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Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess im Mai 2013

© Reuters/Michael Dalder

Rechtsextreme Terror: Das Urteil im NSU-Prozess ist nicht das letzte Wort

Nach fünf Jahren und mehr als 400 Verhandlungstagen geht in München der Prozess um die Morde der Terrorzelle NSU zu Ende. Was ist von dem Urteil für Beate Zschäpe und andere zu erwarten?

Von Frank Jansen

Der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl, wird an diesem Mittwoch das Urteil über die Angeklagten verkünden. Damit endet das größte Terrorverfahren in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Auch international wurde der Prozess mit großem Interesse beobachtet. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat sich in der mehr als fünf Jahren dauernden Hauptverhandlung ein Bild von der Schuld der fünf Angeklagten gemacht.

Welche Strafe könnte Beate Zschäpe erhalten?

Viele Prozessbeteiligte und -beobachter glauben, der 43-jährigen Hauptangeklagten stehe die Höchststrafe bevor: „lebenslänglich“, kombiniert mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Damit könnte Beate Zschäpe nicht nach 15 Jahren auf Bewährung freikommen. Die Bundesanwaltschaft, die in ihrem Plädoyer die Höchststrafe verlangte, hält zudem Sicherungsverwahrung für die Zeit nach Verbüßung der Haft für notwendig. Zschäpe sitzt bereits seit mehr als sechseinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

Aus Sicht der Ankläger war Zschäpe Mitglied der Terrorzelle NSU und beteiligt an zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen, die Böhnhardt und Mundlos verübten. Zschäpe selbst hat lediglich zugegeben, am 4. November 2011, kurz nach dem Tod ihrer beiden Kumpane, die gemeinsame Wohnung in Zwickau angezündet zu haben. Schon dafür könnte sie lebenslänglich ins Gefängnis gehen. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe besonders schwere Brandstiftung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und versuchten Mord in drei Fällen vor.

Zschäpes drei Altverteidiger argumentieren, es habe sich nur um eine „einfache Brandstiftung“ gehandelt. Die Angeklagte sei keine Terroristin. Die beiden neuen Anwälte, die sich Zschäpe 2015 zulegte, sehen jedoch eine besonders schwere Brandstiftung, das „fahrlässige Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ und auch psychische Beihilfe zu den 15 Raubüberfällen. Sie räumen ein: Zschäpe billigte, dass mit dem erbeuteten Geld das Leben im Untergrund finanziert wurde. Die Morde und Sprengstoffanschläge will die Frau abgelehnt haben. Zschäpes neue Anwälte baten die Richter, die Strafe solle zehn Jahre Haft nicht überschreiten.

Was ist mit den anderen vier Angeklagten?

Der frühere Vizechef der Thüringer NPD, Ralf Wohlleben, wird vermutlich mindestens die zwölf Jahre Haft bekommen, die Bundesanwalt Herbert Diemer im September 2017 in seinem Plädoyer gefordert hat. Wohlleben soll die Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 dirigiert haben, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Der Neonazi bestreitet jede Schuld, wird aber vom Mitangeklagten Carsten S. massiv belastet. Der Strafsenat hat in Entscheidungen zur weiteren U-Haft für Wohlleben deutlich gemacht, dass er S. glaubt, der die rechte Szene längst verlassen hat.

Carsten S. hatte im Frühjahr 2000 die Pistole nach Chemnitz zu Böhnhardt und Mundlos gebracht. Er legte zu Beginn des Prozesses ein umfassendes Geständnis ab und zeigt Reue. Die Bundesanwaltschaft hält drei Jahre Haft für angemessen. Die Verteidiger von S. wie auch Wohllebens Anwälte fordern für ihre Mandanten Freispruch. Dass sich die Richter darauf einlassen, ist kaum vorstellbar.

Für den Angeklagten Holger G., der dem NSU unter anderem mit einem Reisepass und einem Führerschein geholfen hat, fordert die Bundesanwaltschaft fünf Jahre Haft. Holger G. hat ebenfalls zu Beginn des Prozesses die Taten zugegeben. Fünf Jahre Haft sind denkbar. Die Anwälte von G. nannten kein Strafmaß.

Schwer vorhersehbar ist das Urteil im Fall des André E. Bundesanwalt Diemer überraschte in seinem Plädoyer mit der Forderung nach zwölf Jahren Haft. Der üppig tätowierte Neonazi, aber auch die meisten Prozessbeteiligten hatten deutlich weniger erwartet. Auf Antrag Diemers steckte der Strafsenat André E. im September 2017 wieder in Untersuchungshaft. Ein Tatvorwurf der Bundesanwaltschaft lautet Beihilfe zu versuchtem Mord. André E., der bis heute schweigt, soll im Dezember 2000 das Wohnmobil gemietet haben, das Böhnhardt und Mundlos für den ersten Sprengstoffanschlag in Köln nutzten. Bei der Tat wurde eine junge Frau schwer verletzt. Die Verteidiger von E. plädierten auf Freispruch.

Welche Fragen bleiben offen?

