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Szene eines rechten Protestzugs in Chemnitz

© imago/Michael Trammer

Rechtsextremismus in Sachsen: „Es gibt ein hochgefährliches braunes Netzwerk“

Robert Claus ist Hooligan-Experte. Im Interview spricht er über die rechten Aufmärsche in Chemnitz – und das Versagen der sächsischen Behörden.

Von Matthias Meisner

Herr Claus, Sie sind Rechtsextremismus-Experte, Schwerpunkt: Hooligan-Szene. Zur großen Spontandemonstration am Sonntag, die völlig aus dem Ruder lief, hatte auf Facebook „Kaotic Chemnitz“, eine Ultra-Gruppe des Chemnitzer FC mobilisiert. Was sind das für Leute?

Um es gleich zu sagen: Nach meinem jetzigen Kenntnisstand finde ich die Rolle der Gruppe ein bisschen überbewertet. „Kaotic“ ist in den 2000er Jahren aus dem rechten Teil der Chemnitzer Fanszene entstanden, hat seit 2012 Auftrittsverbot beim Chemnitzer FC. Es gab immer personelle Überschneidungen zu Gruppen wie den „Nationalen Sozialisten Chemnitz“, die 2014 verboten wurden. Grundsätzlich lässt sich festhalten: Die Chemnitzer Hooligan-Szene und die Chemnitzer Kameradschaftsszene waren schon immer ein Paar. Diese Szene ist eng verbandelt vor allem mit rechten Hools und Ultras aus Cottbus. Es gibt kaum Szenen in Deutschland, die so eng verbandelt sind und so viel miteinander machen: Auswärtsfahrten, Kämpfe, Feiern, Angriffe auf politische Gegner.

Warum sehen Sie die Rolle von „Kaotic“ im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Chemnitz als überschätzt an?

„Kaotic“ hat die Werbung für den Aufmarsch am Sonntag auf Facebook gepostet. Damit waren sie meines Erachtens eine der wenigen Gruppen, die greifbar waren als mobilisierend. „Kaotic“ sind maximal 20, 30 Leute. Die können allein maximal 100 Leute mobilisieren. Das heißt jedoch nicht, dass diese Gruppe ungefährlich ist.

Es gibt demnach viel mehr rechte Aktivisten, ein braunes Netzwerk in Chemnitz?

Genau. Es gibt ein hochgefährliches braunes Chemnitzer Netzwerk, und das seit Jahrzehnten. In ihm spielt unter anderem die vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“ eine Rolle. Es spielen die „NS Boys“ eine Rolle, eine andere Hooligan-Gruppe, die schon seit 2006 Auftrittsverbot hat im Stadion an der Gellertstraße. Zu diesem Netzwerk gehört auch „Hoonara“ – die Abkürzung steht für Hooligans, Nazis, Rassisten. „Hoonara“ wurde Anfang der 90er Jahre von Chemnitzer und Zwickauer Neonazis gegründet, später schlossen sich Erfurter Hooligans an. „Hoonara“ war von Anfang der 90er bis 2007, als sich die Gruppe aufgelöst hat, in der Hooligan-Szene sportlich führend, politisch wie immer militant weit rechts. Das ist für die Geschichte von Chemnitz deshalb auch so wichtig, weil man in den 90er Jahren dort eine der militantesten, größten, besttrainiertesten Hooligan-Fraktionen in ganz Deutschland hatte, gleichzeitig eine der aktivsten Sektionen von „Blood and Honour“ in Deutschland…

… eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, neonazistische Bands miteinander zu verknüpfen…

Ja. Das subkulturelle rechtsextreme Milieu aus Hooliganismus, Musik und Kameradschaften hat in den 90er und 2000er Jahren seine Hoch-Zeit in Chemnitz gehabt. Teilweise gab es sogar Beziehungen zum NSU-Unterstützerumfeld. „Hoonara“ hat sich 2007 aufgelöst. Aber Gruppenauflösung heißt ja nicht, dass die Leute weg sind. Das Netzwerk besteht definitiv noch. „Hoonara“ ist in der Szene immer noch ein gewisser Mythos. Bis heute skandieren Rechtsextreme immer wieder „Hoonara“, ich habe das selbst zuletzt im Herbst 2016 auf einer Kampfsportveranstaltung in Berlin erlebt.

