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Malgorzata Gersdorf war Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen.

© MateuszxWlodarczyk/Imago/Zuma Press

Protest gegen Zwangspensionierung: Malgorzata Gersdorf - polnische Richterin im Unruhestand

Die aus Altersgründen zwangspensionierte Präsidentin den Obersten Gerichts will nicht aufgeben. Der Auftritt von Malgorzata Gersdorf in Karlsruhe wird zum Politikum.

Mit Malgorzata Gersdorf hat der Kampf für die Unabhängigkeit der polnischen Justiz ein prominentes Gesicht bekommen. Spätestens seit die Präsidentin des Obersten Gerichts in Warschau am 4. Juli trotz Zwangspensionierung in Robe zum Dienst erschien, ist dieses Gesicht auch über die Grenzen Polens hinaus bekannt. „Ich kämpfe für den Staat, die Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Verfassung“, sagt die 65-Jährige. Am vergangenen Freitag bat sich ihr dafür in Deutschland eine Bühne. Gersdorf kam nach Karlsruhe, an den Sitz der wichtigsten deutschen Gerichte.

Die Einladung stammt aus einer Zeit, als die Entwicklung in Polen viele beunruhigte, eine solche Eskalation aber nicht abzusehen war. Gersdorf war am Freitagabend Rednerin der Reinhold-Frank-Gedächtnisvorlesung. Sie erinnerte an den Widerstandskämpfer, der nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Mitveranstalter sind Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof (BGH). Das Thema dieses Jahr: „Der Rechtsstaat in Polen – versäumte Gelegenheiten?“

Definitiv zugesagt habe Gersdorf im Januar, erinnert sich Rolf Fath, der die Veranstaltung im Kulturamt der Stadt organisiert hat. „Wir haben ihr von Anfang an gesagt, dass es für uns keine Rolle spielt, ob sie dann noch im Amt ist oder nicht mehr.“ Er gibt aber zu: „Die Ereignisse haben uns dann doch überrollt.“

Seit dem 4. Juli liegt die Altersgrenze bei 65

Seit dem 4. Juli erreichen die obersten Richter in Polen mit 65 statt wie bisher mit 70 Jahren die Altersgrenze. „Unfreiwillig“, wie das Gericht betont. Durchgesetzt hat das Gesetz die nationalkonservative Regierungspartei PiS. Auch Gersdorf ist 65 Jahre alt. Für sie ist die Sache offensichtlich: Die Regierung will missliebige Richter loswerden und durch genehme Kandidaten ersetzen. Sie geht weiter zur Arbeit.

Das Gesetz ist umstritten, die EU-Kommission hat deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Es trifft ein Drittel der Richterschaft am Obersten Gericht, der höchsten Instanz unter anderem in Zivil-, Straf- und Arbeitssachen. 14 Juristen mussten nach Angaben des Gerichts bereits ihre Posten räumen. Wer nicht gehen will, kann bei Staatspräsident Andrzej Duda einen Antrag auf Amtsverlängerung stellen. Über 13 solcher Anträge muss Duda noch entscheiden. Gersdorf hat nach Angaben der PiS keinen Antrag gestellt.

Ist sie damit weiter Gerichtspräsidentin oder nicht? „Der Präsident meint, ich bin es nicht – ich meine, ich bin bis 2020 erste Vorsitzende des Obersten Gerichts und keiner kann das ändern“, sagt Gersdorf. Sie beruft sich auf die Verfassung: Darin sei die Amtszeit von Gerichtspräsidenten geschützt.

Generalstaatsanwalt droht mit mit strafrechtlichen Konsequenzen

„Ein Irrglaube“, sagt Pawel Mucha aus der Kanzlei des polnischen Präsidenten. „Gersdorf ist eine Richterin im Ruhestand.“ Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro drohte sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen.

In dieser Situation ist Gersdorfs Auftritt in Karlsruhe ein Politikum. Kurzfristig wurde eine Pressekonferenz organisiert. BGH-Präsidentin Bettina Limperg und der Verfassungsrichter Johannes Masing stellen sich der polnischen Kollegin demonstrativ zur Seite. Die Entwicklungen im Nachbarland erfüllen die Karlsruher Richter seit längerem mit großer Sorge. Es gibt freundschaftliche Kontakte, man erlebt die Verzweiflung mit. Masing, der mit einer Polin verheiratet ist, schilderte im Januar in einem Interview das Klima, in dem er die Kollegen am polnischen Verfassungsgericht erlebt. „Ein schäbiger Umgang, Diffamation und kleine Messerstiche scheinen allgegenwärtig zu sein“, sagte er der „Stuttgarter Zeitung“.

Nun also die Gelegenheit, im Fall Gersdorf öffentlich Flagge zu zeigen.

BGH-Präsidentin Limperg ist sehr besorgt

BGH-Präsidentin Limperg, die über das Netzwerk der Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Gerichtshöfe der Europäischen Union mehrfach Solidarität mit den polnischen Richtern bekundet hat, macht schon vorweg klar: „Mit dem Netzwerk gehe ich davon aus, dass Malgorzata Gersdorf zu Unrecht aus dem Amt entfernt worden ist.“ Die Entlassung von Gersdorf sei der vorläufige und dramatische Höhepunkt einer Entwicklung, „die nur als katastrophal bezeichnet werden kann“, sagte Limperg. „Die Situation in Polen erfüllt mich mit größter Sorge.“

Gersdorf kann jede Unterstützung brauchen: Am Donnerstag hat die Warschauer Regierung ein Gesetz ins Unterhaus eingebracht, das die Nachbesetzung ihres Präsidenten-Postens schneller ermöglichen soll. (dpa)

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