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Alexej Nawalny bei einer Demonstration in Moskau im Juli 2019

© dpa/AP/Pavel Golovkin

Update

Putin-Kritiker in der Charité: Nawalnys Zustand laut Unterstützer „besorgniserregend“

Der bekannte russische Oppositionelle kam am Samstagmorgen in Deutschland an. Davor lagen bange Stunden für die Angehörigen und ein diplomatischer Krimi.

Die Mission begann um 3.11 Uhr in der Nacht zu Freitag und endete am Samstagmorgen um 8:47 Uhr auf dem Flughafen in Berlin-Tegel: Die Rettung des schwerkranken, mutmaßlich vergifteten Putin-Kritikers Alexej Nawalny. Dazwischen lagen bange Stunden für die Angehörigen und Anhänger des bekannten Oppositionellen, viel Diplomatie und ein Ausreise-Krimi. Ein Rückblick.

Sanitäter vom Bundeswehr Rettungsdienst bringen die Spezialtrage, mit der Nawalny in die Charite eingeliefert wurde, zurück in den Krankenwagen.
Sanitäter vom Bundeswehr Rettungsdienst bringen die Spezialtrage, mit der Nawalny in die Charite eingeliefert wurde, zurück in den Krankenwagen.

© Kay Nietfeld/dpa

Am Freitag war in Nürnberg ein Spezialflugzeug in besonderer Mission gestartet. Die Maschine, die für den Transport schwer kranker Patienten ausgerüstet ist, sollte Nawalny nach Berlin bringen. Dort, so war es vereinbart, würde er in der Charité behandelt werden.

Doch der Abflug des prominenten Kremlkritikers nach Deutschland verzögerte sich. Der in Berlin gecharterte Jet werde erst am Samstagmorgen Ortszeit starten, teilte das Gesundheitsministerium der Region Omsk mit, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete. Zur Begründung hieß es, die Piloten müssten gesetzliche Ruhezeiten einhalten.

Ein Krankenwagen bringt den Kremlkritiker Nawalny vom Krankenhaus in Omsk zum Flughafen.
Ein Krankenwagen bringt den Kremlkritiker Nawalny vom Krankenhaus in Omsk zum Flughafen.

© Evgeniy Sofiychuk/AP/dpa

Tatsächlich hob die Maschine dann am frühen Samstagmorgen in Richtung Berlin ab. "Das Flugzeug mit Alexej ist auf dem Weg nach Berlin", schrieb Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch im Kurzbotschaftendienst Twitter.

"Der Kampf um Alexejs Leben und seine Gesundheit hat gerade erst begonnen und es gibt noch viel zu tun, aber jetzt ist zumindest der erste Schritt getan", fügte sie hinzu. Den Unterstützern des Oppositionspolitikers dankte sie. An Bord des von der Initiative Cinema for Peace gecharterten Rettungsflugzeugs war auch Nawalnys Frau Julia Nawalnaja.

Ein Spezialflugzeug mit dem Kremlkritiker Nawalny an Bord auf der Landebahn am Flughafen Tegel.
Ein Spezialflugzeug mit dem Kremlkritiker Nawalny an Bord auf der Landebahn am Flughafen Tegel.

© Michael Kappeler/dpa

Um kurz vor 9 Uhr am Samstag landete der Flieger dann in Berlin-Tegel. Zahlreiche Polizeiwagen und Rettungskräfte waren vor Ort.

Ein Intensivtransporter der Bundeswehr fährt, begleitet von Polizeifahrzeugen, mit dem russischen Kremlkritiker Nawalny an Bord über den Flughafen Tegel.
Ein Intensivtransporter der Bundeswehr fährt, begleitet von Polizeifahrzeugen, mit dem russischen Kremlkritiker Nawalny an Bord über den Flughafen Tegel.

© Michael Kappeler/dpa

Nawalny kam um kurz nach 10 Uhr in einem Spezialtransporter der Bundeswehr an der Charité an. Der Zustand ist laut seiner Sprecherin stabil.

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Vor dem Abflug spielte sich in Omsk ein regelrechter Krimi ab mit teils bizarren Wendungen.

Ärzte wollten Nawalny nicht fliegen lassen

Nawalny liegt seit Donnerstag nach einer mutmaßlichen Vergiftung im Koma. Angehörige und Kollegen des Oppositionsführers fürchten um sein Leben.

Die Charite erklärte, nach Abschluss der Untersuchungen und nach Rücksprache mit der Familie würden sich die behandelnden Ärzte zu der Erkrankung und weiteren Behandlungsschritten äußern. Die Untersuchungen würden aber einige Zeit in Anspruch nehmen.

