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Die Grüne Aminata Touré (27) ist Vizepräsidentin des Landtags in Schleswig-Holstein.

© Carsten Rehder/dpa

Rassismus in Deutschland: „Wir brauchen mehr Bereitschaft zuzuhören“

Die beiden Abgeordneten Aminata Touré und Karamba Diaby appellieren an die Gesellschaft, bei rassistischen Vorfällen nicht wegzuschauen.

Die beiden afrodeutschen Politiker Aminata Touré und Karamba Diaby haben an die Gesellschaft appelliert, sich intensiver mit Rassismus auseinanderzusetzen und bei rassistischen Vorfällen nicht wegzuschauen. „Deutschland ist nicht durch und durch rassistisch, aber es gibt gefährliche rassistische Tendenzen, wie in vielen anderen Ländern auch“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Diaby im Interview mit dem „Tagesspiegel am Sonntag“.

„Wir haben ein ernsthaftes Problem mit Rassismus, und daran müssen wir arbeiten“, forderte die Landtagsvizepräsidentin aus Schleswig-Holstein und Grünen-Politikerin Touré in einem gemeinsamen Gespräch. Leider fehle in der Gesellschaft „das Bewusstsein oder Interesse, sich jenseits von solchen krassen Ereignissen“ wie dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA mit Rassismus auseinanderzusetzen, sagte Touré: „Wir brauchen mehr Bereitschaft zuzuhören. Dieses Thema geht nicht nur Minderheiten etwas an.“

Für viele sei Rassismus „ein Kapitel der deutschen Geschichte, das sie mit dem Ende des Nationalsozialismus für überwunden hielten“, sagte die Grünen-Politikerin: „Sie negieren, dass Rassismus ein strukturelles Problem in Deutschland ist.“

Der Hallenser SPD-Abgeordnete Karamba Diaby (58),
Der Hallenser SPD-Abgeordnete Karamba Diaby (58),

© promo

Der SPD-Politiker Diaby sagte, viele täten sich schwer, Ausgrenzungen wegen der Herkunft oder des Aussehens als rassistisch zu bezeichnen. „Stattdessen wird von Ausländerfeindlichkeit oder Fremdenfeindlichkeit gesprochen. Das sind falsche Begriffe, die das Problem verniedlichen.“

"Einschreiten, wenn bei Familienfesten ein rassistischer Spruch fällt"

Man dürfe Rassismus „nicht kleinreden, negieren oder wegschauen“, mahnte der SPD-Politiker. Es sei „unheimlich wichtig, sich bei einem rassistischen Vorfall mit dem Betroffenen zu solidarisieren“. Auch Touré forderte, jeder solle „einschreiten, wenn bei Familienfesten oder Vereinsfeiern ein rassistischer Spruch fällt. Egal ob nur Weiße anwesend sind oder eine Person, die von Rassismus betroffen ist.“

Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz streichen

Die beiden Abgeordneten forderten, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. „Der Begriff dient einzig und allein dazu, Menschen zu unterteilen“, sagte Touré. Dabei gebe es keine menschlichen Rassen, das sei „eine Erfindung aus der Kolonialzeit“. Der Begriff „Rasse“ täusche falsche Tatsachen vor – „nämlich, dass es mehrere und nicht eine menschliche Rasse gibt“.

Diaby verwies darauf, dass das Land Sachsen-Anhalt hat den Begriff vor kurzem aus der Verfassung gestrichen habe. „Ich hoffe, dass andere Bundesländer und auch der Bund bald nachziehen“, sagte er.

Bundespolizeigesetz ändern, um Racial Profiling zu verhindern

Der SPD-Politiker sprach sich außerdem dafür aus, das Bundespolizeigesetz zu ändern, um Racial Profiling zu verhindern. „Paragraf 22 ermöglicht anlasslose Kontrollen, das führt zu Racial Profiling“, sagte er. Darüber sei schon im Bundestag debattiert worden. „Ich hoffe, dass es bald eine Mehrheit für eine Gesetzesänderung gibt.“

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Touré und Diaby forderten die Innenminister in Deutschland auf, sich selbstkritisch der Diskussion über Rassismus in der Polizei zu stellen. Missstände, die es auch in der Polizei gebe, müssten benannt werden, sagte Diaby. „Die NSU-Morde, der Tod von Oury Jalloh in der Polizeizelle in Dessau vor 15 Jahren, das sind doch bittere Realitäten in diesem Land.“

SPD-Chefin Saskia Esken habe mit ihrer Äußerung, es gebe „latenten Rassismus“ auch in den Sicherheitsbehörden, nicht die gesamte Polizei in Deutschland unter Generalverdacht gestellt. „Mit den reflexhaften Reaktionen soll doch nur vom eigentlichen Problem abgelenkt werden“, sagte Diaby.

Die Grünen-Politikerin Touré sagte, wenn die Innenminister diese Debatte nicht selbstkritisch führten, „ignorieren sie nicht nur die Erfahrungen von vielen Menschen mit Migrationsgeschichte, sondern tun auch der Gesellschaft keinen Gefallen“.

Sie finde es „krass, dass es so schwer ist, eine kritische Diskussion über Rassismus in der Polizei zu führen“. Dabei gehe es doch darum, diese Institution zu stärken, weil sie im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger handeln solle. Viele Polizisten täten das ja auch. „Wenn ich ein Problem habe, rufe ich auch nicht irgendeine Antifa-Gruppe an und frage, ob die mich schützen kann, sondern ich rufe die Polizei an.“

Kritik am Berliner Antidiskriminierungsgesetz "total daneben"

Kein Verständnis äußerte Diaby für die scharfe Kritik am Berliner Antidiskriminierungsgesetz und die Androhung von Innenministern anderer Länder, Polizisten nicht mehr zu Einsätzen nach Berlin zu schicken. „Das ist total daneben, da kann ich nur den Kopf schütteln“, sagte Diaby.

Das Gesetz sei dazu da, Opfer von Diskriminierungen zu schützen. „Wenn ein Polizist seine Arbeit korrekt macht, muss er keine Angst haben, dass er willkürlich als Täter hingestellt wird. Wir leben in einem ordentlichen Rechtsstaat.“

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