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Eine USA-Fahne auf der Straße in Ferguson, auf der Michael Brown von einem Polizisten erschossen wurde.

© Reuters

Recht und Gewalt in den USA: Es war einmal Amerika

Good cop, bad cop: Amerika hat viele Gesichter. Aber das Gesicht seiner Justiz ist zur Fratze verzerrt. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Peter von Becker

Alle regen sich auf über die NSA. Zu Recht. Aber wer glaubt, dass Geheimdienste (auch der deutsche) sich durchwegs an Gesetze halten und Persönlichkeitsrechte respektieren, der ist naiv. Das lehren schon Dichtung und Wahrheit in jedem mittelguten Agententhriller. Polizei und Justiz dagegen sind nicht geheim und eigentlich für den Bürger da (Geheimdienste sind wie alle Geheimbünde oft genug nur für sich selber da).

Denkt man. Und denkt es bei Amerikas Justizorganen gerade immer weniger. Die Nachrichten über tödliche Polizeigewalt, vor allem gegen Farbige, reißen nicht ab, auch jetzt nicht, genau ein Jahr, nachdem ein weißer Polizist in Ferguson einen schwarzen Teenager erschossen hat. Dabei fragt man sich in den vielen, teils streitigen, teils durch Videobeweise recht eindeutigen Fällen, warum US-Polizisten nicht nur furchtbar schnell zur Schusswaffe greifen, sondern auch: Warum zielen sie derart oft auf Kopf und Brust? Nicht, dass ein Schuss ins Knie einen besonderen Ausweis von Humanität bedeutet. Doch zwischen tot und nur kampf- oder bewegungsunfähig ist ein Unterschied.

Weniger Colt wäre besser

Oder dies: Der inzwischen skandalöse Fall des angesehenen deutschen Violinisten Stefan Arzberger (der Name ist bekannt, er selber wünscht statt Geheimhaltung Offenheit), der in diesem Frühjahr mit seinem Leipziger Streichquartett auf Tour in den USA war. Er wurde in seinem New Yorker Hotel morgens nackt, halb bewusstlos und in völlig derangiertem Zustand unter dem Vorwurf verhaftet, einige Stunden zuvor eine mehr als zwanzig Jahre ältere Dame in dem Hotel attackiert zu haben. Laut der New Yorker Justizbehörden angeblich ein versuchter Mord. Arzberger selbst fehlt fast jede Erinnerung, es ließ sich nur rekonstruieren, dass eine Prostituierte seine Kreditkarte gestohlen und in der Nacht noch eingesetzt hatte. Die fast einzige logische Erklärung für das verwirrte Verhalten des bisher gänzlich unbescholtenen Violinenvirtuosen wären wohl K.-o.-Tropfen an der Hotelbar (wo die Prostituierte verkehrte). Aber die New Yorker Polizei untersuchte nur Arzbergers Alkoholwerte, machte keinen Drogentest – und warf die Blutprobe, die alles klären könnte, einfach weg.

Der Musiker, wohl mehr reales Opfer als mutmaßlicher Täter, musste 100 000 Dollar Kaution aufbringen und darf die USA nicht verlassen. Am 20. August gibt es im Vorverfahren eine nächste Anhörung vor dem New Yorker Supreme Court, und die Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin nur gegen den Musiker, nicht etwa gegen die Polizei wegen der Vernichtung von Beweismitteln. Ein deutscher Spitzendiplomat, der den Violinisten, seinen Fall und Amerika sehr gut kennt, aber hier nicht namentlich genannt werden möchte, sagt dazu: „Die USA sind nach unseren Maßstäben offenbar kein Rechtsstaat mehr.“

Deutschland verdankt Amerika seit dem Zweiten Weltkrieg fast alles. Auch möchte kaum einer der zahlreichen USA-Basher lieber als in Amerika in Russland, China oder Saudi-Arabien leben, was Menschenrechte betrifft.

Einerseits bleibt Amerika also in vielem die Weltmacht der Hoffnung: trotz aller Schweinereien von Nicaragua bis Chile (Pinochet), trotz Bush und seiner Cheney-Kamarilla, der Irakkriegslügen und so weiter. Aber es brauchte oft genug die USA, selbst mitten in Europa: etwa bei der Beendigung von Krieg und Völkermord in Exjugoslawien. Und die Europäer werden es nicht sein, die den Geschundenen gegen den IS-Terror zu helfen vermögen.

Good cop, bad cop. Amerika hat viele Gesichter. Aber das Gesicht seiner Justiz ist nicht nur durch die anhaltende Barbarei der Todesstrafe oder den Skandal von Guantanamo zur Fratze verzerrt.

Beinahe schwarzhumorig wirkt da die Nachricht, dass ausgerechnet Amerikas legendärster Waffenhersteller kürzlich Insolvenz angemeldet hat. Es ist die Firma Colt. Sie sitzt in Connecticut, ihr Gründer Samuel Colt war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Pionier der Pistole und des mehrschüssigen Revolvers. Der Colt war Kult, die Marke steht seitdem für die Gattung (wie Nescafé oder Tempo-Taschentücher).

Kein Western, kein „High Noon“ ohne Colt. Das war einmal Amerika. Auch Mister Bond, der große britische Geheimagent (siehe oben), kämpfte einst gegen den „Mann mit dem goldenen Colt“. Längst aber ist die Kalaschnikow „die größte Massenvernichtungswaffe der Gegenwart“ (so der Antimafiaautor Roberto Saviano). Weniger Colt ist darum noch nicht automatisch cool. Aber weniger Colt wäre häufig doch gut. Nicht nur in Ferguson.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 26.8.2015 geändert.

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