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Bezahlbar und rechtssicher: Spahns Bevollmächtigter will verlässlichere Pflege.

© Oliver Berg/dpa

Reformideen des Pflegebevollmächtigten: „Es braucht mutige Konzepte“

Neue Ideen für die Pflege: Spahns Bevollmächtigter Westerfellhaus drängt auf Geldleistungen für pflegende Angehörige und Rechtssicherheit bei 24-Stunden-Pflege.

Flexiblere Leistungen der Pflegekassen, finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige und Rechtssicherheit für 24-Stunden-Kräfte: Kurz vor dem Ende der Legislatur hat der als Staatssekretär amtierende Pflegevollmächtigte der Bundesregierung nochmal ein dickes Reformkonzept präsentiert. Ziel müsse es sein, dass die Versorgung Pflegebedürftiger „zeitgemäß, sicher und bezahlbar bleibt“, drängte Andreas Westerfellhaus. „Dazu braucht es mutige Konzepte.“

Dass sie in dieser Legislatur kaum noch umzusetzen sind, scheint den gelernten Krankenpfleger und vormaligen Präsidenten des Deutschen Pflegerates wenig zu stören. Er hofft nach eigenen Worten zwar nach wie vor darauf, dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die versprochene Pflegereform noch vor der Bundestagswahl in die Tat umsetzen, will offenbar auch schon mal Pflöcke einschlagen für die Nachfolgeregierung.

Finanzielle Absicherung für pflegende Angehörige 

So fordert Westerfellhaus etwa, die bestehende Regelung zur Familienpflegezeit durch eine Geldleistung zu ergänzen. Eine Versorgung zuhause, wie sie sich die meisten Pflegebedürftigen wünschten, sei oft nur mit Unterstützung von Familienangehörigen oder engen Freunden möglich, betonte der Experte. Diese hätten zwar die Möglichkeit, sich für solche Pflege teilweise von der Arbeit freistellen zu lassen – als nahe Angehörige sogar für bis zu 24 Monate. In der Realität könnten sich viele das aber schlicht nicht leisten. Er wolle, dass pflegenden Angehörigen die Angst vor sozialem Absturz genommen werde, sagte der Pflegebevollmächtigte. „Die Familienpflegezeit sollte deshalb durch eine Geldleistung für Beschäftigte und Selbständige ergänzt werden.“  

Reformbedarf sieht Westerfellhaus auch für die ambulante Pflege. Da es oft keineswegs einfach sei, einen neuen Pflegedienst zu finden, schreckten viele Pflegebedürftige davor zurück, Wünsche oder Beschwerden zu äußern. Um Pflegebedürftige in ihrer Position als Vertragspartner zu stärken, sollten deshalb „regelmäßige Feedback-Gespräche den Beteiligten die Gelegenheit bieten, Wünsche, Erwartungen und Leistbares zu vereinbaren und Unstimmigkeiten auszuräumen“, forderte der Staatssekretär. Diese gegenseitige Abstimmung zum Prüfen und gegebenenfalls auch zum Anpassen von Leistungen sollten aus seiner Sicht ähnlich wie die Beratungsbesuche bei Pflegegeld-Empfängern von den Pflegekassen separat vergütet werden.

Zudem müssten, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Verbraucherrechte bei ambulanten Pflegeverträgen gestärkt werden. Dazu brauche es gesetzliche Klarstellungen „insbesondere zu Haftungsfragen, den beiderseitigen Kündigungsrechten, dem Recht auf Preisanpassungen, dem Umgang mit Mängeln und Beschwerden sowie den Informationsrechten der Pflegebedürftigen“. Rechtssicherheit über seriöse Vertragsklauseln sei für beide Seiten durch bundeseinheitliche, abgestimmte Musterverträge zu schaffen, verlangte Westerfellhaus. Zudem müssten „die Möglichkeiten gestärkt werden, schwarze Schafe bei den Pflegediensten aufgrund unzulässiger Vertragsklauseln abzumahnen und Unterlassung zu fordern“.

Kaum Angebote für junge Pflegebedürftige 

Der Beauftragte betonte, zu einer selbstbestimmten Pflege gehöre vor allem, die Würde der Betroffenen zu schützen. Es sei jene Pflege sicherzustellen und auch zu finanzieren, die jede und jeder Einzelne sich wünsche. Insbesondere junge Pflegebedürftige müssten sich derzeit viel zu oft passende Lösungen „basteln“, weil es an Versorgungsangeboten fehle. Und es könne auch nicht sein, dass Menschen Angst davor haben müssten, aus Kostengründen von irgendeinem Sachbearbeiter in bestimmte Wohnformen gezwungen zu werden. 

„Selbstbestimmung und Würde werden mit einer Pflegebedürftigkeit nicht abgegeben“, stellte Westerfellhaus klar. Insbesondere für Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf müsse auch das Wunsch- und Wahlrecht bezüglich des Wohnortes gewährleistet sein, betonte er. Hier gelte bislang  noch immer ein Kostenvorbehalt: Wenn eine stationäre Versorgung deutlich günstiger ist als eine ambulante Versorgung, muss der oder die Pflegebedürftige nachweisen, dass eine stationäre Versorgung unzumutbar ist. Das, so stellte der Pflegebevollmächtigte, sei „nicht akzeptabel“.

