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Ermittler der Polizei stehen auf der Terrasse am Haus des verstorbenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).

© Swen Pförtner/dpa

Rechtsextremisten unter besonderer Beobachtung: Von wem kam die Waffe für das Attentat auf Walter Lübcke?

Im Mordfall um den getöteten Regierungspräsidenten Lübcke ermitteln die Fahnder in der Kasseler Naziszene. Der Tatverdächtige Stephan E. soll Kontakte haben.

Von Frank Jansen

Bei der Suche nach möglichen Mittätern im Mordfall Walter Lübcke nehmen die Sicherheitsbehörden die Szene der Kasseler Neonazis unter die Lupe. Es gebe Hinweise, dass der Tatverdächtige Stephan E. Kontakte zu früheren Mitgliedern der verbotenen Vereinigung „Sturm 18 Cassel“ unterhielt, sagte ein hochrangiger Experte dem Tagesspiegel. Die Gruppierung war gewalttätig und verherrlichte das NS-Regime, die Zahl 18 ist der Szenecode für „Adolf Hitler“. Über ehemalige Mitglieder von Sturm 18 könnte Stephan E. an die Waffe für das Attentat auf Lübcke gekommen sein. Der Kasseler Regierungspräsident starb in der Nacht zum 2. Juni an einem Kopfschuss. Die Polizei fand die Tatwaffe bislang nicht.

Die Polizei hatte im Oktober 2015 bei Mitgliedern von Sturm 18 Waffen und auch Betäubungsmittel sichergestellt. Mit der Durchsuchung flankierte Hessens Innenminister Peter Beuth das Verbot der Neonazi-Vereinigung, die mehr als 300 Straftaten begangen hatte. Der hessische Verfassungsschutz hielt im Jahresbericht 2015 der Gruppierung unter anderem vor, „durch massive Bedrohung und körperliche Gewalt Personen zu zwingen, ihr beizutreten“. Sturm 18 habe auch dazu aufgerufen, den politischen Gegner aus dem linken Spektrum „gezielt zu diffamieren und zu bekämpfen“.

Die Gruppierung hatte womöglich Kontakt zur Terrorzelle NSU. Der als extrem gewalttätig bekannte Anführer von Sturm 18, Bernd T., hatte 2012 in einem Gefängnis dem Bundeskriminalamt gesagt, er habe im März 2006 die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Kassel am Bahnhof abgeholt. Im April 2006 hatten die Neonazis in Kassel den türkischstämmigen Halit Yozgat in dessen Internetcafé erschossen.

Zeugenaussage zu aggressiv fahrenden Autos als Ermittlungsansatz

Im NSU-Prozess trat Bernd T. 2015 als Zeuge auf und behauptete, er habe das BKA angelogen – um Hafterleichterung zu bekommen. Bernd T. saß 2012 und 2015 im Gefängnis, zuvor hatte er schon Haftstrafen verbüßt. 1993 hatte der Skinhead einen Obdachlosen zu Tode geprügelt. Die bislang letzte Haftstrafe für Bernd T. endet in diesem Juni. Als Mittäter im Fall Lübcke kommt er offenbar nicht infrage, die von ihm einst geführten Ex-Kameraden von Sturm 18 schon.

Es sei nicht auszuschließen, dass Stephan E. einen Komplizen hatte, sagen Sicherheitskreise. Sie bestätigten einen Bericht von „Süddeutscher Zeitung“, WDR und NDR, wonach ein Zeuge in der Nacht des Mordes an Lübcke sah, wie zwei Autos „in aggressiver Manier“ durch Wolfhagen-Istha fuhren, den Wohnort des Regierungspräsidenten. Ein Fahrzeug soll ein VW Caddy gewesen sein, ein solcher Wagen ist auf die Ehefrau von Stephan E. zugelassen. Bei der Durchsuchung des Hauses der Familie E. fand die Polizei zudem einen Autoschlüssel für ein Fahrzeug der Marke Skoda, das allerdings bislang nicht entdeckt wurde. Womöglich habe ein Komplize beim Mord an Lübcke „Schmiere gestanden“, sagten Sicherheitskreise.

Die Polizei hatte den Rechtsextremisten in der Nacht zum vergangenen Sonnabend in Kassel festgenommen, am Sonntag kam E. in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft übernahm am Montag die Ermittlungen wegen des Verdachts auf einen rechtsextremen Mord.

Sicherheitskreise betonen, bislang gebe es kein Ermittlungsverfahren gegen einen Unbekannten, sondern nur das gegen Stephan E. Die Zeugenaussage zu den aggressiv fahrenden Wagen in der Tatnacht in Wolfhagen-Istha sei allerdings „ein Ermittlungsansatz“. Stephan E. selbst hat bislang nichts zur Aufklärung beigetragen. Er habe die Tat „nicht eingeräumt“, sagen Sicherheitskreise.

Steigende Zahl offener Haftbefehle gegen Rechtsextremisten

Unterdessen wächst die Zahl der Rechtsextremisten, die sich dem Zugriff der Polizei entziehen. Ende März hätten 657 noch nicht vollstreckte Haftbefehle gegen 497 Personen aus dem „politisch rechten Spektrum“ bestanden, teilte die Bundesregierung jetzt auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke und ihrer Fraktion mit. Im Dezember 2018 hatte die Regierung in der Antwort auf Fragen der Linksfraktion von 605 offenen Haftbefehlen gegen 467 Rechte gesprochen.

Damals wie heute geht es allerdings nur in einem Teil der Haftbefehle um politisch motivierte Delikte. Aktuell liegen 18 Haftbefehle gegen Rechte wegen einer politischen Gewalttat vor, meist handelt es sich um Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Terrorverdacht kommt nicht vor. Die Regierung betont, vor allem bei Gewaltdelikten „werden die Personen einer besonderen Prüfung im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum unterzogen“. Das GETZ wurde 2012 nach dem NSU-Schock eingerichtet. Insgesamt 40 Behörden sind im Zentrum in Köln vertreten, darunter Polizei, Nachrichtendienste und Bundesanwaltschaft.

In weiteren 90 offenen Haftbefehlen ist nach Angaben der Regierung von politisch motivierten Delikten wie Verwenden von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen (meist geht es um NS-Symbole) sowie Volksverhetzung und Beleidigung die Rede. In den restlichen Haftbefehlen werden rechten Tätern unpolitische Straftaten vorgeworfen – Diebstahl, Betrug, Erschleichen von Leistungen, Verkehrsdelikte.

Die Bundesregierung will in der Antwort trotz der steigenden Zahl offener Haftbefehle gegen Rechte dem Eindruck vorbeugen, der Staat sei machtlos. „Die Tatsache, dass alleine zwischen September 2018 und März 2019 insgesamt 305 Haftbefehle zu Personen, die der politisch rechten Szene zugeordnet werden, vollstreckt wurden, zeigt, dass die Polizei die Fahndungen mit Nachdruck und erfolgreich durchführt“, heißt es.

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