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Mit mehr als 1800 Fällen von Jugendschutzverstößen im Internet wurde im vergangenen Jahr ein neuer Höchststand erreicht, ein Großteil davon im Bereich "social web".

© dpa

Rechtsextremismus bei Facebook, Twitter und Co.: Immer mehr getarnte Hass-Propaganda im Netz

Rechtes Gedankengut wird immer häufiger über soziale Netzwerke verbreitet, heißt es in einem neuen Bericht über Rechtsextremismus im Netz. Scheinbar ideologiefreie Einträge werden demnach zum Einfallstor für rechtsextremistische Hetze.

Der „Platzhirsch“ aus Sachsen ist gegen Drogen. Beim „Abschiebär“ ist schon klarer, wer hinter der im Internet beworbenen Kampagne steckte. Solche jugendgefährdenden Inhalte nehmen rasant zu. Das geht aus dem Bericht „Rechtsextremismus online 2013“ hervor, den Jugendministerin Manuela Schwesig (SPD) am Dienstag gemeinsam mit der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb), Jugendschutz.net und der „Online Beratung gegen Rechtsextremismus“ in Berlin vorgestellt hat. „Wir müssen Kinder und Jugendliche vor rechtsextremer Onlinepropaganda schützen“, sagte sie.

Mit mehr als 1800 Fällen von Jugendschutzverstößen wurde demnach im vergangenen Jahr ein neuer Höchststand erreicht. Insgesamt wurden etwa 5500 Webangebote gesichtet, von denen 70 Prozent zum „Social Web“ zählen. Schwesig zeigte sich erschrocken über die Dinge, die sich im Netz abspielten. Sie beklagte die Methoden, mit denen Rechtsextreme Jugendliche zu ködern versuchen. Neonazis wären nicht mehr ausschließlich glatzköpfige Springerstiefelträger, sondern würden mit „fetzigen“ Kampagnen im modernen Antlitz ihr Gedankengut online verbreiten. Betroffen von rassistischen Hetzparolen seien dabei vor allem Juden, Muslime, Sinti und Roma sowie Homosexuelle.

Bei Facebook und Co. verbreiten sich die Botschaften schneeballartig

Soziale Netzwerke nehmen eine immer stärkere Rolle bei der Verbreitung von rechtsextremer Propaganda ein. Facebook, Twitter und Youtube, aber auch Tumblr oder die russische Videoplattform „VK“ werden nach Angaben von Stefan Glaser, stellvertretender Leiter von Jugendschutz.net, immer beliebter bei Rechtsextremen. Der interaktive Charakter dieser Seiten fördere die schneeballartige Verbreitung von provokanten und emotionalisierten Beiträgen. Hinter scheinbar ideologiefreien Einträgen, etwa gegen sexuellen Missbrauch oder Drogen, stecke oft rechtsextreme Hetze. So ist der „Platzhirsch“ in Wahrheit das Maskottchen der NPD Sachsen.

Der "Platzhirsch" ist das Maskottchen der NPD in Sachsen und geht im Landtagswahlkampf auf "Drogentour". So wird der Plüsch-Rechtsextreme auch bei Youtube und in anderen sozialen Onlinemedien vermarktet.
Der "Platzhirsch" ist das Maskottchen der NPD in Sachsen und geht im Landtagswahlkampf auf "Drogentour". So wird der Plüsch-Rechtsextreme auch bei Youtube und in anderen sozialen Onlinemedien vermarktet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Durch verschleierten Rassismus werde versucht, neue Anhänger zu akquirieren. Mit subversiven Methoden wie dem „Guerilla-Marketing“ tarnen Neonazis ihre Aktionen. Sie bringen Jugendliche dazu, provozierende, als „umstrittener Humor“ deklarierte Inhalte mit ihrem Freundeskreis zu teilen. Stylische Elemente bei ihren Internetauftritten und scheinheilige Slogans wie „Null Prozent Rassisten, 100 Prozent identitär“ unterstützten Neonazis dabei.

