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Eine Stadtrandsiedlung im Süden von Berlin. (Archiv)

© dpa/Bernd Settnik

Regelungen sind verfassungswidrig: Warum das Grundsteuer-Urteil alle angeht

Die Grundsteuer muss reformiert werden. So urteilt das Bundesverfassungsgericht, und es lässt wenig Zeit für eine Änderung. Wie geht es jetzt weiter?

Die Regelungen für die Grundsteuer sind verfassungswidrig, hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden. Die bisher geltenden Gesetze führten zu einer gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlung, hieß es. Die Politik hat bis Ende 2019 Zeit, neue Bemessungsgrundlagen festzulegen. „Ambitioniert, aber machbar“, nennt Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen die Fristsetzung für das neue Gesetz.

Wie wird die Grundsteuer bisher erhoben?

Das Verfahren hat drei Stufen. Erst bewerten die Finanzämter jedes einzelne Grundstück mit einem Einheitswert, der so heißt, weil er ursprünglich auch als Berechnungsgrundlage für weitere Steuern dienen sollte. Dieser wird mit der gesetzlichen Steuermesszahl multipliziert und in einem Steuermessbetrag festgestellt. Dann setzen die Gemeinden ihren jeweiligen Hebesatz an und berechnen den Steuerbescheid.

Warum gab es Klagen?

Deutschlands höchstes Steuergericht, der Bundesfinanzhof (BFH) in München, hatte drei Fälle vorgelegt, in denen er die Kalkulation für verfassungswidrig hielt. Daneben gab es noch Verfassungsbeschwerden von Bürgern, die sich ungerecht behandelt fühlten. Dreh- und Angelpunkt der Klagen war Artikel drei des Grundgesetzes, der allgemeine Gleichheitssatz. Die Vorlagen zielten auf die erste Stufe des Verfahrens, die Berechnung des Einheitswerts. Dieser war im Westen seit 1964 nicht mehr angepasst worden, im Osten seit 1935 nicht.

Wie hat das Gericht entschieden?

Der Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhof sprach von einem „klaren Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz“. Zwar habe der Gesetzgeber erheblichen Spielraum, dieser dürfe den „Belastungsgrund einer Steuer“ aber nicht völlig verfehlen. „Wenn sich die Grundsteuer für eine Belastung von Immobilien nach ihrem Verkehrswert entscheidet, verlangt das auch eine zeit- und realitätsgerechte Bewertung“, sagte Kirchhof. Die Lage habe sich seit den sechziger Jahren vollständig geändert. Eine Zentralheizung, die damals wertsteigernd gewesen sei, sei heute Standard. Der Wert von Grundstücken in Citylagen sei rasant gestiegen. Die Schere gehe immer weiter auf, die Besteuerung entferne sich immer mehr von den realen Verhältnissen.

Warum kam es dazu?

Die Steuerverwaltung wollte sich Arbeit ersparen. Eigentlich war gefordert, den Einheitswert alle sechs Jahre zu aktualisieren. Derartige periodische Anpassungen nennen die Verfassungsrichter jetzt einen zentralen Bestandteil des Bewertungssystems. Seit dem Jahr 2002 sei die Unterlassung nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, betonte Kirchhof, obwohl er auch Verständnis für das Anliegen aufbrachte, Ermittlungsaufwand und Steuerlast möglichst gering zu halten.

Welche Folgen hat das Urteil?

Die Richter sind streng mit der Festlegung des Zeitpunktes für Neuregelungen bis Ende 2019, geben aber mit einer Übergangsphase von fünf Jahren „ausnahmsweise“ eine Schonfrist, in der noch nach den alten Einheitswerten gerechnet werden darf. In der Verhandlung im Januar war klar geworden, dass Länder und Kommunen diese Zeiträume brauchen würden, um neue Modelle praxisreif zu machen.

Warum geht das Urteil in Karlsruhe jeden an?

Weil (fast) jeder eine Wohnung hat und Grundsteuer bezahlt, egal ob er nun Mieter ist oder Eigentümer. Die Grundsteuer versteckt sich bei Mietern in den Nebenkosten, die in monatlichen Abschlägen bezahlt und am Jahresende abgerechnet werden. 20 Euro im Monat sind es durchschnittlich für eine 70 Quadratmeter große Wohnung nach einer Aufstellung der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen. Auf den Quadratmeter umgerechnet entspricht das den Kosten für die Versorgung mit warmen Wasser und ist wie dieser Posten der größte Preistreiber bei den Nebenkosten des Wohnens.

Wird das Land Berlin die Gelegenheit nutzen, um noch mehr Grundsteuer zu kassieren?

Nein, sagt Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen, er werde Vorschläge für Berlin machen, „das Thema aufkommensneutral zu gestalten“. Im Klartext: Rund 800 Millionen Euro nimmt das Land heute aus der Grundsteuer ein und dabei bleibt es auch nach einer Reform. Allerdings werden die Lasten neu verteilt. Wer eine Villa im Grünen besitzt, die 1964 auf landwirtschaftlicher Fläche stand, muss eher mit einer höheren Besteuerung rechnen.

