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Der frühere Chef des französischen Front National, Jean-Marie Le Pen.

© AFP

Rechtsextremismus in Europa: Frankreichs Dammbruch à la Thüringen liegt zwei Jahrzehnte zurück

Was Deutschland gerade erlebt, hat Frankreich schon hinter sich: die Wahl eines regionalen Landesfürsten durch Rechtsextreme.

Nicht nur in Thüringen, sondern auch in Frankreich gab es in der jüngeren Geschichte einen politischen Dammbruch, der bis heute nachwirkt. 1998 passierte in der Region Rhône-Alpes etwas, das an die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich durch Stimmen der AfD erinnert. Damals wurde die Wiederwahl von Charles Millon als Regionalpräsident von Rhône-Alpes – so wie in vier weiteren Regionen – durch den rechtsextremen Front National (FN) ermöglicht.

Millon gehörte der liberalen Partei „Union pour la démocratie française“ (UDF) an. Die Partei, die heute nicht mehr existiert und in Teilen in der liberalen Modem aufgegangen ist, wurde 1978 zur Unterstützung des damaligen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing gegründet. Sie umfasste mehrere Strömungen – darunter liberale, christdemokratische und konservative Ausrichtungen.

Auch in Rhône-Alpes hatten weder Bürgerliche noch der Linksblock eine Mehrheit

Millon, der in der Ära des gaullistischen Präsidenten Jacques Chirac Verteidigungsminister war, wollte 1998 seinen Posten als Regionalpräsident in Rhône-Alpes unbedingt behalten. Im Regionalrat herrschte damals eine ähnliche Lage wie in Thüringen: Sowohl dem bürgerlichen Lager als auch dem Linksblock fehlte eine Mehrheit. In dieser Lage ließ sich Millon mit den Stimmen des Front National zum Regionalpräsidenten wählen. Millon beteuerte anschließend, es habe vor der Wahl keine Absprachen mit der rechtsextremen Partei gegeben, die damals von Jean-Marie Le Pen geführt wurde. Die Idee, den Front National für eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien zu öffnen, stammte von Le Pens Stellvertreter Bruno Mégret.

Dass sich bürgerliche Kandidaten an die Spitze von Regionen wählen ließen, führte seinerzeit zu einem nationalen Aufschrei in Frankreich. Bis 1998 war eine politische Zusammenarbeit mit dem Front National tabu gewesen. Für die liberale UDF hatte das informelle Bündnis mit dem Front National dramatische Folgen. Die Partei spaltete sich, Millon gründete seine eigene Kleinpartei „La Droite“ („Die Rechte“). Lange konnte er sich nicht im Amt<des Regionalpräsidenten halten. Zehn Monate nach der Wahl mithilfe der Rechtsextremen musste er seinen Posten der Konkurrentin Anne-Marie Comparini, die weiterhin der UDF angehörte, überlassen. Bei ihrer Wahl war Comparini Anfang 1999 nicht mehr auf die Unterstützung des Front National angewiesen, weil sie neben den Abgeordneten der eigenen Partei auch die Stimmen des Linksblocks erhielt.

Im innenpolitischen Streit um den Front National distanzierte sich der gaullistische Präsident Jacques Chirac 1998 mit deutlichen Worten von der Partei Le Pens. Der FN sei eine „rassistische und fremdenfeindliche Partei“, sagte Chirac damals. Der Schaden war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits entstanden. Dass sich bürgerliche Regionalpolitiker vom Front National mitwählen ließen, machte die rechtsextreme Partei salonfähig. Der Partei schadeten auf lange Sicht auch die innerparteilichen Querelen zwischen Jean-Marie Le Pen und seinem Widersacher Mégret nicht.

Der nächste Dammbruch: 2002 kam der Front National in die Stichwahl

Den nächsten Dammbruch erlebte Frankreich dann vier Jahre nach der Regionalpräsidenten-Wahl: 2002 gelang es Jean-Marie Le Pen, bei der Präsidentschaftswahl in die zweite Runde zu gelangen. Die Stichwahl entschied Chirac zwar für sich. Doch der Schock saß tief.

Le Pens Tochter Marine, die die inzwischen in Rassemblement National umbenannte Partei seit 2011 führt, gelang es 2017 bei der Präsidentschaftswahl ebenfalls, in die Stichwahl gegen Emmanuel Macron einzuziehen. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hatte der FN einen Stimmenrekord verbucht. Mehr als 7,6 Millionen Wähler stimmten für die rechtsextreme Partei – so viel wie noch nie zuvor. Ob die Partei damit ihren Zenit erreicht hat oder nicht, lässt sich schwer prognostizieren.

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