Jugendschutz.net versucht rassistische Inhalte löschen zu lassen 

Jugendschutz.net ist seit 1997 als länderübergreifende Stelle tätig und hat zum Ziel, problematische, jugendgefährdende Inhalte schnellstmöglich aus dem Netz nehmen oder ändern zu lassen. Wie aus dem vorgestellten Jahresbericht hervorgeht, gelang es bei zwei Drittel der ermittelten Verstoßfälle, eine Löschung zu erwirken (das entspricht 808 rechtsextremen Webangeboten). Seit 2013 wird Jugendschutz.net durch ein Programm des Bundesfamilienministeriums gefördert.

Als weiteren Trend benannte Stefan Glaser, dass sich „offener Hass auf bestimmte Menschengruppen immer mehr Bahn bricht“. Aktuelle Probleme wie der Gaza-Konflikt würden für die Verbreitung von nationalistischem Gedankengut oder antisemitischer Hetze instrumentalisiert. Das „Social Web“ befördere eine Enthemmung von Diskussionen und berge erhöhtes „Aufwiegelungspotenzial“.

Rechte Propaganda wird international

Thomas Krüger, Präsident der bpb, sieht in der „internationalen Vernetzung“ von hasserfüllten Inhalten ein immer größeres Problem. Vor allem die russische Plattform „VK“ zeige Neonazi-Videos, in denen Homosexuelle erniedrigt werden. „Wir brauchen eine transnationale, nachhaltige Förderstrategie und müssen eine langfristige Expertise aufbauen“, sagte Krüger. Ein Beispiel dafür sei das internatonale Netzwerk gegen Cyber-Hass INACH.

Dadurch, dass rechtsextreme Inhalte auch auf ausländischen Webseiten veröffentlicht werden (2013 waren es 93 Prozent der gesichteten Social-Web-Einträge) und internationale Provider zuständig sind, gilt das vergleichsweise strenge, deutsche Recht nicht. Das Entfernen dieser Inhalte wird damit schwieriger. Gerade die russische Seite „VK“ lasse sich kaum beeinflussen. Und während Paragraph vier des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags hierzulande genau aufzählt, was als unzulässiger, rechtsextremer Inhalt einzuschätzen ist, gehört in den USA beispielsweise „hatespeech“ zur freien Meinungsäußerung dazu und ist nicht verboten.

Werden rassistische, hasserfüllte Inhalte auf ausländischen Servern gemeldet oder entdeckt, könne allerdings eine Sperrung für deutsche Nutzer erwirkt werden. Stefan Glaser zufolge gehe beispielsweise Youtube so vor. Dennoch bleibt die Möglichkeit, durch vergleichsweise einfach zu bedienende Programme die Sperren zu umgehen.

Eltern, Lehrer und Trainer suchen Hilfe 

Martin Ziegenhagen von der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ sprach auch von einem erhöhten Beratungsbedarf im vergangenen Jahr. Bei seiner Online-Beratungsstelle können sich Betroffene kostenlos und anonym Hilfe holen. Oftmals wendeten sich besorgte Eltern, Lehrer oder Trainer an seine Webseite. Diese seien in Schockstarre angesichts der Hetze, auf die Jugendliche im Internet stoßen. „Wir brauchen fitte Eltern und Pädagogen, die aufmerksam sind und sich mit dem Thema auseinandersetzen“, sagte er. Einfach wegschauen oder den Umgang mit dem Internet verbieten, sei keine Lösung.

Dem stimmte auch Jugendministerin Schwesig zu. Sie zählte außerdem finanzielle Unterstützung, politische Klarheit und eine engagierte Zivilgesellschaft als zwingend notwendige Faktoren auf, die bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus im Internet benötigt würden. Von 2015 bis 2019 will sie bundesweite sowie lokale Projekte und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit mit 30,5 Millionen Euro fördern. Jugendliche seien zu 98 Prozent im Netz unterwegs, weshalb sie eine besonders gefährdete Gruppe darstellten. Einen vollständigen Schutz gegen rechtsextremistische Propaganda gibt es nicht. Politische Bildung und die Förderung von Medienkompetenz könnten jedoch Abhilfe schaffen, hofft die Ministerin.

Friederike Zörner

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