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Im Bundestag ist nicht viel los derzeit.

© REUTERS

Regierungsbildung: Hallo Parlament, aufwachen, weitermachen!

Warum nicht einfach den Schrank gescheiterter Vorhaben aufmachen, jede Fraktion für sich, und schauen, was ohne Koalitions-, sprich Regierungsrücksichten ginge und was nicht? Eine Kolumne

Eine Kolumne von Andrea Dernbach

Neues Jahr und das alte Spiel: Wieder sind alle Kameras und Mikrofone darauf gerichtet einzufangen, wie weit wir denn sind mit der Bundesregierungsbildung. Die Pflichtstatements der Akteure dazu werden immer müder: „Wir wollen eine stabile Regierung bilden.“

Stabil und neue Regierung – vorerst scheint das nicht richtig zusammenzupassen. Dabei haben wir etwas stabiles Neues, und das seit dem 24. September des letzten Jahres: Deutschland hat vor viereinhalb Monaten einen neuen Bundestag gewählt, genau einen Monat später hat er sich konstituiert. Mit den bekannt unübersichtlichen Mehrheitsverhältnissen zwar, was die Regierungsbildung angeht. Aber trotzdem voll arbeitsfähig, um sich seiner eigentlichen Aufgabe, der Gesetzgebungsarbeit zu widmen. Denn auch wenn wir uns daran gewöhnt haben, Regierungen für das Zentrum eines Staates zu halten: In einer Demokratie ist das immer noch das Parlament. Nicht die Volksvertreter sind von der Regierung abhängig, sie sind es, die sie kontrollieren. Warum eigentlich merkt das Volk, das sie vor gut hundert Tagen gewählt hat – das ist normalerweise die Zeit erster Bilanzen – so wenig davon?

Vielleicht fehlt uns, dem Volk, und uns in den Medien sowieso schlicht die Fantasie für neue Formen des Regierens. Dabei wären sie dringend nötig. Die Zeiten klarer Lager und natürlicher politischer Blöcke scheinen auf mittlere Sicht vorbei. Womöglich sind sie es für immer. Das ist nicht wirklich überraschend; schon die Etablierung der Grünen seit den frühen 80er Jahren war ein Anzeichen dafür. Bei den europäischen Nachbarn tat sich – auch auf der Rechten wie mit Österreichs FPÖ – Ähnliches. An heikle Regierungsbildungen, siehe Belgien oder Spanien, einschließlich langer Zeiten mit abgewählten, nurmehr geschäftsführenden Regierungen, hätte man sich längst gewöhnen können. Oder besser noch: Etwas daraus machen. Etwa ausloten, was der Bundestag von sich aus kann, ohne Koalitionsausschüsse, sondern mit den vom Grundgesetz vorgesehenen Instrumenten.

Zum Beispiel der Paragraf 219a! Weg damit - jetzt

Ein Beispiel, bei dem in den vergangenen Wochen eine Einigung über Fraktionsgrenzen greifbar war: die Abschaffung des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch, der absurderweise Information über Schwangerschaftsabbrüche einer Werbung für sie gleichsetzt. SPD, Grüne, Linke, FDP scheinen d'accord. Eine satte Mehrheit wäre das schon. Und nicht auszuschließen, dass auch einige Unionsfrauen und -männer mitstimmen würden. Wie, noch vor der Wahl, bei der Abstimmung über die Ehe für alle.

Warum nicht einfach den Schrank gescheiterter Vorhaben aufmachen, jede Fraktion für sich, und schauen, was ohne Koalitions-, sprich Regierungsrücksichten ginge und was nicht? Ein paar gelungene Eigeninitiativen des Parlaments könnten so viel entdecken lassen: Dass etwa die Stimme für eine kleine Partei nicht verschenkt ist, sondern etwas bewirkt, weil sie beim einen oder andern Gesetzesprojekt gebraucht würde oder selbst die Initiative dazu ergreifen könnte. Dass es überhaupt lohnt, wählen zu gehen. Eine erschreckend große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern glaubt dies schon lange nicht mehr, daran ändert die zur letzten Bundestagswahl gestiegene Wahlbeteiligung vorerst nichts. Ein paar parlamentarische Proben von Selbstbewusstsein könnten auch die Angst vor einer Minderheitsregierung nehmen, die sich ebenfalls ihre Mehrheiten von Fall zu Fall suchen müsste. Noch immer scheint sie der Alptraum aller Akteure.

Wobei noch niemand erklärt hat, warum eine Minderheitsregierung eigentlich schlimmer wäre als eine Neuauflage der Zwangsehe von Sozial- und Christdemokraten, die mindestens die SPD dem Abgrund entgegengeführt hat. Oder dramatischer als das Jamaika-Ungetüm, das zusammengepresst hätte, was so gar nicht zusammenpasste, eine Zeitlang aber doch als irgendwie originelle Möglichkeit erschien, aus der neuen demokratischen Unübersichtlichkeit herauszukommen.

Die nämlich wird vermutlich bleiben. Jetzt ist die Chance, Rezepte für den Umgang mit ihr zu entwickeln. Und dem Souverän, also allen, die wählen dürfen, zu beweisen, dass seine Stimmen zählen. GroKo und Jamaika sind eher schlechtere Beweise dafür.

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