wahlniederlage könne bei den CSU-Oberen einen Lernprozess in Gang setzen und dazu führen, dass die Partei nicht mehr so stark auf den rechten Rand schiele, sondern ihre Politik wieder stärker an der Mitte orientiere.

Pessimisten hingegen fürchteten, dass den Grünen in diesem Fall ein großes Glaubwürdigkeitsproblem drohe. Bei ideologisch aufgeladenen Themen wäre es besonders schwierig geworden, angefangen vom Kreuzerlass bis zur bayerischen Grenzpolizei, deren Einsatz die bayerische Landesregierung nach dem Unions-Streit über die Flüchtlingspolitik beschlossen hatte.

Doch ungeachtet aller Zweifel beschlossen die Bayern-Grünen, sich auf alle Eventualitäten einzustellen. Die Halle für einen möglichen Sonderparteitag, der vier Wochen nach der Wahl über einen Koalitionsvertrag hätte abstimmen können, war jedenfalls schon reserviert.

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