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Wladimir Putin, Präsident von Russland, betritt eine Bühne, um seine jährliche Rede an die Nation zu halten.

© Alexander Zemlianichenko,dpa

Rede zur Lage der Nation: Putin warnt den Westen vor dem Überschreiten „roter Linien“

Der russische Präsident gibt sich selbstbewusst im Konflikt mit dem Westen. Doch seine wahren Probleme liegen in Russland. Zum Nawalny äußert er sich nicht.

Vor dem Hintergrund verschärfter Spannungen mit dem Westen wegen des massiven russischen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine und des Falls Nawalny hat Präsident Wladimir Putin am Mittwoch seine 17. Rede zur Lage der Nation gehalten.

Obwohl Putin gleich zu Beginn warnte, Russland habe die Corona-Pandemie nicht überstanden, trug kaum einer der gut 1000 versammelten Staatsfunktionäre in dem eng besetzten Saal in der Nähe des Kremls eine Gesichtsmaske. Die Impfquote in Russland ist noch niedrig, wenn der Präsident auch stolz darauf verwies, dass sein Land inzwischen über drei selbst entwickelte Impfstoffe verfüge. Bis zum Herbst könne die Herdenimmunität erreicht werden, versprach Putin zuversichtlich.

Auf den sich verschärfenden Ost-West-Konflikt ging der Präsident erst nach gut einer Stunde ein. Kurz zuvor hatte Putin von seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenski die Einladung zu einem bilateralen Treffen erhalten.

Dieser schlug ein Gespräch "an jedem beliebigen Ort im Donbas", also mitten im Kampfgebiet, vor. Auf den Vorschlag ging Putin nicht ein, auf den Krieg in der Ost-Ukraine nur indirekt. Putin-Sprecher Dmitri Peskow hatte zuvor schon eine bilaterale Begegnung ausgeschlossen. Für Gespräche gebe des das "Normandie-Format", sagte er. Zu dem gehören auch Frankreich und Deutschland.

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Es sei schon Tradition, sagte Putin offenbar in Anspielung auf westliche Kritik und Warnungen vor einer Eskalation der Situation um die Ukraine, Russland bei "beliebigen Anlässen" haftbar zu machen. Dies sei wohl "eine neue Sportart".

Sein Land habe bislang Zurückhaltung an den Tag gelegt, es wolle Brücken nicht zerstören. Aber wenn das jemand als Schwäche auslege, sei die Antwort "asymetrisch, schnell und hart". Putin warnte den Westen "rote Linien" zu überschreiten. Wo diese liegen, ließ er im Dunkeln.

Russland setzt die Modernisierung seiner Streitkräfte, die Putin 2018 in einer spektakulären Multimedia-Präsentation vorgestellt hatte, weiter fort. Putin kündigte an, im nächsten Jahr würden neue Trägerraketen für nukleare Sprengköpfe in Dienst gestellt.

Ohne eine Reformstrategie

In diesem Jahr stehen Duma-Wahlen an, deshalb war erwartet worden, dass Putin den Schwerpunkt seiner Rede den sozialen und wirtschaftlichen Fragen widmen würde. Wegen steigender Lebensmittelpreise und sinkender Reallöhne wächst der Unmut in der Bevölkerung.

Unmittelbar vor der Putin-Rede hatte die staatliche Statistikbehörde Zahlen veröffentlicht, die belegen sollen, dass die Zahl der Armen in Russland sinkt. Doch zwischen offiziellen Zahlen und den täglichen Erfahrungen der Menschen wird die Kluft immer tiefer.

Offiziell ist das Existenzminimum in Russland auf umgerechnet 120 Euro monatlich festgelegt. Gefühlt meinen die Russen laut Umfragen, sie brauchen im Minimum 270 Euro für ein angemessenes Auskommen. Der Durchschnittslohn liegt bei 200 Euro. Putin kündigte nun eine Reihe finanzieller Hilfen vor allem für Familien mit Kindern und Alleinerziehende an.

Die Veröffentlichung von Zahlen zur Lohnentwicklung hatten die Statistiker auf die Zeit nach der Putin-Rede verschoben. Einiges sickerte dennoch durch: In Russland sinken die Reallöhne nunmehr das achte Jahr. Putin versprach nun eine Umkehr: die Einkommen sollen real wieder steigen. Den Weg dazu skizzierte er nicht konkret.

Oppositionelle kündigten Aktionen zur Freilassung Nawalnys an

Putin verkündete in seiner Rede eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen von Investitionen in Grundlagenforschung, Straßen- und Wohnungsbau bis hin zu "modernen und zuverlässigen Schulbussen". Eine Gruppe von Ökonomen und Politologen hatte jedoch im Vorfeld gewarnt, dass die Probleme Russlands viel tiefer liegen.

In einem Bericht "Stagnation-2" beschrieben sie ein Szenario, das zu einem Anwachsen von Konflikten und einer Schwächung der Stabilität des politischen Systems führen könne. Die Abwanderung von Spezialisten aus Russland, die Folgen der Sanktionen, die sinkenden Einkünfte aus dem Export von Rohstoffen, die Überalterung der Bevölkerung würden zu einer langanhaltenden Krise bis in die 2030-er Jahre führen, wenn es keine realen Reformen gebe, heißt es in dem Bericht.

Für den Tag der Putin-Rede hatten Oppositionelle Aktionen zur Freilassung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny angekündigt. Die Sicherheitskräfte gingen deshalb verstärkt gegen Aktivisten vor. Die Anwältin von Nawalnys Anti-Korruptionsfonds, Ljubow Sobol, wurde festgesetzt.

Nawalnys Anwälte hatten zuvor berichtet, auch im Gefängnis erhalte ihr Mandant keine angemessene medizinische Versorgung. Die Behörden verstießen damit gegen russisches Recht, das jedem Gefangenen zugestehe, einen Arzt seines Vertrauens zu konsultieren. Putin sagte in seiner Rede vor den Staatsfunktionären, er gehe davon aus, dass es bis zu den Duma-Wahlen einen Kampf konkurrierender politischer Positionen geben werde.

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