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„Charlie Hebdo“ veröffentlichte wieder Mohammed-Karikaturen.

© Charlie Hebdo/dpa

Update

Prozessbeginn nach Anschlag 2015: „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wieder Mohammed-Karikaturen

Bei den Anschlägen 2015 auf das Satiremagazin in Frankreich starben 17 Menschen. 14 mutmaßliche Helfer der Anschlagsserie stehen nun in Paris vor Gericht.

Vor gut fünfeinhalb Jahren erschütterte der islamistische Terroranschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ ganz Frankreich und löste weltweite Schockwellen aus. Am Mittwochmorgen hat der Prozess gegen mutmaßliche Helfer der Attentäter begonnen.

Das Verfahren wurde am Mittwoch vor einem Pariser Schwurgericht unter hohen Sicherheitsvorkehrungen eröffnet. Angeklagt sind 13 Männer und eine Frau. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen bis hin zu lebenslanger Haft.

Das Gericht wird die mehrtägige Anschlagsserie aufrollen, bei der im Januar 2015 insgesamt 17 Menschen getötet wurden. Die drei Täter wurden von Sicherheitskräften erschossen. Eine Welle der Solidarität unter dem Schlagwort „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) prägte die Zeit danach.

„Charlie Hebdo“ hob zu Prozessbeginn bereits früher veröffentlichte Mohammed-Karikaturen auf das Titelblatt der neuen Ausgabe. Diese kam am Mittwoch zum Prozessauftakt an den Kiosk. Mohammed-Karikaturen galten als Hintergrund der Attacke auf die Redaktion.

Der Prozess findet unter großen Sicherheitsmaßnahmen statt.
Der Prozess findet unter großen Sicherheitsmaßnahmen statt.

© Alain Jocard/AFP

Die Angeklagten sollen bei der Vorbereitung der Angriffe geholfen, beispielsweise Waffen besorgt haben oder stellten eine Unterkunft zur Verfügung, wie der Anti-Terror-Staatsanwalt Jean-François Ricard dem Radionachrichtensender Franceinfo sagte. Nach drei der Angeklagten wird immer noch gefahndet – ob sie noch leben, ist unklar.

Macron will Recht auf Blasphemie schützen

Die Verdächtigen sollen das islamistische Brüderpaar Chérif und Saïd Kouachi unterstützt haben, das am 7. Januar 2015 die Redaktion von „Charlie Hebdo“ stürmte und zwölf Menschen tötete, darunter einige der bekanntesten Karikaturisten Frankreichs. Zudem halfen sie laut Anklage dem Extremisten Amédy Coulibaly, der in den darauffolgenden Tagen eine Polizistin tötete sowie vier weitere Menschen bei der Geiselnahme in einem von Juden besuchten Supermarkt.

Der für Anti-Terrorismus zuständige Staatsanwalt Jean-François Ricard erklärte, der Prozess habe zwei Ziele: „der Wahrheit nahe zu kommen“ und die Überlebenden zu Wort kommen zu lassen.

Kurz vor Beginn des Prozesses verteidigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Recht auf Blasphemie in seinem Land. Das Recht auf blasphemische Äußerungen und Darstellungen sei in Frankreich durch die Gewissensfreiheit abgedeckt, sagte Macron am Dienstag.

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Macron sagte während eines Besuchs in der libanesischen Hauptstadt Beirut, seine Rolle als Präsident sei es, die Gewissensfreiheit und damit auch das Recht auf Blasphemie zu schützen. Es sei nicht seine Aufgabe, die redaktionellen Entscheidungen von Journalisten zu beurteilen. Der Staatschef sagte auch, am Mittwoch seien die Gedanken der Menschen bei den Frauen und Männern, die bei den Anschlägen im Januar 2015 getötet worden waren.

Der Prozess soll verfilmt werden

Es ist der erste große Prozess um die verheerenden islamistischen Terroranschläge, die Frankreich 2015 und 2016 tief erschütterten. „Das wird schwierig, das wird mühsam“, kündigte Chefermittler Ricard an. Innenminister Gérald Darmanin nannte das Gerichtsverfahren, das bis Mitte November dauern soll, historisch.

Der Prozess soll wegen seiner Bedeutung gefilmt werden. Bei islamistisch motivierten Terrorakten kamen im Land bisher mehr als 250 Menschen ums Leben. Zu den Anschlägen auf die Konzerthalle „Bataclan“ und Restaurants im Pariser Osten vom Herbst 2015 - dabei starben 130 Menschen - wird es einen weiteren Prozess geben.