Stichwort Kampfsport: Es geht also auch nicht nur um Fußball-Hooligans?

Ein Beispiel: Auch das „Imperium Fight Team“ aus Leipzig hatte für Montagabend nach Chemnitz mobilisiert. Es stammt aus der rechtsextremen Hooligan-Szene bei Lokomotive Leipzig, unter anderem der Gruppe „Szenario Lok“, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Kämpfer des Gyms spielten auch eine Rolle beim Überfall auf das linke Szene-Viertel Leipzig-Connewitz im Januar 2016. Man kann die ganze Liste der Täter von Leipzig-Connewitz durchgehen und wird sehr viele Leute finden, die in Kampfsport-Gruppen organisiert sind, die Kickboxen oder MMA praktiziert haben, Mixed Martial Arts. Wenn wir nur die Fußball-Brille aufsetzen zum Thema Hooligans, ist die Szene nicht zu verstehen. Wir müssen auch die Kampfsport-Brille aufsetzen. Da ist die zentrale Frage immer noch: Warum gibt es kein bundesweites Präventionsprogramm zum Thema Rechtsextremismus im Kampfsport? Wir finden so viele rechtsextreme Schläger, die Kampfsport trainieren, da reden wir wirklich von riesigen Zahlen bundesweit.

Sie haben die „Identitäre Bewegung“ angesprochen, die es erst seit ein paar Jahren gibt. Eine andere Gruppe, die in der Region Südwestsachsen sehr aktiv ist, ist die Neonazi-Kleinpartei „Der III. Weg“. Welche Rolle spielten diese bei den aktuellen Ereignissen in Chemnitz?

Das muss noch ausgewertet werden. Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass die eng vernetzten, rechten Hooligan-Szenen sowohl in Chemnitz als auch in Cottbus Kontakte haben zur „Identitären Bewegung“ und auch zum „III. Weg“.

Im sächsischen Landtag sitzt seit 2014 die AfD. Sie hatte auf dem Chemnitzer Stadtfest einen Stand, ebenfalls zu Protesten nach dem Tötungsdelikt gegen den 35-Jährigen Deutschen aufgerufen. Sie geht jetzt auf Distanz zu den Exzessen am Sonntag- und am Montagabend. Gibt es trotzdem eine Vernetzung?

Meine Einschätzung: Schon an der Mobilisierung zu Sonntag war zu beobachten, dass die offiziellen Aufrufe gar nicht so wichtig waren. Viel läuft über WhatsApp-Gruppen und Chatverläufe. Auch zu anderen rechten Aufmärschen in der Region wurde zuletzt kaum mit klassischer Plakatwerbung mobilisiert. An diesen Internetgruppen sind auch Menschen aus dem Umfeld der AfD beteiligt.

Robert Claus.
Robert Claus.

© www.chloephoto.de

Hat es Sie überrascht, dass Chemnitz zum Schauplatz der rechten Aufmärsche werden konnte, die jetzt bundesweit Schlagzeilen machen?

Nein.

Die Behörden haben die Gefahr also falsch eingeschätzt?

Das ist ganz deutlich. Das Verhalten der Polizei am Montagabend lässt sich nur als unterirdisch bezeichnen. Am Sonntag hat die Polizei gesehen, dass Rechtsextreme und Hooligans in kurzer Zeit fähig sind, 800 bis 1000 Leute zu mobilisieren. Einen Tag später war zu beobachten, dass bundesweit mobilisiert wurde, Neonazis mobilisierten sogar auch Dortmund. Wie können die Behörden dann zu der Einschätzung kommen, dass nur wenige hundert Leute kommen? Das am Montag eine Demonstration mit mehreren tausend Menschen stattfindet, war sehr vorhersehbar.

Ein Versagen auch des Verfassungsschutzes?

Ich weiß nicht, welche Lageeinschätzung der Verfassungsschutz gegeben hat. Aber es liegt natürlich nahe, dass das Versagen der sächsischen Behörden am Montag auf ganzer Bandbreite stattgefunden hat.
Robert Claus (35) arbeitet in der Kompetenzgruppe „Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit“ in Hannover. Er ist Autor des im Werkstatt-Verlag erschienenen Buches „Hooligans – Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“. Auf Twitter: @RobertClaus13.

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