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Bei den Straßenkämpfen in Brasilia unterstützten 1500 Soldaten die Polizei.

© Reuters

Proteste gegen Präsident Temer: In Brasilien werden Erinnerungen an Militärputsch wach

Präsident Temer schickt jetzt auch Soldaten auf die Straßen der Hauptstadt Brasilia. Zuvor kam es bei einer Großdemonstration gegen ihn zu schweren Ausschreitungen.

Brasiliens Präsident Michel Temer hat per Dekret die Armee auf die Straßen der Hauptstadt geschickt. Er ordnete den Einsatz der Streitkräfte an, nachdem Demonstranten mehrere Ministerien verwüstet und in Brand gesteckt hatten. Rund 150.000 Menschen hatten am Mittwoch Temers Rücktritt und Neuwahlen gefordert. Die Gewerkschaften des Landes sowie die Opposition hatten zu der Demonstration aufgerufen.

Obwohl Temer betonte, die Soldaten sollten lediglich die staatlichen Einrichtungen schützen, wurde seine Entscheidung scharf kritisiert. Die Oppositionsparteien verließen nach Bekanntwerden des Dekrets geschlossen den Plenarsaal. Bewaffnete Soldaten in der Hauptstadt wecken in Brasilien automatisch Erinnerungen an den Militärputsch von 1964.

Temer wird häufig als Putschist bezeichnet

Zumal die konservative Regierung von Temer von vielen Brasilianern als illegal angesehen wird, weil sie nur über die fragwürdige Absetzung der demokratisch gewählten Präsidentin Dilma Rousseff an die Macht gekommen ist.

Als „Golpista“ – Putschist – wird Temer häufig bezeichnet. Er begann nach Amtsantritt eine neoliberale Agenda durchzusetzen, für die er keine demokratische Legitimation hat. So will er etwa Renten- und Arbeitsrecht zum Nachteil der Arbeitnehmer ändern – so zumindest empfinden es die meisten Brasilianer. Auch gegen diese Politik richteten sich die Demonstranten.

Nachdem der Protestmarsch durch Brasília zunächst friedlich verlaufen war, stürmten verschiedene Gruppen später acht Ministerien, zerstörten die Einrichtung und Computer und legten Feuer in zwei Gebäuden. Die Polizei schoss mit Tränengas und Gummigeschossen. Bilder und die Funde von Patronenhülsen belegen aber, dass die Polizei mit scharfer Munition auf die Demonstranten schoss. 49 Menschen wurden den Behörden zufolge verletzt und acht festgenommen. Erst nach mehreren Stunden beruhigte sich die Lage – aber für Temer wird die Situation immer brenzliger. Tasso Jereissati, Interimschef der Sozialdemokraten, des größten Koalitionspartners, vermied ein klares Bekenntnis zu Temer.

Brasiliens Präsident Michel Temer rechtfertigte den Einsatz des Militärs.
Brasiliens Präsident Michel Temer rechtfertigte den Einsatz des Militärs.

© dpa

Zu dem Protestmarsch waren Brasilianer aus dem gesamten Land angereist. Die Wut im Land über die korrupte politische Klasse hat enorm zugenommen, seit in der vergangenen Woche ein Gespräch bekannt wurde, in dem Temer die Straftaten eines Unternehmers billigt, etwa die Bestechung von Richtern. Die Justiz ermittelt inzwischen offiziell gegen Temer sowie gegen acht seiner Minister und mehr als 200 Kongressabgeordnete.

Der Präsident lehnt Rücktritt kategorisch ab

Der einzige Ausweg aus der Krise lautet daher für viele Brasilianer: Rücktritt von Temer und Neuwahlen. Doch Temer denkt überhaupt nicht daran. Er hat sich in einem Interview als Opfer eines Hinterhalts bezeichnet und sagt: „Ihr müsst mich schon stürzen.“ Für den Armeeinsatz wurde Temer selbst aus den eigenen Reihen kritisiert. Es sei zwar verfassungsgemäß, die Armee einzusetzen, sagte Temers Parteikollege, der ehemalige Senatspräsident Renan Calheiros. Aber diese Entscheidung zu einem Moment zu treffen, in dem das Land drohe, Feuer zu fangen, befinde sich am Rande der Unvernunft und Verantwortungslosigkeit.

Temer ließ mitteilen, dass Vandalismus und die Zerstörung des öffentlichen Eigentums nicht hingenommen werden kann. Im Internet brach daraufhin ein neuer Proteststurm los. Tenor vieler Botschaften dort war, dass die wirklichen Vandalen, die das Land ausplünderten und zerstörten, die korrupten Politiker seien. Der neuntgrößten Volkswirtschaft droht durch den politischen Skandal eine Hängepartie, zu einem Zeitpunkt, wo Brasilien mit seinen 208 Millionen Einwohnern langsam die tiefe Rezession überwindet – seit 2015 brach die Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent ein. 13,5 Millionen Menschen sind arbeitslos.

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