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Stephan Balliet im Prozesssaal.

© imago images/Christian Grube

Update

Prozess mit Verspätung gestartet: Attentäter von Halle beschimpft Schwarze und Muslime

An diesem Dienstag hat in Magdeburg die Verhandlung um den antisemitischen Anschlag von Halle begonnen. Was Sie über den Prozess wissen müssen.

Das öffentliche Interesse ist enorm, die Sicherheitsvorkehrungen sind es auch. Am Dienstag hat neun Monate nach dem Anschlag der Prozess gegen den Attentäter von Halle, Stephan Balliet, begonnen. Aufgrund des Medienandrangs startete der erste Verhandlungstag in Magdeburg mit fast zwei Stunden Verspätung. Fast 80 Journalisten und ebenso viele Beamte kamen ins Magdeburger Landgericht.

Vor dem Landgericht in Magdeburg hat sich am Dienstagmorgen eine circa 100 Meter lange Schlange gebildet.
Vor dem Landgericht in Magdeburg hat sich am Dienstagmorgen eine circa 100 Meter lange Schlange gebildet.

© Hannes Heine / Tsp

Balliet wurde in Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt. Drei bewaffnete und vermummte Justizbeamte bewachten ihn. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch aus einem Gefängnis in Halle Ende Mai steht er unter verschärfter Bewachung. Die Handfesseln wurden ihm später abgenommen, auch während der Verhandlung muss B. aber Fußfesseln tragen.

Der Angeklagte schaute direkt in die Kameras und ließ ein Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Seine Mimik war zunächst nicht zu erkennen, weil er einen Mundschutz trug, den er später abnahm. Er erschien in Jeans, schwarzem T-Shirt und schwarzer Jacke wie mit kahl geschorenem Kopf vor Gericht.

Attentäter äußert sich zu Fragen

Seit 13 Uhr äußert sich Balliet fast zu allen Fragen der Vorsitzenden, bleibt in seinen Antworten allerdings so knapp, dass die Richterin ihn bittet, doch in ganzen Sätzen zu sprechen.

Seine Familie? "Hat mit der Tat nichts zu tun!" Sein abgebrochenes Studium, seine Krankheit damals? "Sie haben die Daten doch." Erst als um die von ihm gebauten Waffen geht, erzählt Balliet umfassender. Er habe sich wegen des Zuzugs von Migranten nach Deutschland bewaffnet, Schwarze und Muslime "benehmen sich wie die Eroberer, die sie sind", sagte Balliet - und greift zu drastischeren Worten.

Die Vorsitzende droht mit Ausschluss vom Prozess: "Ich möchte im Saal keine Beschimpfungen von Menschen und Bevölkerungsgruppen hören", sagte Ursula Mertens. Warum, fragt die Vorsitzende, ihm das Live-Übertragen so wichtig war? „Man selbst kann nur wenig erreichen, selbst wenn man effizient arbeitet. Aber man kann andere erreichen, die kämpfen wollen.“

Die Verhandlung wurde in die Landeshauptstadt verlegt, weil der Platz im zuständigen Oberlandesgericht (OLG) Naumburg nicht reicht. Dem 28 Jahre alten Stephan Balliet wird unter anderem zweifacher Mord, vielfacher Mordversuch, räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Volksverhetzung vorgeworfen.

Strengere Überwachung seit Zwischenfall

Balliet befindet sich in Untersuchungshaft, nach einem als Fluchtversuch gewerteten Zwischenfall im Juni wird er strenger bewacht. Bislang sind 18 Verhandlungstage angesetzt, das Urteil könnte Mitte Oktober fallen. Die Anklage führt die Bundesanwaltschaft, das ist bei Staatsschutzverfahren dieser Bedeutung üblich.

In diesem Saal des Landgerichts Magdeburg beginnt am Dienstag der Prozess zum Attentat von Halle.
In diesem Saal des Landgerichts Magdeburg beginnt am Dienstag der Prozess zum Attentat von Halle.

© Hendrik Schmidt/dpa

Mehr als 40 lokale, nationale und internationale Medien haben in einem Losverfahren einen Platz im Sitzungssaal erhalten – auch der Tagesspiegel. Zudem verfolgen Reporter in einem Nebenraum per Tonübertragung den Prozess. Zum Auftakt solle, teilte das OLG mit, die Anklage verlesen und Balliet befragt werden.

