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Italiens Innenminister Matteo Salvini bei der Stimmabgabe am Sonntag.

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Update

Rechtspopulisten im EU-Parlament: Salvini und Co. legen zu

Die Rechtspopulisten werden in Brüssel stärker denn je vertreten sein. Blockieren können sie die Arbeit in Straßburg aber nicht.

427 Millionen EU-Bürger in 28 europäischen Mitgliedstaaten waren zwischen Donnerstag und Sonntag aufgerufen, ein neues Europaparlament zu wählen. Wegen des schon vorab erwarteten Erstarkens der Rechtspopulisten wurde die Entscheidung über die künftige Zusammensetzung des Straßburger Parlaments häufig auch als „Schicksalswahl“ bezeichnet. Zudem geht es am Wahltag sowie in den folgenden Tagen und Wochen auch um eine andere Frage: Wer wird Nachfolger von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker?

Haben die Wähler das Wort von der „Schicksalswahl“ ernst genommen?

In jedem Fall hat die Auseinandersetzung zwischen den Pro-Europäern und den Nationalisten die Wähler europaweit mobilisiert. Während die Wahlbeteiligung seit der ersten Europawahl im Jahr 1979 kontinuierlich nach unten gegangen ist und zuletzt 2014 EU-weit bei 42,6 Prozent gelegen hatte, ging es diesmal erstmals in die andere Richtung: Nach den Angaben eines Sprechers des EU-Parlaments wird die Wahlbeteiligung für die gesamte EU voraussichtlich zwischen 49 und 52 Prozent betragen.

Wie stark werden die Rechtspopulisten im neuen Europaparlament sein?

Nach Angaben der ARD kann das Lager der Rechtspopulisten und Nationalkonservativen damit rechnen, bis zu 40 Mandate im Europaparlament mit seinen insgesamt 751 Sitzen hinzuzugewinnen. Die Gewinne gehen unter anderem zurück auf das starke Abschneiden der fremdenfeindlichen Lega des italienischen Innenministers Matteo Salvini und der Partei „Rassemblement National“ von Marine Le Pen in Frankreich, die wie schon bei der letzten Europawahl rund ein Viertel der Stimmen holte.

Zugewinne gab es für die Fidesz-Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban. Zur stärksten Kraft in Polen wurde die Regierungspartei PiS. Dies gelang in Großbritannien auch der Brexit-Partei. Die erst zu Beginn dieses Jahres gegründete Partei versammelte jene Briten hinter sich, die endlich einen Ausstieg ihres Landes aus der EU sehen wollen. Die Partei des EU-Gegners Nigel Farage wurde aus dem Stand zur stärksten Kraft in Großbritannien.

Im alten Europaparlament waren Rechtspopulisten und Rechtsextreme hauptsächlich in den Fraktionen „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) und „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD) organisiert. Die polnische PiS verstärkt wiederum in Straßburg die Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR), während die Orban-Leute bislang in der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) organisiert sind.

Salvini hat angekündigt, dass sich unter der Führung der Lega eine neue große Fraktion der Rechtspopulisten gründen soll, der sich auch die AfD anschließen will. Nach Angaben der ARD könnte diese Fraktion insgesamt 73 Abgeordnete umfassen. Sie würde damit unter den Fraktionen auf dem vierten Platz landen hinter den erstarkten Liberalen, die dank der Neuzugänge von der französischen Regierungspartei „La République en Marche“ insgesamt mit 101 Mandaten rechnen können.

Was könnte der Stimmenzuwachs der Populisten in der Praxis bedeuten?

Trotz der erwarteten Stimmengewinne dürften die EU-Gegner auch künftig nicht in der Lage sein, den EU-Betrieb zu sprengen. Für Entscheidungen des Parlaments ist je nach Politikbereich gegebenenfalls eine absolute Mehrheit nötig. Diese liegt bei 376 Stimmen. Davon sind Nationalisten, Extreme und Rechtspopulisten auch in Zukunft weit entfernt.

