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Boris Johnson spricht bei der ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments, in dem seine Partei die Mehrheit hat.

© AFP

Queen verliest das Regierungsprogramm des Premierministers: Johnsons Sieg bedeutet einen Machtverlust für Großbritannien

Das Entwicklungsministerium ist das Herzstück der britischen „Soft Power“. Johnson will es dem Außenministerium zuschlagen. Was fatal wäre. Ein Gastbeitrag

- Gordon Brown ist ehemaliger britischer Premierminister, Sondergesandter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (UN) für globale Bildung sowie Vorsitzender der Internationalen Kommission zur Finanzierung Globaler Bildungschancen

Weil der Brexit die quälenden Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich beherrschte, wurden eine Reihe bedeutungsvoller politischer Vorschläge kaum erörtert. Dies betrifft vor allem den Plan rechter Konservativer zur Abschaffung des britischen Ministeriums für internationale Entwicklung. Nachdem Premierminister Boris Johnson eine Mehrheit errungen hat, könnte das Ministerium für internationale Entwicklung bald im britischen Außenministerium aufgehen, das dann die Verantwortung für die Verwaltung des jährlichen Hilfsbudgets von umgerechnet 16,8 Milliarden Euro übernehmen würde.

Dieser Plan der Konservativen würde den Verlust der britischen Soft Power bedeuten. Das britische Hilfsprogramm ist einer der wertvollsten globalen Aktivposten des Landes. Seit der Schaffung des Ministeriums vor 22 Jahren wurden Millionen Menschen aus der Armut befreit. In jüngster Zeit ist das Ministerium weltweit führend bei der Bereitstellung von Entwicklungshilfe für arme Länder, die von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.

Johnson geht davon aus, dass das Vereinigte Königreich nach dem Brexit ein stärkeres Außenministerium brauchen wird, um im Ausland Einfluss auszuüben. Doch die Eingliederung des Entwicklungsministeriums in das Außenministerium wird die globale Position des Landes untergraben.

Hier die Helfer, da die Politiker

Johnson sollte auf den parteiübergreifenden Konsens hören, den die Coalition for Global Prosperity äußerte, demzufolge Diplomatie und Entwicklung unterschiedliche Aufgaben von gleicher Bedeutung sind.
Dame Margaret Beckett, ehemalige Außenministerin und derzeit Mitglied des nationalen Sicherheitsausschusses, vertritt die Ansicht, dass die Kombination aus „Führerschaft in den Bereichen Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie von absolut entscheidender Bedeutung für Großbritanniens nationale Sicherheit ist. Und Simon Fraser, ehemaliger Staatssekretär im Außenministerium, verweist darauf, dass es „grundsätzlich keine Lösung ist“, mit dem Geld des Ministeriums für internationale Entwicklung die Budgetlücke des Außenministeriums zu schließen. Die Diplomaten des Außenministeriums sollten sich weiterhin auf Diplomatie konzentrieren, so Fraser, während das Ministerium für internationale Entwicklung mit seinen internen Experten für Armutsbekämpfung weiterhin jene Aufgaben im Blick haben sollte, deren Erledigung sie „sehr gut wahrnehmen.“ Damit hat er recht.

Allerdings gibt es ein noch stärkeres und vordringlicheres Argument zugunsten des Ministeriums für internationale Entwicklung. Nach dem Zweiten Weltkrieg definierte Premierminister Winston Churchill drei britische Einflussbereiche, die in Zusammenhang standen: Amerika, den Commonwealth und Europa. Einen vierten Einflussbereich hat Großbritannien vernachlässigt, und zwar seine Rolle in internationalen Institutionen – angefangen beim Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation bis hin zu den Vereinten Nationen und Gremien wie dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen.

Einzige Möglichkeit, Einfluss auszuüben

Aus einer Vielzahl von Gründen (etwa der Befürchtung, eine mächtigere UN könnte antikoloniale Kräfte stärken) hat Großbritannien weniger Zeit und Energie als möglich aufgewendet, um die Entwicklung dieser Institutionen zu gestalten. Im Gegensatz dazu konzentrierte sich Frankreich auf den IWF, und die skandinavischen Länder wurden zu unverzichtbaren Akteuren bei den Bemühungen der Vereinten Nationen um Frieden und Entwicklung. Großbritanniens Haltung der relativen Zurückhaltung fand erst in den Jahren von 1997 bis 2010 ein Ende, als die Regierungen, denen ich angehörte, eine Kursänderung versuchten und eine Vorreiterrolle bei der Schaffung der G 20 und des globalen Finanzstabilitätsrates einnahmen.

Die einzige Möglichkeit für ein Großbritannien außerhalb der EU, überhaupt einen globalen Einfluss auszuüben, besteht in der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Nur durch Finanzierungen und eine Führungsrolle im Bereich Entwicklungsbemühungen hat „Brexit-Großbritannien“ überhaupt eine Chance wieder ein „globales Großbritannien“ zu werden. Ohne das Ministerium für internationale Entwicklung werden britische Minister und Diplomaten künftig an den weltweiten Verhandlungstischen erscheinen – und wenig anzubieten haben.

US-Präsident Donald Trump hat die Welt in Nationalisten und Globalisten gespalten, aber nicht einmal die Nationalisten kommen an diesen nicht geregelten Bereichen jenseits der Reichweite von Nationalstaaten vorbei. Ohne internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Umweltverschmutzung, Armut und Konflikten werden die weltweiten Folgen dieser Probleme weiterhin spürbar bleiben. Das Ministerium für internationale Entwicklung aus der Gleichung zu entfernen, bedeutet für das Vereinigte Königreich einen doppelten Verlust: Es ist weder in der Lage zu helfen noch eine Führungsrolle einzunehmen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier. Copyright: Project Syndicate, 2019, www.project-syndicate.org.

Gordon Brown

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