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Die Regierung von Ministerpräsident Naftali Bennett hatte nur eine dünne Mehrheit.

© Reuters/Ronen Zvulun

Regierung in Israel zerbrochen: Ein Scheitern mit Ansage

Israels Acht-Parteien-Koalition ist an ihren ideologischen Differenzen zerbrochen. Jetzt steht das Land vor den fünften Wahlen in nur dreieinhalb Jahren.

Ein Jahr hat Israels Regierung durchgehalten – und allein damit die Erwartungen vieler Analysten übertroffen. Die hatten dem Acht-Parteien-Bündnis aus rechten und linken, jüdischen und arabischen Kräften ein noch rascheres Aus prophezeit.

Am Ende erwiesen sich die ideologischen Gräben doch als zu tief. Am Montagabend verkündete Ministerpräsident Naftali Bennett seine Absicht, den Weg für Neuwahlen freizumachen.

„In den letzten Wochen haben wir alles Mögliche getan, um diese Regierung zu bewahren“, sagte er in einer Fernsehansprache. „Doch unsere Anstrengungen haben nicht gefruchtet.“ Seinem Zeitplan zufolge könnte die Knesset, das israelische Parlament, schon in den kommenden Tagen über seine Auflösung abstimmen.

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Sofern das Gesetz in drei Abstimmungsrunden bestätigt wird, stehen Neuwahlen im Oktober an. Es wären die fünften in nur dreieinhalb Jahren.

Von Beginn an hatte die Koalition eine hauchdünne Mehrheit von nur einem Mandat. Diese Mehrheit ging im April verloren, als eine Abgeordnete der rechten Yemina-Partei Bennetts das Bündnis wegen politischer Differenzen verließ.

Gerade ist ein weiterer Yemina-Abgeordneter desertiert. Zudem hatten mehrere arabische Abgeordnete der Koalition jüngst bei einer kritischen Abstimmung gegen die Parteilinie votiert und die Regierung damit dem Hohn der Opposition ausgesetzt. Deren Anführer, der langjährige frühere Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, hatte von Anfang an behauptet, eine Koalition aus so gegensätzlichen Kräften sei nicht handlungsfähig.

Bemüht um moderate, versöhnliche Rhetorik

Dabei hatte das Bündnis wenigstens eine Zeit lang das Gegenteil bewiesen. Zwar ignorierte es den Konflikt mit den Palästinensern, ein Thema, zu dem die Beteiligten radikal unterschiedliche Haltungen vertreten. Doch es beschloss einen Staatshaushalt.

An dieser Hürde war die ähnlich kurzlebige Vorgängerregierung unter Netanjahu gescheitert. Sie verabschiedete einige sinnvolle Wirtschaftsreformen, brachte die Covid-19-Pandemie ohne Lockdowns unter Kontrolle und beschloss überfällige Investitionen in den arabischen Sektor.

Dazu veränderte die Koalition den Ton der Debatte: Statt politische Gegner zu dämonisieren und als Staatsfeinde zu verunglimpfen, wie es der frühere und womöglich zukünftige Regierungschef Benjamin Netanjahu gern tat, bemühten sich Bennett und seine Verbündeten um eine moderate, versöhnliche Rhetorik. Mit seiner Bereitschaft, zuzuhören und Kompromisse zu schließen, soll Bennett selbst manche Koalitionspartner überrascht haben.

Trotzdem könnte seine politische Laufbahn schon zu Ende gehen. Israelische Medien verbreiten Gerüchte, er erwäge einen Karrierewechsel. In jedem Fall wird er sein Amt, sofern die Knesset ihre Auflösung beschließt, in den kommenden Tagen an Yair Lapid abgeben müssen, den Vorsitzenden der zentristischen Yesh-Atid-Partei („Es gibt eine Zukunft“).

Yair Lapid übernimmt als Ministerpräsident

So sieht es der Koalitionsvertrag vor: Sollten sich Abgeordnete aus dem rechten Lager der Koalition, aus „Bennetts Block“, am Sturz der Regierung beteiligen, übernimmt Lapid automatisch das Amt des Ministerpräsidenten bis zur Neuwahl.

Für Lapid bedeuten diese Monate eine Chance. Den 58-Jährigen, der zuvor als TV-Journalist gearbeitet hatte, beschrieben israelische Medien lange als charismatischen, aber etwas oberflächlichen Politiker mit Hang zum Populismus, mehr Schwätzer als Macher.

Lapids unermüdlicher Einsatz für die Koalition hat sein Image bereits verändert. Die nächsten Monate dürfte er nutzen, um sich den Wählern als Staatsmann zu präsentieren.

Netanjahus rechter Likud dürfte zur stärksten Kraft werden

Lapids Chancen, auch nach der Wahl im Herbst eine Regierung zu führen, sind indes marginal. Wie bei den vergangenen Abstimmungen dürfte Netanjahus rechter Likud zur stärksten Kraft werden.

Zwar fehlt dessen Block aktuellen Umfragen zufolge eine Mehrheit. Doch es dürfte genügen, eine der übrigen rechten oder zentristischen Kräfte zum Überlaufen zu bewegen.

Leicht wird das nicht: Deren Anführer Benny Gantz, Gideon Sa'ar, Naftali Bennett und Avigdor Lieberman haben alle in der Vergangenheit nach bitterem Streit mit Netanjahu gebrochen. Dass eine Neuauflage des jetzt gescheiterten Rechts-Mitte-Links-Bündnisses gelingt, erscheint aber noch unwahrscheinlicher.

All jenen Israelis, die sich vor einem Jahr nicht satthören konnten an der ungewohnten Formulierung „Oppositionsführer Netanjahu“, stehen schwierige Zeiten bevor.

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