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Anlaufstelle für immer mehr Patienten: Gesundheitsminister Spahn will die Rettungsstellen der Krankenhäuser entlasten.

© Friso Gentsch/dpa

Reform der Notfallversorgung: Erste Hilfe für Rettungsstellen

Schluss mit dem Gedränge in den Notaufnahmen der Kliniken. Gesundheitsminister Spahn will das System ganz neu strukturieren.

Erste Hilfe für die Rettungsstellen. Um Gedränge und stundenlanges Warten in den Krankenhäusern zu beenden, will Gesundheitsminister Jens Spahn die Notfallversorgung nun komplett neu strukturieren.

Vorgesehen hat der CDU-Politiker dafür dreierlei. Die bisherigen Notruf-Leitstellen von ärztlichem Bereitschaftsdienst und Rettungsdienst unter den Telefonnummern 112 und 116 117 sollen zusammengelegt werden. In den Kliniken soll es zentrale Anlaufstellen für alle Notfallpatienten geben, in denen über die Dringlichkeit der Fälle und ihre Weiterleitung entschieden wird. Und die Rettungsdienste sollen von den Kassen künftig auch für Einsätze bezahlt werden, bei denen auf einen Transport ins Krankenhaus verzichtet werden kann.

Belastende Situationen für Ärzte und Pflegende

Die Güte eines Gesundheitssystems zeige sich vor allem im Umgang mit Notfällen, sagte Spahn bei der Präsentation seiner Reformpläne am Dienstag in Berlin. Momentan habe man das Problem, dass „viel zu viele Patienten“ in die Rettungsstellen der Krankenhäuser drängten. Dadurch entständen nicht nur immer längere Wartezeiten für die Betroffenen, sondern auch belastende Situationen für Ärzte und Pflegekräfte in den Kliniken.

Außerdem laufe man dadurch Gefahr, dass wirklich dringliche Fälle in dem Patientengedränge womöglich nicht gleich erkannt und zu spät behandelt würden.

In Berlin und Brandenburg gehen vier von fünf Patienten gleich in die Klinik

Es sei „davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Patienten ebenso in einer normalen Arztpraxis behandelt werden könnte“, heißt es in Spahns Eckpunkten für die Reform. Der Minister verdeutlichte das an der höchst unterschiedlichen Nutzung der Rettungsstellen je nach Region. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise würden fast 60 Prozent aller Notfallpatienten vom ärztlichen Bereitschaftsdienst behandelt. In Berlin und Brandenburg dagegen sei es nur jeder Fünfte. 80 Prozent kämen dort, vorzugsweise nachts und an den Wochenenden, gleich in die Kliniken. Und für die Hauptstadt allein wären die entsprechenden Raten wahrscheinlich noch höher.

Zahlenmäßig betrifft das Problem nicht wenige. 19 Millionen Notfälle werden pro Jahr in Deutschland behandelt. 2010 landeten noch 53 Prozent davon erst mal bei der ambulanten Bereitschaft, 47 Prozent im Klinikum. Fünf Jahre später war es schon genau umgekehrt, wie eine Statistik des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen belegt. Seither hat die Verschiebung in die Rettungsstellen der Krankenhäuser weiter zugenommen.

Zentrale Anlaufstellen zur Vorsortierung werden verpflichtend

Dort, so sehen Spahns Pläne vor, sollen denn auch die neuen integrierten Notfallzentren (INZ) eingerichtet und betrieben werden – gemeinsam von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Kliniken. Der Minister will solche Anlaufstellen, die es mancherorts schon gibt, verpflichtend machen. Gedacht seien sie „für alle gehfähigen Notfallpatienten“ und für Patienten, die von der Notfall-Leitstelle weiterverwiesen wurden, heißt es in seinen Eckpunkten. Sie könnten aber „auch direkt vom Rettungsdienst angesteuert werden“. Bestehende Bereitschaftsdienst- und Portalpraxen sollten „sukzessive vollständig in das INZ überführt werden“.

In der jeweiligen Anlaufstelle sei zu entscheiden, ob der Patient sofort behandelt werden muss, zu weiteren Untersuchungen im Klinikum zu bleiben hat oder – in den weniger kritischen Fällen – an eine Arztpraxis weiterverwiesen wird. Im Idealfall bekommt er für die ambulante Behandlung auch gleich einen Termin vermittelt.

Gut geschultes Personal nötig

Für solche Zuweisungen benötige man besonders gut geschultes Personal, sagte Spahn – und für dieses natürlich auch eine haftungsrechtliche Absicherung. Schließlich gehe es darum, „nicht mehr wie bisher immer nur auf absolute Sicherheit zu spielen“, sondern diejenigen, die keine schnelle Hilfe benötigten, auch erst mal auszusortieren.

Finanziert werden sollen die neuen Anlaufstellen extrabudgetär – über eine Grundpauschale und eine Vergütung pro Fall. Allerdings müsse das Geld für die bisherige Notfallversorgung dann auch aus den bisherigen Budgets herausgerechnet werden, sagte Spahn. Wie viel das Ganze kosten wird, ließ er offen. Bisher schlage die Notfallversorgung bundesweit mit etwa einer Milliarde Euro jährlich zu Buche , hieß es aus seinem Ministerium.

Rettungsdienst kann künftig auch ohne Kliniktransport bei Kassen abrechnen

Die Kosten der Reform sind kompliziert zu berechnen, weil neben dem Zusatzaufwand auch Einsparungen stehen. Das betrifft insbesondere den Rettungsdienst. Bisher galt das Prinzip, dass die Kassen für Rettungseinsätze nur aufzukommen haben, wenn die Patienten dann auch wirklich ins Krankenhaus gebracht werden – mit dem Ergebnis, dass solche Transporte wegen besserer Abrechnungsmöglichkeit viel zu häufig erfolgen.

Solche Verknüpfung der Kostenübernahme entfalle nun, „um nicht notwendige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden“, heißt es in Spahns Eckpunkten. Der Rettungsdienst werde fortan „als eigenständiger medizinischer Leistungsbereich“ geregelt.

Grundgesetzänderungen nötig

Was in den Details bescheiden klingen mag, ist tatsächlich ein enormer Kraftakt, der wegen der Beteiligung der Länder auch Grundgesetz-Änderungen nötig macht. Daher wird es mit der Realisierung wohl nicht so schnell gehen. In Kraft treten sollen die Neuregelungen laut Ministerium Anfang 2020. Für die Umsetzung bekämen die Beteiligten dann aber noch genügend Zeit.

„Lieber ein bisschen länger warten, als dass es Chaos gibt“, lautet die Devise des Ministers. Aber die Länder sollen schnell ins Boot: An diesem Mittwoch will Spahn seine Pläne bereits der Bund- Länder-Arbeitsgruppe für sektorenübergreifende Versorgung präsentieren.

Kassenärzte warnen vor zu vielen Standorten.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kritisierte, dass die Standorte für die vorgesehenen Notfallzentren von den Bundesländern festgelegt werden sollen. "Da die Länder nicht zahlen müssen, werden sie wohl großzügig Standorte ausweisen", sagte KBV-Chef Andreas Gassen.

Von den Krankenhäusern dagegen gab es Lob. Die Probleme der ambulanten Notfallversorgung seien "seit Jahren ungelöst" und stellten für die Kliniken eine hohe personelle und finanzielle Belastung dar, sagte der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Jedes Jahr kämen rund 11 Millionen Menschen in die Ambulanzen der Kliniken, um Hilfe zu bekommen. "Hilfe, die sie im niedergelassenen Bereich offensichtlich nicht erhalten." Dieser Realität müsse sich jede Reform stellen.

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