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Ein Aktivist zeigt das Logo von "Extinction Rebellion" auf einer "Friday for Future"-Demo.

© Christof Stache/AFP

Protest von Extinction Rebellion: Andere zu einem bestimmten Verhalten zwingen, erzeugt Widerstand

Aktivisten von Extinction Rebellion wollen den Klima-Kampf verschärfen. Vom Ungehorsam zur Nötigung ist es aber nur ein kleiner Schritt. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Es kann ein politisch heißer Herbst werden. Die Unabdingbarkeit der Klimabewegung soll in Berlin zu spüren sein. Vom siebten Oktober an wollen Anhänger von "Extinction Rebellion", abgekürzt XR, die Stadt lahmlegen. Der Berliner Ableger der britischen Bewegung kündigt auf der Internetseite von "XR" einen "Aufstand gegen das Aussterben an". Das Gleiche wird den Bewohnern anderer Großstädte von Amsterdam bis New York versprochen: "Wir werden Tausende sein, die sich in den gewaltfreien zivilen Ungehorsam begeben, damit die Regierung endlich angemessen auf die Klimakrise reagiert." Blockiert werden sollen "die alltäglichen Routinen, die unsere Lebensgrundlagen zerstören".

Für die XR-Bewegten ist es nicht fünf vor zwölf, auch nicht eins vor zwölf, sondern eine Sekunde vor zwölf. Deshalb wollen sie es auch nicht mehr bei Demonstrationen und hochmoralischen Appellen wie denen von Greta Thunberg belassen. Sie sind davon überzeugt, dass nur noch eine ökonomische Vollbremsung hilft, um den ökologischen Kollaps zu verhindern oder zumindest zu mildern. Sie sind die Radikalen der Klimabewegung - die, die von sich sagen, sie wollten nicht mehr verdrängen, was so lange schon wissenschaftlich erwiesen sei. Ankündigungen wie die der Bundeskanzlerin ("haben verstanden") reichen ihnen nicht. Mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams wollen sie die ihrer Überzeugung nach wirtschaftshörigen Regierungen zwingen.

Einiges ans polit-psychologischer Analyse steckt in XR. Sie erwarten Solidaritätseffekte für die, die sich nach zivilen Widerstandsakten vor Gericht verantworten müssen. Ihre Strategie, liest man auf der Internetseite, funktioniere über "disruption", über die Störung und Unterbrechung des politischen Systems. Dreißig Jahre der Passivität der Regierung lasse ihnen keine andere Wahl.

Ab jetzt wird zurückgenötigt

Ab jetzt, so kann man das verstehen, wird zurückgenötigt. Denn darauf läuft ziviler Ungehorsam nun mal hinaus. Einer ihrer britischen Vormänner hat gerade großen Ärger, weil er versucht hat, den Flugverkehr in London Heathrow mit Drohnen lahmzulegen. Blockaden, Sperrungen, Störungen im Betriebsablauf mal nicht als normales Berliner Verkehrsphänomen, sondern politisch aufgeladen: die Zeiten werden radikaler. Denn wo zumeist junge Leute andere zum Innehalten zwingen, verpassen Leute Termine und Treffen, Wichtiges und Unwichtiges. Vor allem fühlen sie sich in ihrer Freiheit eingeschränkt.

Man kann sich fragen, ob das die beste Voraussetzung für das Anhalten, Umdenken, Umkehren ist, was die Radikalen der Klimabewegung erzwingen wollen - und zwar jetzt, nicht gleich. Andererseits hat vermutlich kein einigermaßen friedliches Mittel des Protests so nachhaltig (!) gewirkt wie ziviler Ungehorsam. Mahatma Ghandi, Martin Luther King sind die Helden des gewaltfreien Protests. Hierzulande wird man sich beim Stichwort ziviler Ungehorsam eher an blockierte Castor-Transporte erinnern. Die haben zwar den Transport abgebrannter Atom-Brennstäbe nicht verhindert, aber dem Publikum am Fernseher gezeigt: Das sind viele, die es ernst meinen.

Blockierte Gleise, Leute, die sich an die Trasse ketten, tausende Polizisten, die den Weg für den Zug frei machen müssen - und der Ausstieg aus der Atomenergie kam durch den schweren Unfall im japanischen Fukushima. Anderes Beispiel: die Proteste gegen das "Endlager" im niedersächsischen Gorleben, per Errichtung eines Dorfs der Widerständigen. Ziviler Ungehorsam, diesmal in Gestalt der Blockade eines politischen Beschlusses. Ein Endlager ist dort nicht errichtet worden - ein "Zwischenlager" gibt es weiterhin.

Die XR-Aktivisten sind beseelt von ihrer Mission

Die XR-Aktivisten und Anhänger sind - man kann es in einer kleinen Spiegel-TV-Reportage über eine Hamburger Straßenblockade gut sehen - geradezu beseelt von ihrer Mission. Dagegen ist nichts zu sagen. Es ist nur einzuwenden, dass die Gewissheit von eigenen Überzeugungen nicht mehr wert ist als der Respekt vor den Überzeugungen anderer Menschen. So fatal wie die Entwicklung des Klimas sein mag, ist der polit-erzieherische Zwang, an den die XR-Anhänger glauben, nicht ohne Risiko. Dabei geht es nicht um freie Straßen für Autofahrer (die gibt es ohnehin nur noch nachts, wenn überhaupt). Es geht darum, dass das moralisch begründete Recht, andere zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen, Widerstände erzeugt. Man muss nicht gleich die Freiheit in Gefahr sehen, wenn es darum geht, das eigene Verhalten zu ändern. Doch Zwänge sind das falsche Mittel: schwarze Pädagogik, der chinesische Weg.

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