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 Der neu gewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) leistest seinen Amtseid.

© Michael Reichel,dpa

Ramelow erneut gewählt: Aus dem Desaster von Thüringen kann ganz Deutschland lernen

Das Chaos nach der ersten Wahl eines Regierungschefs ist noch nicht beendet. Die Parteien müssen das verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Ide

Die gute Nachricht zuerst: In Thüringen wird wieder regiert. Bodo Ramelow ist erneut Ministerpräsident des Bundeslandes, das vor einem Monat ein politisches Beben ausgelöst hat, von dessen Erschütterungen sich das ganze Land noch erholen muss.

Die schlechte Nachricht: Das demokratieschädliche Chaos, das mit der ersten Wahl eines Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD angerichtet worden war, ist mit der Wahlwiederholung vom Mittwoch längst nicht beendet.

Die AfD hat (auch durch den Rückzug ihres Rechtsaußen Björn Höcke im entscheidenden Wahlgang) aufs Neue demonstriert, dass der Parlamentarismus immer damit rechnen muss, aus seinen rechten Reihen angegriffen und, falls jemand leichtfertig die Gelegenheit dafür bietet, vorgeführt zu werden.

Gerade CDU und FDP sollten sich dieser Lehre auch über die qualvollen Wahltage in Thüringen hinaus bewusst bleiben.

Auf der anderen, weniger weit von der Mitte entfernten Seite ist die Linke wieder an der Macht. Dabei haben die Nach-Nach-Nach-Nachfolger der einstigen DDR-Staatspartei SED Glück, in Erfurt von Bodo Ramelow angeführt zu werden – einem voll und ganz demokratischen Sozialisten.

Noch immer kann man dies nicht von allen Vertretern der Partei sagen, auch wenn sie in der Hauptstadt Berlin pragmatisch linke Politik macht und im Osten längst zum Establishment gehört. Wie sehr dennoch linke Ränder ins Abseitige ausfransen, hat gerade eine Strategiekonferenz gezeigt, auf der dem Linke-Vorsitzenden Bernd Riexinger nicht viel mehr als ein zu locker sitzender Spruch einfiel, nachdem eine Delegierte insinuiert hatte, man könne durchaus ein Prozent der Reichen erschießen. Seiner Partei hat der Parteichef damit keinen Gefallen getan, der Demokratie auch nicht. Sein Abtritt wäre wohl ein Fortschritt.

Hineinregieren aus Berlin

Die Parteien sind weiter auf der Suche nach ihren abgeschliffenen Kernen und dem verlorenen Vertrauen ihrer einstigen Wählerinnen und Wähler. Dabei sollten sie aus dem Desaster von Thüringen, das die zerklüftete ostdeutsche Politlandschaft vor aller Augen geführt hat, lernen.

Die CDU ist nicht nur im Osten, sondern auch bundesweit zerrissen zwischen Strategien und Kandidaten für den Parteivorsitz: Soll sie konservativer werden, um AfD-Wähler zurückzugewinnen? Oder soll sie den Kurs von Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer fortsetzen, der an der Verteidigung der Mitte festhält, mit dem sie aber mehr und mehr ihre eigene Mitte verliert?

Die Strategiedebatten dürften weitergehen – erst recht, weil nicht jede Strategie der alten Bundesrepublik in den östlichen Bundesländern zum Erfolg führt. Das unkoordinierte Hineinregieren aus Berlin in die ungeordneten Erfurter Verhältnisse hat vor allem Widerwillen produziert.

Ostdeutsche Politik ist sensibel

Die ostdeutsche Politik tickt sensibler, nach Ansicht des neuen Ostbeauftragten Marco Wanderwitz noch mindestens eine Generation lang. Das liegt daran, dass die Prägungen der Wählerinnen und Wähler durch die DDR-Vergangenheit gegenwärtig bleiben und dass Bindungen an die selbst im Osten westdeutsch geprägte Politik schwach sind.

Nach den Enttäuschungen des Umbruchs, der sozial und wirtschaftlich von vielen zunächst als Abbruch empfunden wurde und bei dem mancher Aufbruch schlechtgemeckert wurde, sitzen die Proteststimmen zwischen Ostsee und Erzgebirge lockerer. Das macht das Regieren schwieriger – und fordert mehr Improvisation von der Politik. Improvisation, wie sie viele ostdeutsche Wählerinnen und Wähler in drei Jahrzehnten des Wandels oft gezeigt haben.

Die gute Hoffnung zuletzt: Aus Thüringen kann ganz Deutschland lernen. Wie wichtig die klare Abgrenzung der demokratischen Parteien nach rechts ist. Wie notwendig dennoch politische Flexibilität in unübersichtlichen Zeiten ist.

Und wie unerlässlich es dabei klare Kommunikation braucht – darüber, was die Menschen erwarten können und was nicht. Das zumindest darf die Demokratie, dürfen wir alle von der Politik erwarten.

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