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Die neuen Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck beim Parteitag in Hannover.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Realo-Doppelspitze bei den Grünen: Baerbock und Habeck müssen ihre Freiheit jetzt nutzen

Weg mit der Trennung von Amt und Mandat, weg mit der Flügellogik: Die Grünen zeigen, wie Erneuerung geht. Halten sie das durch? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

In nur zwei Monaten von der Depression zum Aufbruch – was den Grünen seit November gelungen ist, könnte andere Parteien im Bundestag sehr neidisch machen. Die Stimmung in der Ökopartei war schlecht, als die Jamaika-Sondierungen platzten. Viele hatten sich schon aufs Regieren gefreut.

Inzwischen scheint der Schmerz der Grünen über die unverschuldete Bauchlandung nach dem Ausstieg der FDP vergessen. Der Parteitag von Hannover demonstriert, dass die kleinste Partei im Bundestag nicht nur ihr Spitzenpersonal erneuert, sondern auch ihre politische Kultur weiterentwickelt. Man kann fast von einer Doppelrevolution sprechen.

Gleich zwei Dogmen haben die Delegierten geschliffen. Bislang mussten Amt und Mandat streng getrennt werden. Doch der Kieler Umweltminister Robert Habeck bestand vor seiner Wahl darauf, eine achtmonatige Übergangsfrist eingeräumt zu bekommen, um seinen Regierungsjob zu Ende zu bringen. Manche Grüne empfanden das als anmaßend, spöttelten über eine „Lex Habeck“. Doch am Ende stand die Zwei-Drittel-Mehrheit für die Satzungsänderung – der Weg für Habeck war frei.

Die zweite Entscheidung ist noch erstaunlicher: Die Grünen sprengen den Flügelproporz auf, der bis zum Wochenende jede wichtige Personalentscheidung bestimmte und manche guten Kandidaten ausbremste. Doppelt quotiert waren die Spitzenjobs bis dahin – nach Geschlecht zwischen Frauen und Männern und nach den politischen Flügeln, also Linken und Realos. Der scheidende Parteichef Cem Özdemir ist das jüngste Opfer der bisherigen Regel. Der Realo und mit Abstand beliebteste Grünen-Politiker konnte nicht an die Spitze der Bundestagsfraktion wechseln, weil dort eine Frau und ein Linker wegen der Quoten unangreifbar waren.

Hofreiter und Göring-Eckardt wirken seltsam veraltet

In Hannover traten mit Annalena Baerbock eine Reala und mit Anja Piel eine Parteilinke gegeneinander an. Dass die jüngere und kämpferischere Kandidatin gewann, bedeutet einen Generationenwechsel. Möglich wurde er nur, weil einer Mehrheit der Delegierten die Überzeugungskraft der neuen Parteichefin wichtiger war als die alte Flügellogik. Mit der zu brechen, ist ein mutiger Schritt, der die Grünen künftig freier macht. Für Baerbock bedeutet er einen Auftrag: Wenn sie so flügelübergreifend führen will, wie sie es versprochen hat, muss sie künftig auch die Sprache der Parteilinken sprechen.

Für ihr „Dreamteam“ waren die Grünen zum Regelbruch bereit. Sie wagten den Schritt, weil sie hohe Erwartungen an Baerbock und Habeck haben: Die 37-jährige Brandenburgerin und der 48-jährige Norddeutsche sollen ihrer Partei mehr Aufmerksamkeit sichern, als der kleinsten Bundestagsfraktion eigentlich zukommt.

Womöglich ist die Aufgabe für den Kieler Minister schwieriger als für die furchtlose Bundestagsabgeordnete, die sich in den Jamaika-Verhandlungen einen Namen als Klima- und Europaexpertin gemacht hatte. Der frühere Schriftsteller, der als einer der Ersten aus dem linksliberalen Lager den Begriff „Heimat“ entstaubte, beeindruckt Zuhörer mit einer Rhetorik, die nicht politisch abgeschliffen scheint und deshalb neugierig macht. Es wird spannend, ob er sich diese Freiheit in der Gremienwelt der Bundespartei erhalten kann.

Die Wahl der neuen Vorsitzenden setzt ein Zeichen von Dynamik: Die Grünen haben noch etwas vor. Verglichen mit Baerbock und Habeck wirken die beiden Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter auf einen Schlag wie Repräsentanten eines „ancien régimes“. Daraus kann eine lähmende Konkurrenz entstehen – oder auch eine Spannung, die politische Funken erzeugt.

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