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In Tübingen können Menschen in der Stadt kostenlose Corona-Tests machen.

© Tom Weller/dpa

Regeltreue, Abweichler und Lockerer: So unterschiedlich legen die Bundesländer die Corona-Regeln aus

Offene Fitnessstudios, ausgesetzte Notbremsen, Modellversuche: Einige Länder ziehen den Lockdown weniger konsequent durch. Andere stehen fest an Merkels Seite.

Sie wirkte wie eine Lehrerin, die ihren Schülern die Ohren langzieht. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“ gefragt wurde, ob NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gegen die Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern verstoße, antwortete sie: „Ja, aber er ist nicht der einzige.“

In einigen Ländern, so kritisierte Merkel, gebe es zu viele Abweichungen von der Einigung der Regierungschefs aus der vergangenen Woche: Dass Deutschland die Corona-Notbremse zieht, um die dritte Infektionswelle zu brechen. Grundsätzlich wollen dabei alle mitmachen, doch viele Landesregierungen suchen Schlupflöcher. Die Ansätze sind verschieden. Von den Regeltreuen an Merkels Seite, über Abweichler bis hin zu den forschen Lockerern. Ein Überblick.

Die Regeltreuen

Nur wenige Minuten nach der Kanzlerin durfte sich am Sonntagabend Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in den „Tagesthemen“ äußern – und inszenierte sich an Merkels Seite: „Wir machen konsequente Notbremse und zwar automatisch.“ Tatsächlich gilt die Notbremse bereits in rund zwei Drittel aller Kommunen Bayerns, wo die Inzidenz aktuell bei 138 liegt. Wo der Wert über 100 ansteigt, gelten nächtliche Ausgangssperren. Zudem verschärfen sich die Kontaktbeschränkungen ab einer Inzidenz von 100, auch Geschäfte müssen wieder schließen.

Ein paar Tage im März galt Brandenburg als das böse Kind unter den Bundesländern. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke und seine Kenia-Koalition hatten eine eigene Interpretation der Notbremse angedacht. Ab einer Inzidenz von 100 sollten erst einmal zusätzliche Eindämmungsschritte gelten und erst ab einer 200er-Inzidenz automatisch alle Märzlockerungen zurückgenommen werden.

An Merkels Seite: Markus Söder inszeniert sich als Musterschüler der Pandemie.
An Merkels Seite: Markus Söder inszeniert sich als Musterschüler der Pandemie.

© dpa

Der Aufschrei ging weit über die Mark hinaus – und wurde offenbar gehört. Inzwischen gilt eine 100er-Notbremse auf Kreisebene und kommt fast überall zum Einsatz. Wo sie in Kraft tritt, müssen die jüngsten Lockerungen wieder zurückgenommen werden. Friseure und Blumen-Läden bleiben aber offen. Auch die Schulen sind geöffnet, allerdings ohne Präsenzpflicht. Vom 1. bis 6. April soll es zwischen 22 und 6 Uhr Ausgangsbeschränkungen geben.

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In Bremen gilt die Notbremse seit Montag, da die Inzidenz zuletzt stabil über 100 lag. Museen, Geschäfte und Sportstätten müssen wieder schließen, auch der Sport in Gruppen ist verboten – selbst unter freiem Himmel. Besonders weit geht Bremen bei der Umsetzung der Maskenpflicht: Die gilt in dem Stadtstaat auch in Autos, wenn Personen aus mehr als zwei Haushalten mitfahren.

In Hamburg gilt die Notbremse schon seit dem 20. März. Genau eine Woche nach Öffnung mussten Museen, Galerien und Zoos wieder schließen. Seitdem darf nur eine Person außerhalb des eigenen Hausstands getroffen werden, im Einzelhandel ist nur noch Click & Collect möglich. In besonders beliebten Gegenden wie der Reeperbahn oder dem Schanzenviertel gilt ein Alkoholverbot. Doch die Inzidenz steigt weiter – nun soll eine nächtliche Ausgangssperre kommen, heißt es aus Senatskreisen.

