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Protestet der "Gelbwesten" gegen höhere Steuern in Rochefort

© AFP/Xavier Leoty

Protest in Frankreich: Die "Gelbwesten" sind eine Warnung für Deutschland

Auch wenn der Protest der "Gelbwesten" auf den Straßen abflaut, bestehen die sozialen Probleme weiter - in Frankreich und in Deutschland. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

War was? Der Protest der Gelbwesten in Frankreich ist merklich abgeflaut, und auch der Eiffelturm war wieder für Touristen geöffnet. Es scheint, als habe Präsident Emmanuel Macron den Demonstrationen die Spitze genommen, indem er milliardenschwere Wohltaten verteilte.

Man mag sich nun, auf der Suche nach adventlicher Besinnung, wieder von den Ereignissen in Frankreich abwenden wie von einem vorübergehenden Spuk. Aber der Aufstand der Gelbwesten ist mehr als eine Episode. Denn das letzte Kapitel in der Geschichte der jüngsten französischen Bürgerbewegung ist noch offen. Wichtiger noch: Was in der Geschichte Frankreichs gerade zu erleben war, könnte auch ein Vorbote für kommende Entwicklungen in Deutschland sein.

Zugegeben, Frankreich ist anders. Die Franzosen haben ein zwiespältiges Verhältnis zum Staat. Einerseits bringen sie ihren staatlichen Institutionen großen Respekt entgegen und wissen sehr genau, dass beispielsweise mit ihrer Einsatzpolizei CRS nicht zu spaßen ist.

Zur Widersprüchlichkeit gehört aber ebenso, dass die Franzosen die Fürsorge des Staates und die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum zwar lauthals fordern, die nötigen Steuern aber nicht zahlen wollen. In Deutschland sind eruptive Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und den Bürgern wie zuletzt beim Gelbwesten-Protest unbekannt. Die Bundesrepublik hat Vermittlungsausschüsse, Tarifverhandler und Schlichtungsverfahren.

In Deutschland wie in Frankreich schrumpft das Haushaltseinkommen der Geringverdiener

Trotz dieser Unterschiede gibt es aber auffällige Parallelen zwischen den „Gilets jaunes“ und den Geringverdienern in Deutschland. Wenn Protestler in der Nähe von Rouen gegen die Steuerlast demonstrieren und am vergangenen Wochenende ein paar Dutzend Bürger in München unter dem Banner der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ von Sahra Wagenknecht für eine Mindestrente auf die Straße gehen, dann haben sie eines gemeinsam: Sie wollen nicht weiter hinnehmen, dass ihr verfügbares Haushaltseinkommen immer weiter schrumpft.

Dabei ist es erst einmal nebensächlich, ob der Protest von „links“ oder von „rechts“ kommt. Mag sein, dass die Gelbwesten in Frankreich zunehmend in das Fahrwasser der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ geraten, je länger die Demonstrationen dauern.

Auch angesichts der nicht hinnehmbaren Radikalisierung der verbliebenen „Gilets jaunes“ darf man doch nicht die Augen davor verschließen, dass die Belastungsgrenze für viele Menschen am unteren sozialen Rand längst erreicht ist. Das gilt in Deutschland nicht zuletzt für ärmere Rentner und in Frankreich vor allem für jene Arbeitnehmer, die keine Möglichkeit zur Vermögensbildung haben.

Auch in Deutschland verändert sich das Parteiensystem

Dass es eine spürbare Wirkung haben kann, wenn die Politik auf den Protest der Straße eingeht, hat Macron nun vorgemacht. Er musste teure Zugeständnisse machen, weil seine Herrschaft auf tönernen Füßen steht. Die politische Revolution, die ihn in den Elysée-Palast beförderte, kann auch wieder in eine Gegen-Revolution zugunsten von Marine Le Pen umschlagen.

Deutschlands Parteiensystem steht da vergleichsweise gefestigt da. Aber der Absturz der SPD und die Verfestigung der AfD sollten Politikern auch hierzulande ein deutliches Warnsignal sein. Sie müssen die Sozialpolitik in den Mittelpunkt rücken, bevor der politische Preis des Nichtstuns zu hoch wird.

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