Die Zahl pflegebedürftiger Menschen zwischen 15 und 60 Jahren hat sich nach den Angaben des Staatssekretärs in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt. Ursachen dafür seien häufig angeborene Erkrankungen, Unfälle oder später erworbene Beeinträchtigungen. Jüngere Pflegebedürftige hätten aber ähnliche Vorstellungen vom Leben wie Gleichaltrige ohne Pflegebedarf. Sie wollten ein möglichst aktives und selbstbestimmtes Leben führen. Die klassischen Angebote einer stationären Pflegeeinrichtung oder der Tagespflege seien dafür häufig ungeeignet. „Ein Singkreis oder eine Dia-Show aus den 50er Jahren ist für sie kein passendes Angebot.“

„24-Stunden-Pflege endlich rechtssicher ausgestalten“

Zugleich müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die Betroffenen mit den Kosten einer Heimunterbringung nicht überfordert würden. Hier sei die Pflegeversicherung in der Pflicht. Deren Leistungskatalog sei für viele aber zu kleinteilig, zu schwer verständlich und oft auch viel zu unflexibel. Pflegebedürftige sollten deshalb in Zukunft bei häuslicher Pflege Anspruch auf zwei Geldquellen haben: ein Pflege- und ein Entlastungsbudget. Damit könnten nötige Leistungen flexibel und unbürokratisch je nach Lebenssituation passend abgerufen werden.

Auch ein von der Politik gerne unter den Tisch gekehrtes Tabuthema sparte der Beauftragte in seinem Reform-Wunschkatalog nicht aus: die umstrittene 24-Stunden-Pflege durch osteuropäische Pflegehelferinnen, ohne die es vielen Betroffenen nicht möglich wäre, in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Dabei wollten viele nicht wahrhaben, so Westerwelle, dass hier „erhebliche rechtliche Risiken bis hin zur Strafbarkeit“ bestünden. Die 24-Stunden-Betreuung müsse deshalb endlich „rechtssicher ausgestaltet werden“. Das Ziel dabei „weder funktionierende Pflegesettings zu zerstören, noch prekäre Arbeitsbedingungen und fragwürdige rechtliche Konstellationen zu tolerieren“.

Abbrecherquote in der Ausbildung bis zu 60 Prozent

Westerfellhaus forderte zudem eine angemessene Bezahlung der Pflegefachkräfte, bessere Arbeitsbedingungen durch faire Tarifverträge, eine effektivere Interessenvertretung durch Pflegekammern und eine verbindliche, einheitliche Personalbemessung in den Kliniken. Pflegekräfte seien schon vor der Pandemie „zu häufig am Limit“ gewesen, erinnerte er. Und viele Fachkräfte kehrten ihrem Beruf schon nach wenigen Jahren den Rücken, um nicht auszubrennen. Steigende Ausbildungszahlen und die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland könnten das nicht kompensieren.

Ausdrücklich warnte der Pflegebevollmächtigte vor Abstrichen bei der Pflegeausbildung in der Corona-Krise. So berichtete er von steigenden Abbrecherquoten, weil Auszubildende merkten, dass in Zeiten einer Pandemie nicht die Ausbildung an erster Stelle stehe. Im Schnitt lägen diese Quoten bei 30 Prozent, in manchen Häusern seien sie sogar doppelt so hoch. Ausbildung sei aber keine Wertschöpfung. Zeit für Praxisanleitung müsse abgesichert sein. Wichtig sei zudem, Auszubildende beim Umgang mit unheilbar Kranken oder Sterbenden aufzufangen.

Plädoyer für sozialen Pflichtdienst

Schließlich warb der Pflegebeauftragte für die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes. Zwar habe sich das bestehende Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) bewährt. Doch sei es gut und richtig, eine öffentliche Debatte darüber zu führen, ob man dieses nicht doch obligatorisch machen könne. Jugendliche erhielten so einen Einblick in Bereiche, die „sonst zu oft hinter verschlossenen Türen bleiben“. Und auf diese Weise ließen sich soziale Tätigkeitsfelder auch stärker dahin rücken, wo sie hingehörten: in die Mitte der Gesellschaft.

Ausdrücklich bekundete Westerfellhaus nochmals seine Unterstützung für den von Gesundheitsminister Spahn vorgelegte Gesetzentwurf für eine Pflegereform. Ein besonderes Anliegen sind dem Bevollmächtigten dabei flächendeckende Tarifverträge. Wenn es gelingen solle, Menschen dauerhaft für die Pflege zu gewinnen, brauche es deutlich attraktivere Angebote, sagte er. Statt Pflegemindestlohn müssten deshalb fair ausgehandelte Tarifverträge die Regel werden. Neben überzeugenden Löhnen und Zulagen müssten sie „allen Pflegekräften familienfreundliche, individuell passende Arbeitszeitmodelle, Lebensarbeitszeitkonten, stabile Dienstpläne und Springerpools bieten“. Und all dies müsse vollständig finanziert werden.

Kritik an „Preisgeschacher“ der Kostenträger

Die Realität sei jedoch eine andere, klagte Westerfellhaus. Einrichtungsbetreiber scheuten sich, in Vorleistung zu gehen, Kostenträger mauerten bei der Anerkennung zusätzlicher Ausgaben. Und Schiedsverfahren lösten dieses Dilemma nicht. Der Gesetzgeber müsse „diese Pattsituation auflösen und regeln, dass tarifvertragliche Vereinbarungen zu Entgelt und Arbeitsbedingungen vollständig von den Kostenträgern der Langzeitpflege zu refinanzieren sind“, so der Pflegebeauftragte. „Das Preisgeschacher muss endlich ein Ende haben.“

Parallel zu alldem müsse auch die Kostenbeteiligung der Pflegebedürftigen begrenzt werden, forderte Westerfellhaus. Mehrkosten für gute Arbeitsbedingungen seien „von der gesamten Gesellschaft zu tragen“. Spahn hat das in seinen Plänen bekanntlich vorgesehen. Die letzten Entwürfe mit ihren Änderungsanträgen seien „richtungsweisend“, sagte Westerfellhaus. Und dass er „heilfroh“ wäre, „wenn das, was vorliegt, jetzt auch zügig verabschiedet wird“.

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