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Die juristische Aufarbeitung um den Angriff gegen „Charlie Hebdo“ sollte bereits am im Mai beginnen, wurde dann aber wegen der Corona-Epidemie verschoben. Im Gerichtsgebäude wurden laut Medien die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Es gibt rund 200 Nebenkläger, über 140 Zeugen sollen aufgerufen werden, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.

Nach den Attacken gingen Millionen Menschen überall in Frankreich auf die Straßen. In Paris gab es einem Marsch mit Staats- und Regierungschefs, angeführt von damaligen Staatspräsidenten François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Anschläge erregten enormes Aufsehen. Eine Welle der Solidarität unter dem Schlagwort "Je suis Charlie" ("Ich bin Charlie") prägte die Zeit danach.
Die Anschläge erregten enormes Aufsehen. Eine Welle der Solidarität unter dem Schlagwort "Je suis Charlie" ("Ich bin Charlie") prägte die Zeit danach.

© AFP

In der Sonderausgabe zum Prozess druckte „Charlie Hebdo“ die umstrittenen Mohammed-Karikaturen nach, wegen derer das Blatt zur Zielscheibe von Islamisten wurde. Die ursprünglich in der dänischen „Jyllands-Posten“ erschienenen Zeichnungen hatte „Charlie Hebdo“ bereits 2006 veröffentlicht. Sie zeigen unter anderem den Propheten Mohammed mit einer Bombe auf dem Kopf anstelle eines Turbans.

Muslime kritisieren Mohammed-Karikaturen erneut

Aus einem Teil der islamischen Welt kam nun erneut scharfe Kritik: Die Veröffentlichung verletze „die Gefühle von Milliarden von Muslimen“, empörte sich Pakistans Außenminister Shah Mahmood Qureshi auf Twitter. Auch Frankreichs Muslime tun sich schwer mit dem bissigen Humor von „Charlie Hebdo“: Der muslimische Dachverband CFCM rief seine Anhänger auf, die Zeichnungen zu „ignorieren“, und verurteilte zugleich jede Gewalt.

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„Der Hass, der uns getroffen hat, ist immer noch da“, schreibt der Redaktionsleiter von „Charlie Hebdo“, Laurent Sourisseau, in seinem Leitartikel zum Prozess. Darin äußert er unter seinem Pseudonym „Riss“ die Hoffnung, dass „in zehn, 20 Jahren freiere Geister zum Vorschein kommen als die unserer Zeit“.

In Paris gab es einem Marsch mit Staats- und Regierungschefs, angeführt von damaligen Staatspräsidenten François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
In Paris gab es einem Marsch mit Staats- und Regierungschefs, angeführt von damaligen Staatspräsidenten François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© DPA

Riss hat das Attentat vor gut fünf Jahren überlebt – anders als Charb, Cabu, Honoré, Tignous oder Wolinski: Die bekannten französischen Karikaturisten wurden am 7. Januar 2015 von dem islamistischen Brüderpaar Chérif und Saïd Kouachi kaltblütig getötet.

Nach dem Anschlag schnellte die Auflage der Satirezeitung schnellte in die Höhe. Alleine die Ausgabe vom 14. Januar 2015, die einen weinenden Propheten Mohammed auf dem Titel zeigte, verkaufte sich acht Millionen Mal weltweit. Es flossen Spenden von mehr als vier Millionen Euro. Zeitweise gab es sogar eine deutsche Ausgabe, die mangels Lesern aber Ende 2017 wieder eingestellt wurde.

„Wir werden uns niemals zur Ruhe legen“

Seitdem ist die Auflage wieder stark rückläufig. Seit 2018 wurden im Schnitt jährlich rund 25.000 Exemplare von „Charlie Hebdo“ am Kiosk verkauft. Die Zahl der Abonnenten hat sich bei 30.000 eingependelt. Zuletzt beschäftigte sich das Blatt mehr mit der Corona-Pandemie als der islamistischen Gefahr.

Dennoch tritt die Satirezeitung auch im 50. Jahr ihres Bestehens unverdrossen für die Meinungs- und Pressefreiheit ein: „Wir werden uns niemals zur Ruhe legen“, versprach Redaktionschef Riss.

„Charlie Hebdo“ nannten die Gründer das am 23. November 1970 erstmals erschienene Blatt in Anlehnung an die Comicfigur Charlie Brown von den Peanuts, Hebdo verweist auf die wöchentliche Erscheinungsweise. Die Satirezeitung lebt noch heute – auch wenn die Redaktion wegen fortgesetzter Drohungen an einem geheimen Ort arbeiten muss. (dpa, AFP)

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