zum Hauptinhalt
Und einmal nicht an morgen denken. Gedränge an der "Bierstraße" in Palma de Mallorca, wo schon im vergangenen Juli Hunderte deutscher Urlauber ohne Rücksicht auf in Spanien geltenden Corona-Regeln feierten.

© Michael Wrobel / picture alliance/dpa

Reisewahn der Frustrierten: Alle nach Malle?

In der Corona-Depression öffnet sich ein Ventil - und das ist auch gut so. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bernd Matthies

Von einer „bisher nicht gekannten Dynamik“ war gestern die Rede – und es war keine Mitteilung des RKI über neue ultrabrutale Virusmutanten, sie kam von Eurowings. Die Lufthansa-Tochter wird von Buchungen überflutet, legt zu Ostern 300 zusätzliche Flüge auf, und sogar der Mutterkonzern macht den Überflieger: an der Börse.

Die Nachricht, dass die Balearen und ein paar andere urlaubsrelevante Ecken keine Risikogebiete mehr sind, hat den Korken aus der Flasche fliegen lassen. „Alle nach Malle!“ trompetete die Bild-Zeitung, das ist auch im coronagebeutelten Deutschland noch immer ein kategorischer Imperativ, an dem jegliche Bedenken abprallen wie der Milan am Windrad. Die Sonne am Poolrand auf den Bauch knallen lassen, Paella futtern bis zum Abwinken, und hinterher bei gehaltvoller Sangria den Sonnenuntergang bewundern – es sind diese schlichten Dinge, die für viele von uns das Jahr krönen, erst recht nach diesem Jahr, erst recht angesichts der mauen Aussichten und der versemmelten Impfkampagne. Wer weiß, wann die nächste Gelegenheit kommt.

Irre, nicht wahr? Aber wer sich über so etwas erhebt und stur Enthaltsamkeit in Richtung Zero Covid fordert, der sollte darauf achten, dass er das nicht aus der Idylle der eigenen Villa mit Garten tut. Die meisten Deutschen haben so etwas nicht, sie kommen aus der Etagenwohnung, deren Enge sich im Lockdown täglich lähmender anfühlt, da ist Druck, der dringend auf ein Ventil wartet.

Sehnsucht nach Tapetenwechsel

Viele von uns sind aus guten Gründen malle-resistent, aber auch sie wollen mal einen Tapetenwechsel. Raus in die Corona-Paradiese Tübingen und Rostock, oder einfach in die Berge oder an die See. Gern ganz AHA-bewusst in eine Ferienwohnung mit Selbstversorgung, in der das Risiko garantiert kleiner ist als an den CheckIn-Schaltern der Flughäfen und in den Sardinendosen von Eurowings. Oder in ein Hotel, wo die perfekten, leider nie umgesetzten Hygienepläne von 2020 nur auf Aktivierung warten.

Doch nun muss die ganze deutsche Hotelbranche ohnmächtig zusehen, wie die Balearen das Geschäft machen, weil die fatale, undurchschaubar sprunghafte Mechanik der Inzidenztabellen das angeblich so gebietet. Die Gastronomie schmiert mit ihr ab, die Dimension anderer wirtschaftlicher Kollateralschäden ist noch überhaupt nicht überschaubar.

Aber unsere Autoritäten haben ihren Heiner Müller gelesen, glauben anscheinend mit ihm, zehn Deutsche seien nun einmal dümmer als fünf Deutsche – und bauen auf dieser windigen Erkenntnis ihre Schutzstrategie auf. Nur noch ein wenig Disziplin, bis wir durch sind? Das lässt sich immer schwerer begründen. Gerade macht mal wieder ein Bildwitz die Runde: Jens Spahn mit einem Träger Astra-Bier, „80 Millionen Dosen falsch bestellt!“, ja, wer diesen Spott provoziert, der kann auf die Wirkung seiner Autorität nicht mehr bauen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Aber Mallorca macht auch ein bisschen Mut, selbst wenn man nicht gleich mitfliegen mag. Der kleine Boom zeigt: Das Geld ist da, die Lust ist da, und wenn die Gelegenheit kommt, dann verfliegt schnell auch die Depression, dann wird wieder gelebt, bis die Hotelbetten ausgebucht sind – sofern es sie dann noch alle gibt.

Mallorca mag im Vorteil sein, falls es stimmt, dass die mediterrane Wärme dem Virus eher abträglich ist. Wer jetzt hinfliegt, um schon mal vorzufühlen, der hat keine Vorwürfe verdient.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false