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Ein "digitales Konklave"? Juristinnen schlagen vor, aus dem Online-Vatikan zu den Regeln der Verfassung zurückzukehren - hier Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig vor dem Großbildschirm mit Kanzlerin und Berlins Regierendem Bürgermeister Müller.

© Jens Büttner/dpa

Rechtswissenschaft gegen Corona-Runde: Wider das Konklave im Kanzleramt

Flexibel und schnell gegen die Pandemie? Das leistet die Kanzleramtsrunde gerade nicht, finden Fachleute. Die Verfassung malträtiere das Verfahren außerdem.

Verfassungsjurist:innen plädieren für das Ende der bisherigen Corona-Regierung. Man agiere auch nach einem Jahr Pandemie-Erfahrung „immer noch, als stünden wir am Anfang, von einem Tag auf den andern“, sagte die Düsseldorfer Professorin für Öffentliches Recht Sophie Schönberger dem Tagesspiegel. Und man habe jetzt „das Schlechteste aus zwei Welten“: Einerseits seien die Parlamente viel zu wenig eingebunden, andererseits habe dies keineswegs wie versprochen zu einer schnelleren und effektiveren Eindämmung der Pandemie geführt. 

„Genau das leistet die Exekutive nicht – in einer Phase wie der aktuellen, wo das Infektionsgeschehen sich schnell entwickelt und flexibel und schnell reagiert werden müsste.“ Das habe sich sehr deutlich mit den Osterbeschlüssen gezeigt, die die Kanzlerin am Tag darauf wieder kassierte.

"Eine große Verantwortungsverschleierungsmaschinerie"

An dieser Stelle zeige sich nach Meinung von Schönberger das Grundproblem des Managements via Kanzleramt und der Konferenz der Ministerpräsidenten (MPK): „Ich bin anfangs erschrocken und habe mich gefragt, warum es im Kanzleramt keine Sicherungsmechanismen gegen solche Fehler gab. Inzwischen meine ich: Weil das Kanzleramt dafür nicht gemacht ist. Das Regieren über solche improvisierten Runden funktioniert eben grundsätzlich nicht.“

Die MPK-Runde sei eine „große Verantwortungsverschleierungsmaschinerie“. [Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Skeptisch sei sie allerdings, wenn ständig behauptet werde, die Maßnahmen der Politik im Kampf gegen die Pandemie seien verfassungswidrig – etwa die Einschränkung von Grundrechten oder die "Selbstentmächtigung" des Bundestags. Sie hält zwar einiges für „verfassungsrechtlich hochproblematisch“, was im Eifer des Gefechts ins Infektionsschutzgesetz geraten ist, ebenso die Verlagerung des Gewichts von den Parlamenten auf die Exekutive. Im Hinblick auf das Verdikt der Grundgesetzwidrigkeit rät sie aber zur Zurückhaltung: „Welche Freiheitsseinschränkungen verfassungsrechtlich noch zu rechtfertigen sind und welche nicht, können Verfassungsjurist:innen nicht immer zwingend besser beurteilen als politisch Verantwortliche. Am Ende müssen darüber Gerichte entscheiden."

Schönbergers Regensburger Kollege Thorsten Kingreen fordert ebenfalls ein Ende der Runden von Kanzlerin plus MPK. Die Dauerimprovisation sei ein „digitales Konklave", das neben der Verfassung herlaufe.

Auch Lockerung der Regeln muss möglich sein

Die Verlagerung auf eine inzwischen „überlastete Exekutive“ und deren Recht, auch über Grundrechtseingriffe zu entscheiden, sind nach seiner Meinung nicht nur verfassungsrechtlich problematisch. Die kurzfristigen Entscheidungen des Konklaves „erzeugen auch einen täglichen Alarmismus in der Gesellschaft“, sagt Kingreen, der Fachmann für Sozial- und Gesundheitsrecht ist.

„Leben lernen mit dem Virus heißt auch Rechtsregeln schaffen, die im Alltag angewendet werden können und Flexibilität erlauben. Das heißt, dass man bei verschlechterten Rahmenbedingungen Maßnahmen ebenso verschärfen wie lockern kann.“ Modellversuche mit Lockerungen wie im Saarland, NRW oder Berlin hält er für „unbedingt“ nötig.

„Virologen ist es natürlich wichtig, dass die Leute einfach zu Hause bleiben. Gesellschaftswissenschaft, zu der auch die Rechtswissenschaft gehört, muss wissen wollen: Was machen die Leute denn zu Hause?“ Kingreen empfiehlt, dass nach einem Jahr „pandemischen Sonderregimes“ das Regieren wieder „vernünftig parlamentarisiert“ werde. Was Merkel am Sonntag bei „Anne Will“ angedeutet habe, sei „genau der richtige und übliche Weg“. Die Länder setzten Gesetze des Bundestags ohnehin um. Wenn man mehr Einheitlichkeit der Regeln wolle, „dann soll man das endlich ins Infektionsschutzgesetz schreiben“.
Also mehr Parlament, weniger Exekutive? Schönberger meint: „Die Mischung ist richtig.“ Der Bund solle die Kompetenz in der Pandemiebekämpfung erhalten - der Weg dahin sei ganz einfach -„und dann kann man austarieren, was das Parlament kann und was die Regierung, um schnelles Eingreifen möglich zu machen“. Dies alles unter Parlamentsvorbehalt freilich: "Der Bundestag muss eingreifen, wann immer ihm das nötig scheint."

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