Vieles konnte weder in der Verhandlung noch in den 13 Untersuchungsausschüssen von Bundestag und Länderparlamenten nicht geklärt werden. Die Angehörigen der Ermordeten wissen immer noch nicht, warum ausgerechnet ein Mitglied ihrer Familie sterben musste. Zschäpe sagt, sie könne dazu nichts sagen. Auch langjährige Begleiter des NSU wie Wohlleben, Holger G. und André E. geben sich ahnungslos.

Nicht nur die Hinterbliebenen und ihre Anwälte wollen wissen, welche Rolle der Verfassungsschutz und andere Behörden im Fall NSU gespielt haben. Vor allem bei Linken hält sich der Verdacht, V-Leute könnten näher an der Terrorzelle dran gewesen sein, als der Nachrichtendienst und die Polizei zugeben. Mancher Verdacht klingt nach Verschwörungstheorie, aber es gibt auch Fälle, die tatsächlich seltsam erscheinen.

Der einstige Thüringer Neonazi-Anführer Tino Brandt hatte telefonischen Kontakt zu Böhnhardt und Mundlos, nachdem sie untergetaucht waren. Die Neonazis vertrauten dem Mann, der allerdings gleichzeitig für den Thüringer Verfassungsschutz spitzelte. Offen bleibt, ob Brandt der Behörde sein Wissen mitteilte oder ob er ein doppeltes Spiel trieb.

Der Angeklagte Holger G. hat zudem 2011 der Polizei berichtet, Brandt habe sich in Diskussionen mit Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und Wohlleben für den bewaffneten Kampf ausgesprochen. Bevor Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe abtauchten. Womöglich hat der V-Mann die Radikalisierung der drei noch befeuert.

Wie sehen die Angehörigen der Opfer und die türkische Regierung den NSU-Prozess?

Sowohl die Eltern des in Kassel ermordeten Halit Yozgat wie auch der türkische Generalkonsul und ein Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP äußerten sich in der letzten Woche am vorletzten Prozesstag negativ. „Ich möchte ein richtiges Urteil, aber ich erwarte das von diesem Richter nicht mehr“, sagte der Vater des Mordopfers, Ismail Yozgat. Er warf Richter Götzl vor, einer möglichen Verstrickung des Verfassungsschutzes Andreas T. in den Mord nicht genug nachgegangen zu sein. Der Beamte hatte sich mutmaßlich zur Tatzeit in dem Internetcafé aufgehalten, in dem Böhnhardt und Mundlos auf Halit Yozgat schossen. Andreas T. bestreitet, den Mord bemerkt zu haben.

Die türkischen Erwartungen an das Urteil seien „niedrig“, sagte der türkische Generalkonsul Mesut Koc. Er bezweifelt, dass der Hintergrund des NSU „mit allen Netzwerken klar wird“. Mustafa Yeneroglu, eint Spitzenfunktionär der islamistischen Vereinigung Milli Görüs in Deutschland und heute Abgeordneter der AKP im türkischen Parlament, behauptet, es gebe nur eine „minimale Aufklärung“, Kanzlerin Merkel habe das Versprechen einer lückenlosen Aufklärung „nicht durchgesetzt“. Die Frage nach den „bis zu 40 V-Leuten“ im Umfeld des NSU bleibe offen. Er habe den Eindruck, „dass der gewaltbereite Neonazismus komplett staatsfinanziert worden ist“, sagte der Politiker. Außerdem sei „überall in den Sicherheitsbehörden maximal geschreddert worden“. Trotz der offenen Fragen zu V-Leuten und der Zerstörung von Unterlagen in Verfassungsschutzbehörden wirken die Äußerungen übertrieben.

Wie präsent waren türkische Medien im Prozess?

Im April 2013 war die Aufregung groß, als kein einziger türkischer Journalist für den Prozess eine Akkreditierung mit Sitzplatzgarantie erhielt. Die türkischen Medien waren nicht schnell genug gewesen. Die Zeitung „Sabah“ wandte sich ans Bundesverfassungsgericht, das eine Quote für ausländische Journalisten empfahl. Richter Götzl zog ein neues Akkreditierungsverfahren durch, türkische Journalisten kamen zum Zuge. In der Hauptverhandlung bröckelte deren Präsenz allerdings nach der Anfangsphase ab. Die Redaktionsbüros der türkischen Medien in Deutschland hatten offenbar zu wenig Personal, um den Prozess dauerhaft zu begleiten. Außerdem wirkte sich Erdogans Repression nach dem gescheiterten Militärputsch auch auf die türkische Presselandschaft in Deutschland aus. Die Zeitung „Zaman“, die der von Erdogan angefeindeten Gülen-Bewegung nahestand, wurde im Juli 2016 in der Türkei verboten. Die Redaktion in Deutschland machte vier Monate auf eigene Faust weiter und gab dann auf. Ein Korrespondent, der dem NSU-Prozess oft gefolgt war, tauchte nicht mehr auf.

Eine Chronik des NSU-Prozesses finden Sie hier.

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