Allerdings könnten die Rechtspopulisten eher als in der Vergangenheit in der Lage sein, Redezeit und damit Aufmerksamkeit zu bekommen. Aufgrund ihres zusätzlichen Gewichts im Europaparlament könnten die Rechtspopulisten künftig auch wichtige Posten ergattern. Das gilt unter anderem für den Vorsitz in den derzeit 20 Parlamentsausschüssen, die alle zweieinhalb Jahre neu gewählt werden.

Wie schneiden die Konservativen und die Sozialdemokraten ab?

Die konservative EVP und die Sozialdemokraten verlieren erstmals seit der ersten Europawahl im Jahr 1979 ihre gemeinsame Mehrheit. Nach vorläufigen Prognosen des Europaparlaments kommt die EVP in der neuen Straßburger Kammer auf 177 Mandate, während Europas Sozialdemokraten mit 147 Sitzen rechnen können.

Damit stellt sich für den Deutschen Manfred Weber, der die Nachfolge des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker antreten will, ein Problem. Anders als Juncker, dem noch am Wahlabend der letzten Europawahl von 2014 die Unterstützung der Sozialdemokraten zugesichert wurde, muss der bisherige EVP-Fraktionschef Weber im Europaparlament sehr viel mehr Verhandlungsgeschick beim Schmieden einer möglichen Koalition an den Tag legen.

Für eine Mehrheitsbeschaffung kämen neben den Sozialdemokraten für den CSU-Vize auch die Liberalen und die Grünen infrage. Ob die dabei mitmachen, ist allerdings offen. Erschwerend kommt für Weber hinzu, dass er selbst in seiner bayerischen Heimat kein berauschendes Ergebnis erzielte. Es gelang ihm nicht, das Ergebnis der letzten Europawahl zu verbessern. Damals wie heute liegt die CSU im Freistaat bei 40,5 Prozent

Hoffnungen auf das Amt des Kommissionschefs macht sich derweil auch Frans Timmermans. Der Niederländer war bei der Europawahl als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten in den Ring gestiegen. Er spekuliert auf ein „progressives Bündnis“, unter anderem mit Liberalen und Grünen.

Wie geht es nach der Europawahl bei der Juncker-Nachfolge weiter?

Am kommenden Dienstagabend wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel über die Besetzung der frei werdenden europäischen Spitzenposten beraten, zu denen das Amt des Kommissionschefs gehört. Sollte es Weber nicht gelingen, im Parlament eine Koalition der Unterstützer aufzubauen, könnten ihm Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, Kanzlerin Merkel und Co. bei der Juncker-Nachfolge das Heft aus der Hand nehmen. Vor allem Macron, seine Partei La République en Marche und Europas Liberale haben vor der Europawahl schon Stimmung gegen das sogenannte Spitzenkandidatenverfahren gemacht.

Dieses Prozedere, auf welches Weber setzt, macht den Wahlsieger bei der Europawahl zum Kommissionspräsidenten. Der Niederbayer, der bei der Wahl als Spitzenkandidat der EVP angetreten war, setzt dabei auf die Führungsrolle seiner Parteienfamilie im Europaparlament. Macron will hingegen sicherstellen, dass sich die Staats- und Regierungschefs im Tauziehen mit dem Europaparlament mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin ihrer Wahl durchsetzen. Mehrere Namen sind dabei bereits im Umlauf: Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager, die sich mit Strafverfahren gegen Internetriesen wie Google einen Namen machte, gehört ebenso dazu wie der Franzose Michel Barnier.

Das Postengerangel begann am Sonntagabend

Das Ringen um das Amt des Kommissionschefs begann bereits am Sonntagabend. In der Berliner CDU-Zentrale erklärte Weber, dass das EU-Parlament jetzt maßgeblichen Einfluss auf die kommenden EU-Personalentscheidungen nehmen müsse. Sowohl die CDU-Chefin Annegret Kamp-Karrenbauer als auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder bekräftigten Webers Anspruch auf die Juncker-Nachfolge. „Das Spitzenkandidaten-Prinzip ist die Grundlage für ein demokratisches Europa“, sagte Söder. Dagegen rührte FDP-Chef Christian Lindner die Trommel für die liberale Dänin Vestager. Vestager sei eine „exzellente Kandidatin“, sagte Lindner.

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