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Reichsbürger haben oft ihre eigenen Dokumente, mit denen sie sich ausweisen.

© dpa/Patrick Seeger

Rechtsextremismus: Warum gibt es noch so viele bewaffnete Reichsbürger?

Trotz angekündigter Härte besitzen zahlreiche Reichsbürger noch immer legal Schusswaffen. Auch weil der juristische Umgang mit ihnen so schwierig ist.

Von Markus Lücker

Fehlt den Kommunen nur der Wille, sich mit den Reichsbürgern auseinanderzusetzen, wie es kürzlich der Thüringer CDU-Landtagsabgeordnete Raymond Walk vermutete. Oder liegt es am mangelnden Personal und dem großen Arbeitsaufwand? Am Dienstag berichteten der NDR und die "Süddeutsche Zeitung", dass immer noch 605 Reichsbürger legal im Besitz von Pistolen und Gewehren seien. Allein in Brandenburg besäßen demnach 37 von ihnen mehr als 150 Waffen.

Dabei gibt es seit zwei Jahren deutliche politische Bemühungen, die Reichsbürger zu entwaffnen. 2016 erschoss der Reichsbürger Wolfgang P. bei einer Razzia im bayrischen Georgensgmünd einen Polizisten und verletzte zwei weitere. "Es gibt kein Wenn und Aber", kündigte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) danach die Entwaffnung der Reichsbürger an. Grundlage dafür ist die an eine waffenrechtliche Erlaubnis geknüpfte "Zuverlässigkeit" einer Person. Wo "Tatsachen die Annahme rechtfertigen", dass eine Person die verfassungsmäßige Ordnung gefährden, darf die Erlaubnis widerrufen werden.

Doch die juristische Auseinandersetzung ist schwierig. Robin Kendon arbeitet für das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung. Die Organisation arbeitet eng mit dem Verfassungsschutz zusammen und verbreitet seit 2015 ein Handbuch für den Umgang mit Reichsbürgern. In der Vergangenheit hat Kendon Brandenburger Behörden- und Verwaltungsmitarbeiter zu ihren Methoden in Workshops geschult.

Reichsbürger lehnen den deutschen Staat und dessen Verfassung als ungültig ab. Als erstes bekommen das meistens Behörden zu spüren, etwa bei Bußgeldforderungen. Die Reichsbürger schicken dann oft seitenlange Schreiben. In denen begründen die sie dann anhand historischer Dokumenten, warum Deutschland in seiner aktuellen Form für sie nicht existiert und sie deshalb einen Strafzettel nicht bezahlen müssen.

Lange unterschätzte Gefahr

Die Taktik: Prozesse möglichst lange herauszögern. Vielleicht, so die Hoffnung, geben die Behörden ja auf, wenn sich die Mitarbeiter wieder und wieder durch zehnseitige oder noch längere Zuschriften durcharbeiten müssen. Häufig werden die Mittel auch drastischer. Richter erhalten Morddrohungen, Mitarbeitern in Jobcentern werden mit Klagen und Gerichtsverfahren unter Druck gesetzt.

Das ist dann der nächste Schritt: Nicht mehr nur boykottieren, sondern Angst verbreiten. Aktuell gibt es rund 18.000 Reichsbürger im Land. 2016 sprach der Verfassungsschutz noch von 10.000. Vor allem in Thüringen sind es viele, aber auch in Bayern und Sachsen. Der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit nennt sie eine unterschätze Gefahr, die bis vor kurzem als "Ansammlung von Spinnern und Verrückten abgetan" wurde. Der Verfassungsschutz rechnet in seinem Bericht von 2017 rund 900 von ihnen der rechtsextremen Szene zu.

Die immer noch zahlreichen waffenrechtlichen Erlaubnisse sieht Robin Kendon nicht als ein Zeichen für mangelnde Handlungsbereitschaft bei den verantwortlichen Kommunen. Viele der Reichsbürger würden mit juristischen Mitteln gegen den Entzug ihrer Waffen kämpfen. "Wie jeder andere Mensch auch, haben diese Personen ein Recht dagegen zu klagen, wenn der Staat gegen sie vorgeht", sagt er. Das ändere sich nicht, nur weil die Waffenhalter Deutschland eigentlich nicht anerkennen.

Ein Rechtsstreit mit den Reichsbürgern bedeute dann jedoch die gleichen Probleme, die sich immer mit ihnen ergeben würden: endlos scheinende Briefe, eine pseudojuristische Sprache, die auf Verwirrung zielt, Drohungen. "Da rutschen die Kommunen wieder in vertraute Muster. Und dann dauert das halt."

Streit um die Zuverlässigkeit

Oder der Entzug scheitert vor Gericht. T-online.de berichtete im September von einer von einem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden. Zwar sei der Verfassungsschutz sicher gewesen, dass es sich bei dem Waffenbesitzer um einen Reichsbürger handele, seine acht Schusswaffen durfte er jedoch trotzdem behalten.

Das Gericht begründete dazu: Selbst wenn der Waffenbesitzer eine argumentative Nähe zu den sogenannten Reichsbürgern aufwiese, "könnte allein daraus keine abschließende Prognose zur waffenrechtlichen Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit gestützt werden." Das Verwaltungsgericht in Gießen war im Juni noch zum gegenteiligen Schluss gekommen.

Dresden sah das auch deshalb anders, weil "mit dem Begriff der 'Reichsbürger' gegenwärtig keine klar organisierten oder hinreichend strukturierten Personengruppen umschrieben werden." Kendon sieht dasselbe Probleme. Zwar existieren Anstifter in der Szene, die neue Personen anwerben. Beim gewöhnlichen Reichsbürger handele es sich aber um einen 50-jährigen politischen Einzelgänger, nicht um ein Mitglied einer Clique oder eines Netzwerkes.

Dass es eine grundsätzliche Härte gegenüber den Reichsbürgern brauche, stehe für ihn fest. Wie nach der dringenden Entwaffnung mit ihnen umgegangen werden soll, sei jedoch eine andere Frage. Um handlungsfähig zu bleiben, rät Kendon den Mitarbeitern in seinen Seminaren dazu, nicht mit den Leuten zu diskutieren.

Gleichzeitig frage er sich selbst, ob mehr Empathie nicht helfen könne. Oft handele es sich bei den Reichsbürgern um sowohl finanziell als auch psychologisch stark belastete Menschen. Bußgeldzahlungen bei Behörden würden nicht nur deshalb verweigert, weil die Reichsbürger nicht zahlen wollen, sondern weil sie es oft auch gar nicht mehr könnten. "Wobei dann immer die Frage ist, was davon zuerst da war", sagt Kendon.

Deshalb sei ihnen auch nicht mit Aussteigerprogrammen zu helfen, wie sie beim Umgang mit der Neonazi-Szene verbreitet ist. Die Waffen könne und müsse man Reichsbürgern nehmen, sagt Kendon. Was danach kommen solle? Dass wisse er auch nicht.      

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