[Wir müssen deutlich unter 100.000 Toten bleiben“. Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Karl Lauterbach. T+]

Thüringen übertrifft mit einer Inzidenz von 235 alle anderen Bundesländer. Trotzdem verteidigte Ministerpräsident Bodo Ramelow die Lockerungen in der Stadt Weimar, wo die Geschäfte bis Mittwoch probeweise für getestete Kunden geöffnet haben. Grundsätzlich ist Thüringen eher auf der Seite der strengen Lockdowner, nicht zuletzt, weil die Zahlen dort zuletzt so gestiegen sind. Und so fordert Ramelow die Bundesregierung auf, gegebenenfalls das Infektionsschutzgesetz zu ändern, sagte er als Reaktion auf Merkels Interview.

In Rheinland-Pfalz hingegen ist eine Abweichung von der 100er-Inzidenzmarke nicht möglich. „Alle müssen sich an das halten, was wir beschlossen haben“, sagt Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Wo der Wert die 100 übersteigt, gilt eine nächtliche Ausgangsbeschränkung. Dort ist auch die Außengastronomie geschlossen und es darf ab 21 Uhr kein Alkohol verkauft werden.

Die Abweichler

Nach Monaten, in denen der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) Vorsicht predigte, geht Berlin in der Pandemie nun einen eigenen Weg. Obwohl die Inzidenz inzwischen in jedem Bezirk über 100 liegt, werden frühere Lockerungen – im Einzelhandel, Museen und Jugendsport – beibehalten. Sie werden jedoch von einer Teststrategie gestützt, für die 170 Teststationen eingerichtet wurden.

In Hessen bleiben Schwimmbäder und Fitnessstudios offen

Auch die geltenden Kontaktbeschränkungen wurden nicht ausgedehnt. Trotzdem spricht Müller von einer „deutlichen Notbremse“. Doch die Verschärfungen gelten vor allem mit Blick auf die neue FFP2-Masken-Pflicht und das Testen. Arbeitgeber sollen nun ihre Mitarbeiter zweimal wöchentlich testen, wer zum Friseur oder Shoppen möchte, braucht einen negativen Test.

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In Hessen gilt die Notbremse seit Montag – vor allem für den Einzelhandel und Museen. Sport bleibt dagegen möglich: Fitnessstudios bleiben geöffnet, wenn eine Voranmeldung vorliegt und 40 Quadratmeter pro Person zur Verfügung stehen. Schwimmbäder dürfen für den Vereinssport öffnen.

Bier und Brezel: In Tübingen merkt man nicht viel von der dritten Welle - noch?
Bier und Brezel: In Tübingen merkt man nicht viel von der dritten Welle - noch?

© Tom Weller/dpa

Auch in Niedersachsen gibt es nächtliche Ausgangssperren, allerdings erst ab einer Inzidenz von 150; in Regionen, wo die Inzidenz zwischen 100 und 150 liegen, können die Kreise nach eigenem Ermessen entscheiden. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) verteidigte am Montag die geplanten Öffnungen in 25 Modellkommunen seines Landes. „Ich befürchte, wir werden mit einem gewissen Infektionsgeschehen in Deutschland leben müssen“, sagte er dem Radiosender NDRInfo.

Tübingen bleibt Modellversuch - obwohl Zahlen steigen

Der von Merkel kritisierte Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet, betonte am Montag, in seinem Land gelte die Notbremse flächendeckend. „Kein Landkreis kann davon abweichen.“ Die Geschäfte grundsätzlich schließen will er aber nicht. Der Zugang zu den Läden des Einzelhandels über einen Negativtest soll weiter erlaubt sein.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg sagt: „Die Notbremse gilt.“ Wo die Inzidenz mehrere Tage über 100 liegt, wird eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr verhängt. Aber nur, wenn laut Corona-Verordnung „alle anderen Maßnahmen versagt haben.“ Und die legen viele Kommunen großzügig aus. In Stuttgart schloss zwar der Einzelhandel wieder, doch die Ausgangssperre gilt trotz einer Inzidenz von 103 vorerst nicht. Der Modellversuch in Tübingen, wo durch Tests der Zugang zu Geschäften und Gastronomie ermöglicht wurden, wurde bis zum 18. April verlängert – obwohl auch dort die Inzidenz zuletzt deutlich auf fast 100 gestiegen ist.