Auch Mieter und Eigentümer im Ostteil der Stadt, die bisher deutlich weniger zahlen, müssen mit steigenden Lasten rechnen. Dass die Berliner besonders stark belastet seien, bestreitet Kollatz-Ahnen: „Pro Kopf liegen die Grundsteuern in Berlin allenfalls im Mittelfeld im Vergleich der großen Städte.“ Das liege daran, dass im Jahr 1964 noch eine Mietpreisbindung in ganz West-Berlin bestand und in Ostberlin ebenfalls „atypisch niedrige“ Werte von 1935 gelten.

Dürfen die Westberliner auf eine Senkung der Grundsteuern hoffen?

Gerecht wäre es und denkbar jedenfalls für Nutzer von Mietwohnungen. Aber Wetten gibt niemand darauf ab. Was dafür spricht: Im Westen der Stadt zahlen die Berliner nicht nur den höchsten Hebesatz sondern außerdem treibt dieser die „Einheitswerte“ für die Häuser aus dem Jahre 1964 in die Höhe. Sie sind ungefähr doppelt so hoch wie die „Einheitswerte der Häuser im Osten der Stadt. Der Grund ist so einfach wie ungerecht: Im Gebiet der früheren Hauptstadt der DDR gelten noch die viel niedrigeren Einheitswerte von 1935.

Warum sind die Grundsteuern überhaupt so wichtig für die Länder?

Weil sie einen beträchtlichen Teil ihrer eigenen Einnahmen ausmachen und zur Finanzierung der Infrastruktur und anderer öffentlicher Aufgaben brauchen. Knapp 13 Milliarden Euro zahlen Mieter und Hauseigentümer jährlich an Länder und Kommunen. Einen großen Teil davon bezahlen Bewohner von Häusern, etwas über 400 Millionen Euro die Nutzer von Gewerbeflächen und ein kleiner Rest entfällt auf unbebaute Grundstücke.

Unbebaute Grundstücke werden nur geringfügig besteuert.

Wird sich das ändern?

So hat es die große Koalition jedenfalls geplant und zwar durch die Einführung der neuen „Grundsteuer C für baureifes Land“. Diese Forderung des Landes Berlin und anderer Ballungsgebiete mit stark wachsender Bevölkerung hat der Bund erhört und in den Koalitionsvertrag aufgenommen. „Spekulationssteuer“ nennen einige die Grundsteuer C. Hintergrund: Einige Grundbesitzer lassen baureife Flächen brach liegen, weil sie am Wertzuwachs durch jährlich steigende Bodenpreise verdienen. Das ist eine Erklärung dafür, dass jedes Jahr nur etwa halb so viele Wohnungen gebaut werden wie von den Ämtern genehmigt.

Wie könnte eine gerechtere Grundsteuer aussehen?

Darüber streiten die Gelehrten. Das Problem ist der Zeitdruck. Weil die ungerechte Besteuerung schon so lange anhält, fordern die Verfassungsrichter eine zügige Korrektur. Daran könnte ein früheres Modell der Bundesländer scheitern, das den Bodenwert einer Immobilie sowie „Pauschalherstellungskosten“ für die Besteuerung zugrunde legte. Zumindest der Bodenwert ist schon heute verfügbar für viele Grundstücke, weil offizielle „Gutachterausschüsse“ in vielen Ländern und Kommunen diesen ohnehin errechnen. Umstrittener sind die „Pauschalherstellungskosten“, weil diese eben keine echten Baukosten sondern Pauschalen darstellen und diese auch noch variieren nach Baualtersklassen: für ein Einfamilienhaus betragen sie 650 Euro (vor 1995) bis 900 Euro (ab 2005).

Ziehen alle Länder mit?

Nein, zumal das Modell die explodierten Bodenpreise der Großstädte zugrunde legen würde, was wiederum zu höheren Belastungen auch in Brennpunkten führen könnte. Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein distanzieren sich deshalb von dem Modell. Bayern spricht sich für das „Südländer-Modell“ aus, das die Fläche des Grundstückes und die Größe der Wohnung zugrunde legt. Auch Wohnungsverbände wie der „GdW Wohnungswirtschaft“ sprechen sich für „eine Abkehr von wertorientierten Modellen ab“, so Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser. Das Flächenmodell würde grob gesagt Wohnungen in Mehrfamilienhäusern geringer besteuern als Eigenheime.

Und was sagen Politiker und Verbände?

Noch einmal: Dass die Zeit knapp ist und die Regierung im Wort steht, die Reform „auf keinen Fall für eine höhere Gesamtbesteuerung“ zu nutzen, so der Deutscher Industrie- und Handelskammertag. Berlins Industrie- und Handelskammer warnte: Eine Reform dürfe nicht zur „Benachteiligung der Ballungsräume“ führen. Berlins größter Wohnungsverband BBU warnte ebenfalls vor „Mehrbelastungen von Mietern“ und sprach sich für eine Reform nach dem Hamburger Flächenmodell aus. Ebenso der Immobilienverband Deutschland (IVD). Berlins Mieterverein fordert gar eine „Mietrechtskorrektur“, die die Grunsteuer aus den umlegbaren Betriebskosten streicht. Das forderte auch Lisa Paus, Sprecherin für Finanzpolitik der Grünen im Bundestag.

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