Der Organisator des Rettungsflugs, der Filmproduzent und Gründer der Organisation „Cinema for Peace“, Jaka Bizilj, sagte indes später vor Journalisten vor der Charite über Nawalny: „Sein Gesundheitszustand ist sehr besorgniserregend.“ Es habe zuvor eine sehr klare Botschaft von den Ärzten gegeben, dass Nawalny auf dem Flug nach Moskau gestorben wäre, wenn es die Notfall-Zwischenlandung in Omsk nicht gegeben hätte. Zu Spekulationen über einen möglichen Giftanschlag wollte sich Bizilj nicht näher äußern.

Der Aktivist und Weggefährte Nawalnys, Nikolaj Ljaskin, äußerte sich im Interview mit dem russischen Sender TV Doschd erleichtert über dessen Ausreise nach Deutschland. Er kritisierte, die behandelnden Ärzte in Omsk hätten auf staatlichen Druck mehrmals am Tag ihre Meinung zu Nawalnys Gesundheitszustand geändert. „Leider leben wir in einem Land, in dem Ärzte, wie Lehrer und viele andere, ständig unter Druck stehen. Ärzte sollten Ärzte bleiben“, sagte der Aktivist.

Noch bevor das Rettungsflugzeug aus Nürnberg am Freitagvormittag in Russland landete, erklärten die Ärzte Nawalny für nicht transportfähig. Den ganzen Tag lang wurde hinter den Kulissen über den Fall Nawalny verhandelt.

Erst am Freitagabend stimmten die Mediziner dann doch einem Transport nach Deutschland zu. „Wir haben keine Einwände gegen eine Verlegung in ein anderes Krankenhaus“, sagte der stellvertretende Chefarzt.

Damit konnte Nawalny nach Berlin ausgeflogen werden. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch sagte, es sei schade, dass die Ärzte so lange gebraucht hätten, um diese Entscheidung zu treffen.

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Nawalnys Weggefährten vermuten, dass der Oppositionsführer am Donnerstagmorgen in der sibirischen Stadt Tomsk vergifteten Tee getrunken hat. Während des Fluges nach Moskau verlor er das Bewusstsein, die Maschine musste in der Stadt Omsk notlanden.

Polizeibeamte stehen am Samstagmorgen vor der Einfahrt zur Berliner Charité. Hier soll Nawalny behandelt werden.
Polizeibeamte stehen am Samstagmorgen vor der Einfahrt zur Berliner Charité. Hier soll Nawalny behandelt werden.

© Kay Nietfeld/dpa

Dort wurde er auf die Intensivstation des nächstgelegenen Krankenhauses gebracht, das für solche Fälle allerdings nicht spezialisiert ist. Auch in Deutschland würde ein solcher Patient in eine Klinik verlegt werden, die Erfahrung mit nicht alltäglichen Vergiftungen hat.

Behörden stellten schon Papiere für die Ausreise aus

Im Fall Nawalny kommt allerdings ein weiterer Aspekt hinzu: Da seine Weggefährten davon ausgehen, dass Nawalny Opfer eines Giftanschlags wurde, und sie staatliche Stellen hinter der Tat vermuten, halten sie eine Behandlung innerhalb Russlands für nicht sicher.

Deswegen baten sie um eine Verlegung Nawalnys ins Ausland. Die Behörden seien schon dabei gewesen, die entsprechenden Papiere auszustellen, berichtete ein Kollege Nawalnys. Doch dann kam die überraschende Kehrtwende: Im Krankenhaus hieß es dann plötzlich, Nawalny sei nicht transportfähig.

Zunächst kursierte eine wunderliche Begründung: Die Polizei habe den Ärzten mitgeteilt, dass sie eine tödliche Substanz gefunden hätten, sagte der Chef von Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds, Iwan Schdanow.

Anatoliy Kalinichenko (M.) ist stellvertretender Chefarzt des Omsker Krankenhauses, in dem Kreml-Kritiker Nawalny behandelt wird. 
Anatoliy Kalinichenko (M.) ist stellvertretender Chefarzt des Omsker Krankenhauses, in dem Kreml-Kritiker Nawalny behandelt wird. 

© Evgeniy Sofiychuk/AP/dpa

Diese Substanz in seinem Körper sei nicht nur für ihn gefährlich, sondern auch für Personen in seiner Umgebung. Um welche Substanz es sich dabei handelt und wo und wie sie nachgewiesen worden sein soll, wurde nicht mitgeteilt.

Die Ärzte im Krankenhaus von Omsk berichteten später, dass sich weder im Blut noch im Urin des Patienten Gift habe nachweisen lassen. Von der angeblich tödlichen Substanz war nun keine Rede mehr.

Die Klinik erklärte, Nawalny leide an einer Stoffwechselerkrankung, deren Ursache niedriger Blutzucker gewesen sei. Allerdings seien an Fingern und Kleidung Spuren von chemischen Substanzen gefunden worden.

In kremltreuen Medien wurde derweil das Gerücht verbreitet, Nawalny habe am Vorabend seiner Erkrankung zu viel getrunken und dann am Morgen eine Tablette gegen den Kater genommen.