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In Sachsen will man an diesem Dienstag die neuen Corona-Regeln verkünden. „Wir müssen aufpassen“, warnte CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer am Montag. Nimmt man ihn beim Wort, dürften angesichts der landesweiten Inzidenz von 200 die neuen Regeln wohl härter ausfallen als der Entwurf von vergangener Woche, der noch Öffnungen für Handel, Zoos und Modellprojekte vorsah.

Die Lockerer

Vor allem in Norddeutschland pochen die Regierungen seit längerem auf Zugeständnisse für das öffentliche Leben. In Schleswig-Holstein sollen ab dem 12. April die Außenbereiche von Cafés oder Restaurants wieder öffnen – wenn die Inzidenz stabil unter 100 liegt. Noch befindet sich das Land mit einer Inzidenz von 69 unter der Marke. In zwei Landkreisen wurden jedoch bereits Werte über 100 erreicht, Tendenz steigend. Trotzdem will Landeswirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) in mehr als 16 Modellregionen Lockerungen für Kultur und Sport wagen. Das soll zeigen, „dass bestimmte Dinge nicht zum Pandemiegeschehen beitragen“, wie Buchholz sagt. Dazu sollen in den Modellprojekten auch die Innenbereiche von Gaststätten und Hotels wieder öffnen dürfen.

Gilt als lauteste Kritikerin von Merkel in der MPK: Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.
Gilt als lauteste Kritikerin von Merkel in der MPK: Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.

© Jens Büttner/dpa

Auch Mecklenburg-Vorpommern will die Notbremse nicht eins zu eins umsetzen. Manuela Schwesig (SPD) gilt in der MPK als größte Kritikerin der Kanzlerin und auch jetzt weicht die Ministerpräsidentin ab: „Wir haben uns entschieden, die Notbremse zu ziehen, aber nicht alles zu schließen“, sagte Schwesig im NDR. Konkret heißt das: Die Notbremse soll erst ab einer Inzidenz von 150 gelten und kann auch dann noch mit einem negativen Corona-Test für körpernahe Dienstleistungen umgangen werden. Zudem hat die Landesregierung Ausgangssperren zwischen 21 und 6 Uhr für die Regionen beschlossen, die eine Inzidenz von mehr als 100 haben. Schwesig will über den Umweg der Modellversuche weitere Lockerungen.

Saarland will trotz Kritik lockern

Auch in Sachsen-Anhalt hält man sich nicht an die Inzidenzmarke von 100. Die Notbremse greift in dem Bundesland erst ab einem Wert von 150. Dazu sollen ab dem 6. April Öffnungen erprobt werden, auch Kulturveranstaltungen mit bis zu 100 Besucherinnen und Besuchern pro Tag. Nächtliche Ausgangssperren hatte Ministerpräsident Rainer Haselhoff (CDU) zuletzt abgelehnt. Die Inzidenz lag landesweit zuletzt bei fast 170.

Das Saarland hat sich schon vergangene Woche komplett zur „Modellregion“ erklärt. Daran hält Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) auch nach Merkels Kritik fest. „Wir werden diese Strategie weiterverfolgen“, sagte er am Montag. Starten soll das „Saarland-Modell“ am 6. April mit der Öffnung von Kinos, Theatern, Fitnessstudios und Außengastronomie – exklusiv für negativ Getestete. Am Montag lag die Inzidenz im Saarland bei 79, allerdings mit steigender Tendenz.

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