zum Hauptinhalt
Im Gebäude des Kriminalgerichts Moabit hat der Prozess um den Mord im Kleinen Tiergarten begonnen.

© Tobias Schwarz/AFP

Prozess wegen Mordes im Kleinen Tiergarten: „Ein Auftragsmord staatlicher russischer Stellen“

Unter starken Sicherheitsvorkehrungen hat in Berlin der Prozess um den Mord im Kleinen Tiergarten begonnen. Die Anklage erhebt schwere Vorwürfe gegen Moskau.

Mit dem Namen des Angeklagten fangen die Probleme bereits an. Denn wer der Russe ist, der sich seit Mittwoch vor dem Kammergericht Berlin wegen Mordes verantworten muss, wird in diesem Prozess noch zu klären sein. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte mit einer Tarnidentität nach Deutschland einreiste, um in Berlin einen Auftragsmord zu begehen.

Am 23. August 2019 wurde im Kleinen Tiergarten ein Georgier erschossen. Dieser Mord ist mehr als ein normaler Kriminalfall, er hat eine politische Dimension, die das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau nachhaltig beeinflussen könnte: „Es handelt sich nach unseren Erkenntnissen um einen Auftragsmord staatlicher russischer Stellen“, sagte Bundesanwalt Ronald Georg nach der Verhandlung.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte.]

Wer also ist der Mann, der nun auf der Anklagebank sitzt? Er selbst ließ vor Gericht über seinen Verteidiger erklären: „Ich heiße Wadim Andrejewitsch Sokolow. Ich heiße nicht Wadim Nikolajewitsch Krasikow.“ Er sei 1970 in der russischen Stadt Irkutsk geboren, russischer Staatsbürger, nicht verheiratet. Von Beruf sei er Bauingenieur, und er wohne in der russischen Stadt Brjansk. „Mehr habe ich zu meiner Person nicht zu sagen.“

Nichts davon stimmt nach Auffassung der Bundesanwaltschaft. Sie geht davon aus, dass der Angeklagte Wadim Krasikow (englische Schreibweise: Vadim Krasikov) heißt und dass dieser sich von russischen Behörden einen Pass auf den Namen Sokolow (Sokolov) ausstellen ließ. Der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi sagte am Mittwoch, er werde den Beschuldigten nur mit „Herr Angeklagter“ ansprechen.

Der Angeklagte war außerhalb Berlins in Haft - aus Sicherheitsgründen

Mit dem Fall beschäftigt sich der Zweite Strafsenat des Kammergerichts, der für Staatsschutzsachen zuständig ist. Der Prozess im Kriminalgericht findet unter großen Sicherheitsvorkehrungen statt, der Angeklagte sitzt hinter Panzerglas. Offenbar war befürchtet worden, der mutmaßliche Auftragsmörder könne selbst Ziel eines Mordanschlags werden. Aus Sicherheitsgründen wurde Krasikow, der zunächst in Tegel in Untersuchungshaft saß, deshalb zwischenzeitlich sogar in ein anderes Bundesland verlegt.

In der am Mittwoch verlesenen Anklage heißt es, zu einem bisher nicht bekannten Zeitpunkt hätten „staatliche Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation“ den Auftrag erteilt, einen „georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Abstammung“ in Deutschland zu töten. „Der Angeklagte leistete dem staatlichen Tötungsauftrag Folge.“

[Ein als Tourist getarnter Auftragsmörder, eine fast perfekt geplante Flucht - und Spuren, die nach Moskau führen: Lesen Sie hier bei Tagesspiegel Plus eine Rekonstruktion des Mordes im Kleinen Tiergarten.]

Hintergrund der Tat sei die Gegnerschaft des Opfers zum russischen Staat und den Regierungen der Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien. Der Georgier Selimchan Changoschwili, der seinen Namen später in Tornike Kawtaraschwili änderte, hatte im zweiten Tschetschenienkrieg von 2000 bis 2004 gegen Russland gekämpft.

In diesem Prozess wird also nicht nur über die Schuld des Angeklagten, sondern auch die Rolle des russischen Staates entschieden. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, das Urteil abwarten zu wollen, um dann gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. Der Prozess in Berlin geht allerdings mindestens bis Januar 2021.

Zur Startseite