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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

© imago/photothek/Florian Gärtner

Regierungserklärung im Bundestag: In Merkels neuer Truppe schlummert enorme Sprengkraft

Nach der langen Regierungsbildung ist der Zauber des Neuanfangs für Schwarz-Rot verschwunden. Dabei stellt die Kanzlerin ihr Programm jetzt überhaupt erst vor.

Von Robert Birnbaum

Alexander Dobrindt tut mal wieder so, als habe er die Frage nicht verstanden. Dabei war sie ganz einfach: Ob die alte Erkenntnis nicht mehr gelte, dass bürgerliche Wähler Streit im eigenen Lager nicht schätzten – also zum Beispiel, wenn der Bundesinnenminister den Islam nicht zu Deutschland gehören lassen will und die Kanzlerin doch? „Das was Sie Streit nennen, nenne ich Debatte“, sagt der CSU-Landesgruppenchef.

Das ist zwar keine Antwort auf die Frage, aber es lässt erkennen, wie sich die Tonangebenden in der CSU ihr Wirken in – oder soll man sagen: neben? – der Bundesregierung vorstellen. An diesem Mittwoch gibt Angela Merkel ihre vierte Regierungserklärung zum Beginn einer Amtszeit ab. Das wird nicht einfach. Schon liegt ein Hauch von „Gurkentruppe“ in der Luft.

Nun gehören Regierungserklärungen sowieso zu den chronisch überschätzten Veranstaltungen. Schuld daran ist Willy Brandt. Sein erster Auftritt 1969 kam einem historischen Akt gleich, hatten doch vorher stets Christdemokraten regiert. Als der gute Redner obendrein verkündete: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, war eine Messlatte für Visionäres gelegt, die Nachfolger nur reißen konnten.

Merkel ist eine mittelmäßige Rednerin

Merkel ist eine mittelmäßige Rednerin und visionär unbegabt; ihre Kalendersprüche für die Zeitgeschichte („Wir schaffen das“) sind spontan entstanden. Dabei bedarf diese Regierung besonders der Erklärung. Nach der langen, schmerzhaften Koalitionsbildung ist der sprichwörtliche Zauber des Neuanfangs ziemlich weg. Die Wortbeiträge der ersten Tage scheinen obendrein alle Zweifel zu bestätigen, ob dieses Notbündnis überhaupt gemeinsame Ziele anstrebt.

Tatsächlich sind CDU, CSU und SPD ja ihre dritte große Koalition unter Merkel mit der erklärten Absicht eingegangen, parteipolitische Unterschiede deutlicher zu markieren. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu dem Anspruch, trotzdem zusammen zu regieren. Merkel hatte vorige Woche vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ein idealtypische Modell skizziert: Jede Seite beschreibt ihre Ausgangsposition, und dann führt man den Bürgern die urdemokratische Kunst der Kompromissbildung vor Augen.

Das klang aber arg akademisch. Die Praxis der vergangenen Tage hat denn auch eher gezeigt, wie es nicht geht. Seehofers Islam-Sentenz und die Hartz–IV- und Paragraf-219a-Kraftworte des Gesundheitsminister Jens Spahn belegen die Fliehkräfte, die in Merkels neuer Mannschaft schlummern.

Spahn musste sich am Montag im CDU-Präsidium anhören, dass er dabei sei, das durchaus wohlwollende Echo auf das verjüngte Kabinett durch Krawall zu übertönen. Im Kreis der Anderen zeigte der Jungminister Anzeichen von Bedauern; er habe mit dieser enormen Resonanz nicht gerechnet. Eine Talkshow später klang es aber schon wieder etwas anders: „Dieses schöne Land kommt am Ende nur weiter, wenn wir ab und zu miteinander auch mal diskutieren.“

Das bestreitet in dieser Allgemeinheit niemand. Ein wesentlicher Grund für den Ärger in der CDU-Führung über Spahn und Seehofer liegt freilich darin, dass die Herren sich ständig mit dem eigenen Lager anlegen. In der SPD werden die Vorlagen nicht ungern aufgenommen, bieten sie doch den Sozialdemokraten ihrerseits billig die Gelegenheit, Profil zu zeigen. SPD-Vize Manuela Schwesig warnt vor „Debatten, die das Land spalten“, der neue Sozialminister Hubertus Heil wirft Spahn eine „hartherzige Statistikdebatte“ vor. Und alle zusammen riefen die neuen Minister auf, sich nicht in abstrakten Grundsatzdiskussionen zu ergehen, sondern sich gefälligst auf die Sacharbeit in ihren frisch bezogenen Häusern zu konzentrieren.

Dobrindt will der AfD Wähler abspenstig machen

Die Aussichten, dass der Appell fruchtet, sind überschaubar. Dobrindt zum Beispiel, der schon als Seehofers Generalsekretär in der schwarz-gelben Regierungszeit ohne Rücksicht auf Verluste die „Gurkentruppen“-Wortgefechte geführt hatte, gedenkt von der beträchtlichen Beinfreiheit eines Landesgruppenchefs regen Gebrauch zu machen. Am Dienstag verkündet er, dass der Islam „in egal welcher Form“ nicht zu Deutschland gehöre und eine Moschee in seiner Heimat „nicht zum Heimatbild“, bemängelt „zu wenige Gesprächskanäle“ zu Russland, fordert einen „Aktionsplan Hartz-IV-Betrug“ und begründet den Megaphoneinsatz gegen „den Islam in egal welcher Form“ mit dem bemerkenswerten Satz: „Der Maulkorb spaltet unser Land.“

Diese Pose kannte man bisher eigentlich von anderen Parteien. Aber Dobrindt hat ja die Theorie mitentwickelt, dass die CSU der AfD Wähler dadurch abspenstig machen könne, dass sie deren Diskursthemen umfangreich aufgreife. Die Theorie hat bei der Bundestagswahl zwar nicht funktioniert, soll sich aber bei der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober endlich beweisen. Mindestens bis dahin wird sie das Handeln und vor allem das Reden der CSU in Berlin prägen.

Da will sich in der CDU auch mancher nicht lumpen lassen. Der Chef-Haushälter Eckardt Rehberg, eigentlich ein ruhiger Typ aus Merkels Landesverband, wirft SPD-Finanzminister Olaf Scholz vor, er mache mit dem Goldman-Sachs- Chef Jörg Kukies einen „Heuschrecke“- Vertreter zum Staatssekretär. Scholz wird der Attackeversuch nicht jucken, Merkel nicht großartig stören. Doch selbst im Kleinen zeigt sich da eine Unlust, die erklärt, wie besonders schwer diese Regierung zu erklären ist.

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