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In Deutschland protestieren immer wieder Türken und Kurden gegen die Politik der Regierung in Ankara.

© imago/Seeliger

Prozess gegen Militante aus der Türkei: Ankara beobachtet Exilanten in Deutschland

Die Türkei stellt für einen Prozess in München „geheimdienstliche Informationen“ bereit – nicht der erste Fall von Spionage türkischer Stellen in Deutschland.

Der Verdacht, die türkische Regierung führe in Deutschland aktive Spione, erhärtet sich. Am Montag warfen renommierte Anwälte aus Berlin und Nürnberg dem türkischen Geheimdienst vor, in Deutschland oppositionelle Türken zu verfolgen. Ungewöhnlich in diesem Fall ist, dass türkische Beamte dies in einer Stellungnahme mittelbar selbst eingeräumt haben: In einem Prozess gegen türkische Kommunisten vor dem Oberlandesgericht München hatte die Staatsanwaltschaft auch Hinweise aus der Türkei angefordert. In einer Stellungnahme teilte eine „Polizeigeneraldirektion Istanbul“ mit, man verfüge über nachrichtendienstliche Erkenntnisse aus Deutschland.

In dem Schreiben heißt es, als „Resultat der Zusammenstellung geheimdienstlicher Informationen“ über die Szene der Angeklagten ergebe sich, dass „in Deutschland ein zirka 700 bis 800 Personen starkes Kader existiert und sich diese Zahl bei den ausgerichteten Veranstaltungen auf 2000 heraufsetzt“. Damit sind Deutsch-Türken gemeint, die sich im Umfeld der kommunistischen Kaderpartei TKM/ML bewegen. Den zehn Angeklagten in München wird vorgeworfen, für diese Organisation hierzulande Mitglieder rekrutiert, Geld beschafft und so eine ausländische Terrorvereinigung unterstützt zu haben. Die beschuldigten Männer und Frauen, darunter Ärzte, befinden sich unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in Untersuchungshaft.

Verboten ist die TKP/ML nur in der Türkei, wo ihre Anhänger militante Aktionen durchführen. Die türkischen Behörden lieferten auch Namen von Personen, „die nach Einschätzung in den zirkulierenden geheimdienstlichen Informationen“ in der Szene besonders aktiv seien. Der Berliner Anwalt Peer Stolle vertritt eine der Angeklagten und sagte dem Tagesspiegel, es bestätige sich offenbar der Verdacht, deutschen Strafverfolgern sei egal, unter welchen Bedingungen die Türkei bestimmte Informationen erlange. Stolle wollte nun Widerspruch gegen die Verwendung der Geheimdienstberichte in dem Prozess einlegen.

Bis zu 6000 Informanten für türkischen Geheimdienst MIT in Deutschland

Im Sommer dieses Jahres war bekannt geworden, dass der türkische Geheimdienst MIT in Deutschland bis zu 6000 Informanten beschäftigen soll. Der für Spionagefälle zuständige Generalbundesanwalt ermittelt inzwischen auch wegen Vorwürfen gegen Ditib: Zahlreiche Imame dieses Moscheeverbandes sollen in Deutschland gezielt Informationen über Anhänger des verstoßenen Predigers Fethullah Gülen nach Ankara geschickt haben. Der türkische Verband sprach von einem Versehen. Ditib werden 900 Moscheen in Deutschland zugerechnet. In Hamburg hatte die Bundesanwaltschaft erst im Dezember einen mutmaßlichen Spion festnehmen lassen. Der 31-jährige Türke soll im Auftrag des türkischen Geheimdienstes norddeutsche Exil-Kurden ausgespäht haben.

Jedes Jahr gibt es zwischen zehn und 30 Ermittlungen wegen Spionageverdachts in Deutschland, in drei bis vier Fällen pro Jahr reicht es für eine Anklage. Für Spitzeldienste angeworbene Männer, seltener Frauen, könnte es bald mehr geben. Im Zuge der Flüchtlingskrise kamen nicht nur Islamisten nach Deutschland, oft unter falschen Namen.

Das Durcheinander an den Grenzen nutzten, davon gehen Sicherheitsexperten aus, auch die Regimes im Nahen Osten. Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer warnte kürzlich, unter Flüchtlingen könnten auch Agenten sein, Spionageabsichten fremder Staaten seien nicht zu unterschätzen. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion im Dezember heißt es dahingehend: Es gebe Hinweise auf syrische Nachrichtendienste, außerdem Erkenntnisse „im Zusammenhang mit Aktivitäten irakischer und eritreischer Nachrichtendienste“ unter Flüchtlingen.

Dass der türkische Geheimdienst MIT in Deutschland aktiv ist, hat auch mit den drei Millionen hierzulande lebenden Deutsch-Türken zu tun. Seit dem Putschversuch vergangenen Sommer kämpft der türkische Staat an verschiedenen Fronten, immer wieder gab es bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Die auch in Deutschland verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK kämpft für mehr Autonomie der Kurden im Südosten des Landes. Die Regierung in Ankara geht auch gegen die linksliberale, pro-kurdische Oppositionspartei HDP vor.

Von Januar bis November 2016 beantragten fast 5200 türkische Staatsbürger in Deutschland Asyl, die meisten davon sind Kurden. In Deutschland hatten außerdem Aleviten – eine moderate religiöse Minderheit in der Türkei – von Besuchen durch türkische Sicherheitsbeamte berichtet. Ein Sprecher der türkischen Botschaft hatte die Vorwürfe bestritten.

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