Womöglich werden am Dienstag auch Videos der Tat gezeigt. Die hatte weltweit Entsetzen hervorgerufen: Am 9. Oktober 2019 versuchte ein bewaffneter Mann, in die Synagoge im Paulusviertel in Halle einzudringen. Mehr als 50 Gläubige feierten gerade Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag. Balliet übertrug seinen Angriff mit einer Helmkamera live ins Internet. Die Tür zur Synagoge blieb zu.

Vor dem Gemeindehaus erschoss der Attentäter eine 40 Jahre alte Passantin, raste in einem Mietwagen davon, stoppte an einem Döner-Lokal und tötete einen 20-jährigen Maler. Balliet lieferte sich ein Gefecht mit anrückenden Beamten und schoss auf der Flucht ein Paar nieder, um ein Auto zu rauben. Bei Zeitz rammte er einen Lastwagen und wurde festgenommen.

Intelligent, aber sozial isoliert?

In seinen Vernehmungen durch das Bundeskriminalamt sprach Balliet davon, er habe Juden töten wollen. Sie seien für allerlei Übel verantwortlich, führte der Angeklagte aus, nicht zuletzt die Flüchtlingskrise. In einem Pamphlet, das er vor der Tat in einem Internetforum veröffentlichte, zeigte sich Balliet als rechtsextremer Verschwörungsideologe. Der Verfassungsschutz sprach von einem aggressiver werdenden Antisemitismus.

Zum Prozessauftakt rief der Zentralrat der Juden dazu auf, beim Urteil die volle Härte des Gesetzes anzuwenden. Zudem müssten die Hintergründe der Tat lückenlos aufgearbeitet und der Frage nachgegangen werden, ob der Attentäter Unterstützer hatte und in rechte Netzwerke eingebunden war, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am Dienstag in Berlin: „Es ist unvorstellbar grausam, welchen Judenhass Stephan B. verbreitet hat.“

Der Anschlag habe die jüdische Gemeinschaft zutiefst erschüttert und traumatisiert. „Was die Menschen an Jom Kippur in der Synagoge von Halle durchleiden mussten, bleibt unvorstellbar“, so Schuster.

Eine Überwachungskamera an der Synagoge in Halle - dort startete der Attentäter seinen Mordzug.
Eine Überwachungskamera an der Synagoge in Halle - dort startete der Attentäter seinen Mordzug.

© Jan Woitas/dpa

Vertreten wird Balliet von Hans-Dieter Weber aus Karlsruhe, wo die Bundesanwaltschaft ihren Sitz hat. Der Verteidiger sagte dem Südwestrundfunk, sein Mandant sei intelligent, aber sozial isoliert. Balliet lebte seit der Trennung seiner Eltern bei seiner Mutter im nahen Benndorf. Nach einer Grundausbildung bei der Bundeswehr begann Balliet ein Chemie-Studium, das er nach gesundheitlichen Problemen abbrach. Den Sicherheitsbehörden fiel der erwerbslose Mann, der seine Zeit meist in seinem Zimmer der mütterlichen Wohnung verbrachte, offenbar nicht auf.

147 Zeugen, drei Übersetzungen

Für den Prozess wurden 147 Zeugen benannt, darunter 68 Polizisten, und 43 Nebenkläger zugelassen: Betroffene aus der Synagoge und dem Döner-Lokal, dazu diejenigen, die Balliet auf seiner Flucht angegriffen hatte. Die Verhandlung wird auf Englisch, Russisch und Türkisch übersetzt. Einer Nebenklage anschließen kann sich, so das Gesetz, „wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat“. Dem Prozess sitzt Richterin Ursula Mertens vor.

Die Tür der Synagoge von Halle hielt dem Angriff stand.
Die Tür der Synagoge von Halle hielt dem Angriff stand.

© Jan Woitas/dpa

Im forensischen Gutachten, das der Psychiater Norbert Leygraf erstellte, ist von einer komplexen Persönlichkeitsstörung die Rede, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei aber nicht beeinträchtigt gewesen. Balliet sprach während der Tat in der Live-Übertragung davon, wie ihn die selbst gebauten Waffen enttäuscht hätten. So hatte die Maschinenpistole vor der Synagoge und am Döner-Lokal öfter Ladehemmungen, was womöglich verhinderte, dass weitere Menschen starben. Wird Balliet schuldig gesprochen, droht neben einer lebenslangen Haftstrafe die Anordnung einer Sicherungsverwahrung

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