„Jede Stunde der Verzögerung ist eine Bedrohung für sein Leben“

„Das Transportverbot für Nawalny dient nur dazu, die Zeit in die Länge zu ziehen und abzuwarten, bis das Gift in seinem Organismus nicht mehr nachgewiesen werden kann“, schrieb Nawalnys Sprecherin Jarmysch auf Twitter. „Deshalb stellt jede Stunde der Verzögerung eine kritische Bedrohung für sein Leben dar.“ Dies sei keine Entscheidung der Ärzte gewesen, sondern des Kremls.

Nawalnys Frau Julia wandte sich deshalb in einem Brief direkt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und bat ihn, die Verlegung ihres Mannes nach Deutschland zu erlauben.

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Am Nachmittag wurden die deutschen Ärzte, die mit der Maschine aus Nürnberg gekommen waren, zu Nawalny gelassen. Die Mediziner seien zu dem Schluss gekommen, dass Nawalny trotz des Komas transportfähig sei, wie zuerst die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf Bizilj berichtete.

Bizilj spielt eine Schlüsselrolle in den Bemühungen, Nawalny zur Behandlung auszufliegen, er organisierte den Rettungsflug. Der Filmproduzent hatte 2018 in einem ähnlichen Fall geholfen: Damals war der Künstler und Kreml-Kritiker Pjotr Wersilow, der zur Gruppe „Pussy Riot“ gehörte, in Russland ebenfalls mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus gekommen.

Ein Intensivtransporter der Bundeswehr fährt mit dem russischen Oppositionellen Nawalny zur Charité.
Ein Intensivtransporter der Bundeswehr fährt mit dem russischen Oppositionellen Nawalny zur Charité.

© dpa

Wersilow wurde nach Deutschland ausgeflogen und in der Charité behandelt. Er soll nun den Kontakt zwischen dem Umfeld Nawalnys und dem Filmprozudenten Bizilj hergestellt haben.

Bundesregierung half hinter den Kulissen

Aber auch die Bundesregierung schaltete sich in die Bemühungen um die Rettung Nawalnys ein: Nachdem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag eine Behandlung in Deutschland angeboten hatte, arbeiteten Kanzleramt und Auswärtiges Amt hinter den Kulissen daran, die formalen Voraussetzungen für den Rettungsflug zu schaffen. Wegen der Coronakrise ist eine Einreise nach Russland derzeit nicht ohne weiteres möglich.

Ischinger sieht keine neue Belastung für deutsch-russisches Verhältnis

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sagte dem Tagesspiegel, dass es sich bei dem Angebot Merkels um eine „überaus lobenswerte humanitäre Geste“ gehandelt habe. Es wäre nicht zu einer Verlegung Nawalnys gekommen, wenn es dafür nicht grünes Licht aus Moskau gegeben hätte, merkte er an. Daher sehe er derzeit „keine Voraussetzungen“, dass die Behandlung Nawalnys in Berlin zu neuen Belastungen im deutsch-russischen Verhältnis kommen könne, sagte Ischinger weiter.

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Allerdings betonte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, bei der Rettungsaktion handele es sich um eine private Initiative. „Wir stehen mit den russischen Behörden schon jetzt in Kontakt, damit wir zu einer schnellen Lösung des humanitären Notfalls beitragen können“, sagte die Sprecherin am Freitagvormittag.

Nawalny steht mit seiner Frau Julia (r), seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar, 2019 für ein Foto zusammen nachdem sie ihre Wahlstimme bei der Stadtratswahl in Moskau abgegeben haben.
Nawalny steht mit seiner Frau Julia (r), seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar, 2019 für ein Foto zusammen nachdem sie ihre Wahlstimme bei der Stadtratswahl in Moskau abgegeben haben.

© Andrew Lubimov/AP/dpa

„Wollt ihr es so wie in Belarus?“

Nawalny gilt als wichtigster Vertreter der Opposition in Russland. Seit Jahren recherchiert und veröffentlicht er, wie sich Vertreter der Staatsmacht illegal bereichert haben. In Sibirien war er in den vergangenen Tagen im Zusammenhang mit den Regionalwahlen unterwegs.

Im Vorfeld der für September geplanten Wahlen wirbt Nawalny dafür, durch „kluge Stimmabgabe“ die wenigen regierungskritischen Kandidaten zu stärken.

Einen entsprechenden Aufruf überschrieb er mit den Worten: „Wollt Ihr es so wie in Belarus?“ Damit spielte er auf die Protestbewegung in dem Nachbarland gegen Wahlfälschungen und für faire und freie Wahlen an.

Wichtiger als die Ereignisse in Belarus zu verfolgen und zu unterstützen sei es, „das politische Leben in die eigenen Städte zurückzubringen“. Den Text veröffentlichte Nawalny zwei Tage vor seiner mutmaßlichen Vergiftung. (mit ame)

Hinweis: Dieser Artikel wird laufend aktualisiert.

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